Kreuzschifffahrt am Wendepunkt?
10. November 2019Es war die Inszenierung einer Zeitenwende: Unter den Augen von tausenden Schaulustigen ist das Kreuzfahrtschiff MSC Grandiosa an der Hamburger Elbpromenade getauft worden. Lichtkünstler Michael Batz tauchte, wie schon bei den Hamburg Cruise Days im September, mit seinen Lichtinstallationen die Hafencity am Samstagabend erneut in tiefes Blau. Die Farbe sollte die Verbundenheit zur Natur und den Anspruch auf Umweltverträglichkeit des neuen Kreuzfahrtschiffs untermalen, betonte die Reederei MSC. Denn: Ihr neues Schiff für 4888 Passagiere ist sauberer als der Rest der Flotte. Katalysatoren und verbesserte Abwassersysteme - der Umwelt zuliebe. Aber auch, weil ab 2020 für Schiffe strengere Grenzwerte beim Schadstoffausstoß von Schwefel gelten.
Einen Schritt weiter geht Hapag Lloyd. Die Reederei hat angekündigt, ab Juli 2020 komplett auf den giftigen Kraftstoff Schweröl verzichten zu wollen. Die gesamte Flotte von fünf Schiffen solle auf Marinediesel umgerüstet werden. Das bedeute 80 Prozent weniger Schwefel und 30 Prozent weniger Ruß und Feinstaub: "Seit jeher haben die Themen Nachhaltigkeit und Umwelt bei uns einen sehr hohen Stellenwert, denn wir wollen schützen, was unsere Gäste und uns fasziniert", erklärt Hapag Lloyd Cruises gegenüber der DW schriftlich.
Weg vom "Dreckschleuder"-Image
Die Branche scheint im Umbruch, seit Marktführer AIDA im Dezember 2018 das erste vollständig mit Flüssiggas (LNG) betriebene Kreuzfahrtschiff AIDANova in Betrieb genommen hat. Seitdem überschlagen sich die Reedereien geradezu mit ihrem Engagement für Umweltschutz und nachhaltiges Reisen. Sie wollen das Image der "Dreckschleuder"-Industrie hinter sich lassen. Ihre Kunden sollen in Zukunft mit reinem Gewissen auf ihren Schiffen die Welt entdecken. Dafür investieren die Reedereien Millionenbeträge. Sie können es sich leisten: Der Markt boomt, die Gewinne sind enorm.
Von einem Wandel möchten Umweltschützer wie Daniel Rieger allerdings noch nicht sprechen. Der Leiter Verkehrspolitik des Naturschutzbund Deutschland (NABU) begrüßt zwar die "erste Neuausrichtung" der Branche. Der Großteil der weltweit rund 550 Kreuzfahrtschiffe werde jedoch auch zukünftig mit Schweröl fahren - dem giftigsten Kraftstoff überhaupt. Dass in den kommenden Jahren knapp 30 neue Kreuzfahrtschiffe mit dem verhältnismäßig sauberen Flüssiggas-LNG-Antrieb ausgestattet werden sollen, sei erfreulich, sagt Rieger im Gespräch mit der DW, betont aber gleichzeitig: "Die Branche versucht mittlerweile eine Antwort auf die Abgasbelastung zu finden. Eine Antwort auf die Klimabelastung hat sie allerdings nicht." Tatsächlich verringert Flüssiggas den Schadstoffausstoß der Schiffe deutlich. Die klimaschädlichen CO2-Emissionen senkt es jedoch nur minimal. Umweltschützer wie Daniel Rieger sehen in dem Flüssiggas-Antrieb deshalb nur eine Übergangslösung.
Klimaschutz: Norwegen ist Vorreiter, Deutschland zieht nach
Dass man in Sachen Klimaschutz größere Schritte machen kann, zeigt Norwegen. Die Regierung in Oslo hat beschlossen, dass die westnorwegischen UNESCO-Welterbe-Fjorde ab 2026 nur noch emissionsfrei befahren werden dürfen. Damit müssen nicht nur die Schweröl-Dampfer, sondern auch die saubereren LNG-Schiffe in Zukunft draußen bleiben. Die norwegische Reederei Hurtigruten unterstützt den Kurs ihrer Regierung. Sie setzt auf einen Hybridantrieb aus Batterie und Marinediesel, sogar Biogas kommt zum Einsatz. So können ihre neuen Expeditionsschiffe sich elektrisch und damit ohne CO2- und Schadstoffausstoß durch die sensiblen Fjord-Gewässer bewegen. Zusätzlich optimieren die Batterien den Kraftstoffverbrauch auf hoher See. 2019 ist mit der MS Roald Amundsen für 530 Passagiere das erste Schiff dieser Art vom Stapel gelaufen. Zwei Schwesterschiffe sollen bald folgen. Daniel Rieger vom NABU begrüßt Norwegens Initiative: "Über die bisherigen technischen Möglichkeiten hinauszugehen, traut sich kaum ein Gesetzgeber. Umso erfreulicher ist es, dass Norwegen nun Vorgaben macht, bei denen sich die Kreuzfahrtanbieter wirklich strecken müssen."
Norwegen ist außerdem zusammen mit Deutschland Vorreiter in Sachen Landstrom. Fast die Hälfte der Reisezeit liegt ein Kreuzfahrtschiff im Hafen. Dort schaltet es zwar von Schweröl auf Marinediesel um. Doch selbst der enthält immer noch 100-mal mehr Schadstoffe als PKW-Diesel. Um die Luftverschmutzung einzudämmen, haben Städte wie Hamburg und Kristiansand (Norwegen) mittlerweile Landstromanlagen gebaut. Rostock-Warnemünde und Kiel sollen 2020 folgen. Auch immer mehr Kreuzfahrtanbieter rüsten den Landstromanschluss auf ihren Schiffen nach. Das sei ein wichtiger Schritt, meint Daniel Rieger, denn Landstromanlagen würden nicht nur den Schadstoff-, sondern auch die CO2-Ausstoß der Schiffe während der Liegezeit auf Null reduzieren - vorausgesetzt der Strom stammt aus erneuerbaren Energien. Was noch fehle, sei laut Rieger eine ausreichende Infrastruktur sowie verpflichtende Vorschriften für die Reedereien, den teureren Landstrom auch zu nutzen.
Emissionsfreie Kreuzfahrt: (noch) in weiter Ferne
LNG-Antrieb und Landstrom könnten also übergangsweise die Schadstoff- und CO2-Bilanz der Kreuzschifffahrt verbessern. Doch auf lange Sicht sollen auch alternative Antriebsformen eine noch größere Rolle spielen. Wie in der Automobilindustrie stehen Batterien und Wasserstoff-Brennstoffzellen im Fokus. AIDA will bereits 2020 auf einem seiner Schiffe Lithium-Ionen-Batterien testen. Ein Jahr später sollen auf der AIDANova zum ersten Mal Brennstoffzellen zum Einsatz kommen. Die Branche macht also erste Schritte hin zur emissionsfreien Kreuzfahrt. Was diesem Ziel im Weg stehen könnte, ist der Bau immer größerer Schiffe mit entsprechend großem Energiehunger, etwa die Global Dream für 9500 Passagiere. "Es ist fraglich, ob Schiffe, mit bis zu 10.000 Menschen an Bord, jemals ausschließlich mit alternativen Antrieben fahren können", meint Daniel Rieger.
Doch all das bleibt zunächst Zukunftsmusik. Für den Großteil der bestehenden Schiffe wird sich vorerst wenig ändern. Um sauberer zu fahren, müssten sie auf den teureren Marinediesel umsteigen, wie es Hapag Lloyd Cruises vorgemacht hat. Doch Schweröl ist für viele Kreuzfahrtanbieter, wie auch für die Handelsschifffahrt, immer noch die weitaus günstigere Alternative. Mit den niedrigeren Schwefelgrenzwerten der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO), die 2020 in Kraft treten, könnte sich das allerdings ändern. Schweröl könnte dann teurer werden und den Reedereien einen neuen Anreiz geben, auf saubereren Kraftstoff umzusteigen.
Dialog mit den Hafenstädten ist notwendig
Das rasante Wachstum der Kreuzfahrtbranche hat nicht nur zu einer erhöhten Umweltbelastung geführt. Auch die Touristenzahlen sind so schnell angestiegen, dass einige Hafenstädte den Massenandrang kaum noch bewältigen können. Städte wie Dubrovnik, Venedig oder Bergen haben mittlerweile auf den anhaltenden Protest ihrer Einwohner reagiert und die Zahl der erlaubten Kreuzfahrtschiffe begrenzt. Auch die Branche hat verstanden, dass eine Überlastung der Urlaubsorte ihr gesamtes Geschäftsmodell gefährden kann. "Die Kreuzfahrtbranche hat eine Verantwortung den Destinationen gegenüber, umgekehrt sind auch die Destinationen verantwortlich für ein nachhaltiges Tourismusmanagement.", so Hapag Lloyd Cruises gegenüber der DW. Tatsächlich wird eine langfristige Lösung wohl nur mit einer vertieften und dauerhaften Kooperation zwischen Reedereien und Hafenstädten zu erreichen sein. Erste Initiativen gibt es bereits. Sollte dieser Balanceakt allerdings scheitern, hilft der Kreuzfahrtbranche auch der sauberste Treibstoff nicht.