Namibia: Streit um Rückgabe der Witbooi-Bibel
26. Februar 2019Für Namibias politische Elite ist es ein Pflichttermin. Der Präsident, die Premierministerin, der Sprecher des Parlaments und sogar zwei Ex-Präsidenten werden erwartet, wenn am Donnerstag zwei ganz besondere Schätze nach 120 Jahren heimkehren. Bei einem feierlichen Staatsakt wird Präsident Hage Geingob die Bibel und die Peitsche des Nationalhelden Hendrik Witbooi in Empfang nehmen.
Es sind die ersten afrikanischen Objekte aus der Kolonialzeit, die das Bundesland Baden-Württemberg zurückgibt. Bisher waren sie im Stuttgarter Linden-Museum zu sehen. "Mit der Rückgabe gehen wir einen wichtigen Schritt im Prozess der Versöhnung. Das Land stellt sich seiner kolonialen Vergangenheit", sagte Baden-Württembergs grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer vor der Abreise.
"Die Rückgabe hat eine wichtige symbolische Bedeutung, weil Hendrik Witbooi eine wichtige Persönlichkeit für Namibia ist. Wir wollen in einen engen Dialog mit unseren Partnern vor Ort eintreten", sagt die Afrika-Kuratorin des Museums, Sandra Ferracuti, zur DW. Neben der Übergabe stellt die Landesregierung 1,2 Millionen Euro für gemeinsame Projekte mit Forschungseinrichtungen und Museen in Namibia bereit.
Namibias Regierung bittet schon seit Jahren um die Rückgabe von Bibel und Peitsche. Der sogenannte "Kaptein" Hendrik Witbooi war in der Kolonialzeit ein wichtiger Anführer des Nama-Volkes. Zunächst ließ er sich von deutschen Missionaren taufen und kooperierte mit der Kolonialverwaltung. Später wandelte er sich zum Kämpfer gegen die deutschen Kolonialisten. 1905 starb Witbooi nach einem Gefecht mit deutschen Kolonialsoldaten. In den folgenden Jahren schlugen die den Aufstand der Herero und der Nama brutal nieder. Zehntausende Menschen kamen ums Leben, seit 2015 spricht auch die Bundesregierung von einem Völkermord.
'Unsere Geschichte wird unterdrückt'
Doch die geplante Rückgabe zeigt, wie tief die Risse in Namibias Gesellschaft sind, wenn es um diese Vergangenheit geht. Namibias Regierung will die Bibel und die Peitsche im Nationalarchiv ausstellen, bis ein Museum in Witboois Heimatort Gibeon gebaut wird. Wann das sein wird, ist noch unklar. Damit sind nicht alle Nama einverstanden. Die Vereinigung der Nama-Stammesältesten (NTLA) wollte die Rückgabe sogar juristisch stoppen, das Landesverfassungsgericht in Stuttgart erklärte sich aber nicht für zuständig. "Es geht hier um den Besitz einer einzelnen Person. Wenn jemand Anspruch auf diese Besitztümer hat, dann wäre das die Familie dieser Person oder die Kirche, aber nicht der Staat", sagt NTLA-Generalsekretär Lazarus Kairabeb zur DW.
Dahinter steckt tiefes Misstrauen in die eigene Regierung. Die wird aus Sicht von Verbänden wie der NTLA vom Mehrheitsvolk der Ovambo dominiert. Dem gehört gut die Hälfte der Bevölkerung an, während Herero und Nama heute Minderheiten sind: Zusammen stellen sie gut 12 Prozent der Bevölkerung.
Zwar verhandeln Deutschland und Namibia seit 2015 mit der Bundesregierung über die Anerkennung des Völkermords, doch eine offizielle deutsche Entschuldigung lässt weiter auf sich warten. Vertreter der Herero und Nama wie die NTLA glauben, dass es beide Regierungen gar nicht ernst meinen: "Unsere Geschichte wurde so lange unterdrückt. In den Schulen wird bis heute kaum etwas darüber gelehrt. Namibia scheint keine Haltung zu haben, wie mit unserer Geschichte umgegangen werden soll", klagt NTLA-Vertreter Kairabeb.
Tiefe Gräben bei Herero und Nama
Schon bei der Rückgabe menschlicher Gebeine aus der Kolonialzeit an Namibia im letzten Jahr brach die Wut aus einigen anwesenden Vertretern beider Volksgruppen heraus. Sie forderten lautstark, an den Verhandlungen beteiligt zu werden und kritisierten die deutsche Haltung. Andere Herero und Nama-Verbände unterstützen dagegen den Kurs ihrer Regierung. Sie gehören einer Arbeitsgruppe an, von der sich die Regierung bei den Verhandlungen beraten lässt. Auch die Rückgabe der Witbooi-Schätze hat zu Auseinandersetzungen geführt: Die prominente Nama-Aktivistin Ida Hoffman kritisierte laut namibischen Medienberichten das Vorgehen der NTLA.
Die baden-württembergische Landesregierung wiederum sagt, die Rückgabe an die namibische Regierung sei mit der Familie Witboois abgesprochen. Auch die ist laut Beobachtern in Namibia in dieser Frage gespalten. Namibias Regierung weißt den Vorwurf zurück, die Wünsche der Herero nicht ernst zu nehmen. "Die Tür ist offen für alle Namibier, die Zweifel oder Fragen in dieser Sache haben. Alle Namibier, die noch nicht Teil der Verhandlungen sind, sollten sich beteiligen, denn schließlich sollen von den Ergebnissen nicht nur einige wenige profitieren", sagt Namibias Parlamentspräsident Peter Katjavivi zur DW. Zuletzt äußerte sich Bundesentwicklungsminister Gerd Müller verhalten positiv, dass sich Namibia und Deutschland bis Ende des Jahres über die Wiedergutmachungen einigen werden. Bis das nicht geschehen ist, dürfte auch der Streit weitergehen.