Wohin geht's, wenn's weiter geht?
19. April 2020Die Corona-Krise hat die Kreuzfahrtbranche mit voller Härte erwischt: Berichte von Schiffen, denen man das Einlaufen in Häfen untersagenwollte, deren Passagiere nicht an Land durften und unter Quarantäne gestellt wurden gingen um die Welt. Keine gute PR für die Gute-Laune-auf-hoher-See-Branche.
In diesen Tagen wird rund um den Globus darüber nachgedacht, wie man wieder zu einem "normalen" Leben zurückkommen könnte. Das tut auch die Kreuzfahrtbranche. Doch ob Reedereien, Werften oder Reiseveranstalter: Sie alle kämpfen nicht nur gegen die Pandemie, sie müssen auch noch andere Probleme abarbeiten.
Schon vor der Krise war das Bild, das die Branche abgab, nicht ungetrübt. Die Städte, in denen sie anlegten, beklagten immense Feinstaubbelastungen durch die ununterbrochen laufenden Generatoren der Kreuzfahrer. Und durch ihre Größe waren die Schiffe zum augenfälligen Symptom des "Overtourism" geworden. Diese Probleme werden auch nach allen Lockdowns nicht verschwunden sein.
Der Meister des guten Timings
Ausgerechnet während in Berlin verkündet wurde, wie die Exit-Strategie aus dem deutschen Lockdown gestaltet werden soll, meldete sich der Boss von fast 8000 Werftarbeitern bei der Meyer-Werft im nordwestdeutschen Papenburg zu Wort. Neue Schiffe würden derzeit nicht gebraucht, klagte Werftchef Bernhard Meyer in einer Videobotschaft. Das Unternehmen müsse ihre Neubauaufträge für die kommenden vier Jahre strecken. Meyer: "Wir müssen in allen Bereichen über Kurzarbeit, ja, aber auch über den Abbau von Arbeitsplätzen nachdenken."
Der Kommunikationschef der Werft nannte der lokalen Rheiderlandzeitung konkrete Zahlen: "Wir hatten ansonsten täglich rund 10.000 bis 12.000 Mitarbeiter auf der Werft, jetzt sind es noch 6000".
Ausgerechnet einen Tag nach dem Jahrestag des Unterganges der Titanic im Nordatlantik am 15. April 1912 drehte der Unternehmenschef eine Debatte weiter, die beim wichtigsten Arbeitgeber der Region schon seit langem tobt. Betriebsratschef Nico Bloem forderte in der Rheiderlandzeitung "ein Konzept, wie es weitergeht" und merkte an, dass noch unklar sei, wie sich die Kunden in der Krise verhalten würden und welche Aufträge konkret gefährdet seien.
Laut der Tageszeitung Die Welt stehen noch neun Aufträge bis 2023 in Meyers Orderbüchern, unter anderem für die größte deutsche Kreuzfahrtreederei Aida.
Neubauten laufen weiter
Bei der Konkurrenz in Bremerhaven, der Lloyd Werft, scheint es zurzeit deutlich entspannter zuzugehen als im Emsland. Die Werft teilte der DW schriftlich mit, sie arbeite derzeit "an einem Neubauauftrag für eine Megayacht über 100 Meter Länge, aber nicht an einem Kreuzfahrtschiff."
Derzeit habe Lloyd "zwar keine Auftragskündigungen zu verzeichnen, allerdings haben zwei Schiffe aufgrund krisenbedingter Fahrplanänderungen die Ankunft bei uns in der Werft auf Wochen verschoben." Außerdem sei gerade ein prominenter Gast im Überholungsdock: Die MS Amadea der in Bonn ansässigen Reederei Phoenix Reisen. Das Schiff ist Millionen deutscher Fernsehzuschauer als Drehort der Serie Das Traumschiff bekannt.
Die Hamburger Kreuzfahrtgesellschaft TUI Cruises ist einer der Auftraggeber, der auch bei Meyer bauen lässt. Auf Anfrage erfuhr DW, dass TUI weder Aufträge storniert noch Verträge gekündigt habe. Derzeit, so das Unternehmen, habe man "drei Neubauten bestellt. Die "Mein Schiff 7" wird auf der Meyer Werft Turku gebaut und zwei weitere Schiffe bei Fincantieri in Italien."
Nicht vergessen
Staatlicherseits wird über Wege nachgedacht, die Werftindustrie zu unterstützen. Deutschland, Frankreich, Finnland, Italien und Norwegen hätten sich, so das Bundeswirtschaftsministerium, verständigt, wie Reedereien die Schuldentilgung für die mit staatlichen Exportkreditgarantien finanzierten Kreuzfahrtschiffe aussetzen können, um so "Liquiditätskrisen" vorzubeugen.
Allein Deutschland sichere, so das Ministerium, aktuell Verpflichtungen für Finanzierungen von in Deutschland gefertigten Kreuzfahrtschiffen in Höhe von rund 25 Milliarden Euro ab.
Norbert Brackmann, Koordinator der Bundesregierung, erklärte, damit würden die Geschäftsbeziehungen der europäischen Werften stabilisiert. Diese Maßnahmen würden auch dem Schutz Tausender Arbeitsplätze in der europäischen Werftindustrie und ihren Zulieferbetrieben dienen.
"Es hilft unseren Kunden sicher in gewissem Maße und ist ein richtiger erster Schritt", sagte ein Sprecher der Meyer-Werft der Zeitung Weser Kurier, um dann aber einzuschränken, dass dies längst nicht ausreiche, um den Stillstand im Kreuzfahrtmarkt auszugleichen.
Der eiserne Griff der Seuche
Derweil beeinträchtigt die Covid-19-Seuche noch immer die Branche. So meldete die auf maritime Themen spezialisierte Internetplattform gCaptain, dass die US-amerikanische Kreuzfahrtreederei Princess Cruises ihre Fahrten noch länger aussetzen werde als zunächst angekündigt.
In einer Videobotschaft sagte Unternehmenschefin Jan Swartz, die Reederei werde bis zum 30.Juni kein Schiff mehr unter Dampf setzen. Diese Ankündigung folgte auf eine Entscheidung der US-Regierung, die sogenannte No-Sail-Order für alle Kreuzfahrtschiffe um 100 Tage zu verlängern.
Die MS Diamond Princess der US-Reederei hatte in der Krise Schlagzeilen gemacht, als es an Bord des Urlaubsschiffes zu Hunderten von Covid-19-Infektionen, einschließlich einiger Todesfälle, gekommen war. Dieser Vorfall im Februar hatte als die größte Konzentration von bestätigten Covid-19-Fällen außerhalb Chinas zu dieser Zeit gegolten.
Es wird schon wieder gebucht
Vorfälle wie dieser haben der Kreuzfahrtindustrie einen herben Schlag versetzt. Doch trotz der gegenwärtig kritischen Lage bleibt Marco Graudenz von der Bremerhavener Lloyd Werft für die Zukunft optimistisch. Am Bedürfnis, in den Urlaub zu fahren, werde Corona "sicherlich nichts ändern." Sollte es schließlich auch einen Impfstoff geben, würden "wieder mehr Menschen reisen wollen".
Aktuelle Zahlen scheinen diesen Optimismus zu stützen. So meldete die Los Angeles Times, ein US-Internetbuchungsportal habe bereits 40 Prozent mehr Buchungen für das Jahr 2021 registriert, als 2019 vor der Krise eingegangen waren.
Aida Cruises bestätigte auf Nachfrage der Internet-Plattform Travelbook, dass das Interesse an Kreuzfahrtreisen im nächsten Jahr ungebrochen ist. "Nachfragen für Reisen gibt es vor allem für den Sommer 2021, gefolgt von Reisen in der Wintersaison 2020/2021", so eine Aida-Sprecherin.
Auch Friederike Grönemeyer von TUI Cruises blickt zuversichtlich nach vorn: "Wir haben Neubuchungen für Herbst und Winter und sogar für Frühjahr 2021 - und das trotz reduzierter Marketing- und Vertriebsaktivitäten. Ein grundsätzliches Problem mit dem Vertrauen der Kunden oder dem Image der Reiseart Kreuzfahrt deutet sich nicht an."
Ende gut - alles gut? Nicht ganz!
Doch auch wenn staatliche Hilfen ihr Wirkung nicht verfehlen, wenn die Kunden nach Abflauen der Seuche zurückkehren und wieder so reisefreudig sind wie vorher, steht die Branche doch vor den gleichen Herausforderung wie bisher.
Viele Städte, die als Hauptleidtragende des sogenannten Overtourism gelten, werden den Eindruck nicht vergessen haben, wie es ist, wenn mal kein Traumschiff im Hafen liegt und 5000 Urlauber auf einmal an Land kommen. Barcelona, Venedig oder Dubrovnik werden ihr Verhältnis zu ihren Kreuzfahrtgästen sicher neu definieren wollen.
Außerdem können und müssen Kreuzfahrtschiffe umweltschonender unterwegs sein. Und dazu braucht die Branche neue Schiffe. Das sei bei TUI Cruises schon längst angekommen, schreibt Friederike Grönemeyer, die für ihr Unternehmen festhält, "bereits heute die jüngste und umweltfreundlichste Flotte weltweit zu haben."
Konkret bedeute dies, so die Unternehmenssprecherin: "In diesem Jahr haben wir mit der "Mein Schiff 4" das erste Schiff unserer Flotte mit einer Landstromanlage ausgerüstet, im Herbst wird die "Mein Schiff 5" ebenfalls nachgerüstet. Bis 2023 werden alle unsere Schiffe über einen Landstromanschluss verfügen." Das sollten doch alle Schiffbauer, nicht nur in Papenburg, mit Genugtuung und Vorfreude hören.