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Politik

Migration: Schwere Vorwürfe gegen griechische Behörden

27. Mai 2021

Asylsuchende in Griechenland leben in einer rechtlichen Parallelwelt aus Inhaftierungen ohne Gerichtsbeschluss, willkürlicher Polizeigewalt und illegalen Pushbacks. Experten fordern ein unabhängiges Überwachungssystem.

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Griechenland  Migration | Verlassenes Haus
In Thessaloniki verstecken sich Migrierende in verlassenen Häusern oder ausrangierten Zügen vor der PolizeiBild: Janos Hadju

Nach einem halben Jahr Lockdown sind die Cafés im Zentrum von Thessaloniki voller Menschen. Die 26-jährige Britin Hope Barker freut sich, endlich wieder Leben in den Straßen von Griechenlands zweitgrößter Stadt zu sehen. Seit 2018 lebt sie hier, arbeitet für die sogenannten "people on the move", zu Deutsch "Menschen in Bewegung". Gemeint sind Migrierende, die sich legal oder illegal in Griechenland aufhalten und hoffen, dass sie es irgendwie nach Westeuropa schaffen.

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie habe sich die Lage für Asylsuchende in Griechenland merklich verschlechtert, erklärt Barker. Während die meisten Einwohnerinnen und Einwohner des EU-Landes das Ende der Maßnahmen gegen COVID-19 genießen, säßen viele Menschen fest: "Es gibt Strafen für Obdachlose, die sich während des Lockdowns draußen aufhielten." Asylsuchende würden in Lagern festgehalten oder auf andere Weise inhaftiert - egal, ob sie Papiere hätten oder nicht.

Griechenland  Migration | Britin Hope Barker
Die 26-jährige Britin Hope Barker (r.) arbeitet in Griechenland für "people on the move"Bild: Privat

Hope Barker ist Teil des "Border Violence Monitoring Network" (BVMN), einer unabhängigen Nichtregierungsorganisation, die auf dem ganzen Balkan die Lage von Migrierenden beobachtet und Menschenrechtsverletzungen registriert. Während sich die Weltöffentlichkeit auf die Insel Lesbos und das dortige neue Camp Mavrovouni konzentriert, das in vielen Medien "Kara Tepe" genannt wird, agiert die griechische Polizei im Norden des EU-Landes außerhalb der medialen Aufmerksamkeit.

Dabei berichten Migrierende von Entführungen durch die Behörden auf offener Straße oder aus dem nahegelegenen Camp Diavata. Und nicht nur das: Menschenrechtsorganisationen wie das BVMN erheben weitere, schwere Vorwürfe gegen die griechischen Behörden. In den sechs Abschiebegefängnissen auf dem Festland berichten ehemalige Insassen von struktureller Gewalt und anderen Menschenrechtsverstößen.

Willkürliche Verhaftungen

Viele Migrantinnen und Migranten leben inzwischen auf der Straße. In den Rotlichtvierteln um den Bahnhof von Thessaloniki verstecken sie sich nachts in verlassenen Häusern oder ausrangierten Zügen - in ständiger Angst vor der Polizei. Eine ihrer vielen Sorgen: Illegale Abschiebungen in die Türkei, was bedeutet, dass sie von griechischen Behörden an die Grenze am Fluss Evros gebracht und dann von ausländischen Schleppern, die vermutlich mit den Behörden zusammenarbeiten, ans türkische Ufer gebracht werden.

Griechenland  Migration | Reza aus Afghanistan
Der 23-jährige Reza aus Afghanistan hat Papiere. Trotzdem lebt er in Thessaloniki auf der StraßeBild: Janos Hadju

"Ich habe Papiere. Aber wir müssen uns verstecken, weil die Polizei uns sonst festnimmt", erzählt der 23-jährige Reza aus Afghanistan. Es ist früher Abend und er sucht mit einigen Begleitern einen Schlafplatz für die Nacht: "Ich bin seit fast vier Monaten hier und suche nach Arbeit, aber finde nichts." Selbst Menschen, die in Griechenland Asyl erhalten haben, fänden weder Jobs noch eine Unterkunft. Neben den Abschiebungen fürchten sie sich auch davor, in einem der Abschiebegefängnisse zu landen.

Extrem gewalttätig

Ein ehemaliger Insasse im nordgriechischen Abschiebegefängnis Paranesti berichtet dem BVMN: "Die Inhaftierten bekommen sehr wenig zu essen. Sie erhalten auch keine Kleidung und werden andauernd beleidigt oder geschlagen." Wenn sie sich bei den Wachen über diese Missstände beschwerten, würden vermummte Polizisten die Inhaftierten verprügeln. Er selbst sei viele Male misshandelt worden: mit der Faust, mit Schlagstöcken oder durch Tritte.

Griechenland  Migration | Abschiebegefängnis Paranesti
Hilfsorganisationen kritisieren: Im Abschiebegefängnis Paranesti kommt es regelmäßig zu Verletzungen der MenschenrechteBild: Janos Hadju

Hope Barker unterstreicht, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt. Die Methoden der griechischen Behörden seien brutal - sowohl in den Asylunterkünften als auch in den Abschiebegefängnissen und bei der Durchführung illegaler Rückführungen. Selbst vor Elektroschockern, Wasserfolter oder Zwangsentkleidungen mache man keinen Halt. Migrierende hätten dem BVMN berichtet, dass sie oft stundenlang misshandelt wurden: "Menschen wurde der Kopf rasiert. Das sind nicht einfach Pushbacks, das ist auch extrem gewalttätig."

Ombudsmann ohne Mittel und Befugnisse

Die griechische Regierung schweigt zu diesen Vorwürfen oder dementiert sie. Der zuständige Ombudsmann, Andreas Pottakis, hat einen Bericht veröffentlicht, in dem er sich zu einigen Vorfällen äußert. Dabei kritisiert Pottakis, dass ihm für eingehende Untersuchungen die Mittel und Befugnisse fehlten. Er hatte die zuständigen Polizeibehörden dazu aufgerufen, die Fälle selbst zu untersuchen. Diese hätten ihm dann mitgeteilt, die internen Untersuchungen hätten keine Gesetzesbrüche von Seiten griechischer Beamten feststellen können.

Griechenland  Migration | Anwalt Dimitris Koros
Der Anwalt Dimitris Koros kritisiert das scharfe Vorgehen gegen Migranten in GriechenlandBild: Janos Hadju

Dimitris Koros, Rechtsanwalt beim Griechischen Flüchtlingsrat, kritisiert vor allem das verschärfte Asylgesetz. Die Polizei könnte demnach auch Asylsuchende mit gültigen Papieren für kleinste Vergehen verhaften und in Abschiebegefängnissen festhalten - auch ohne Gerichtsbeschluss. "Das ist eine Parallelwelt neben dem eigentlichen Strafrechtssystem", so Koros im DW-Interview. Für ihn geht das zu weit: "Inhaftierung ist ein Mittel zum Zweck. Das bedeutet, dass Migrierende nur dann inhaftiert werden sollten, wenn eine Rückführung legal möglich erscheint."

Festung Europa

Stattdessen nimmt die Festung Europa Gestalt an in Griechenland. Die Abschiebegefängnisse auf dem Festland, die neuen Hotspots auf den Inseln: Alles Hochsicherheitsanlagen finanziert mit europäischem Geld. Auch im Willkommens- und Identifikationszentrum Diavata entsteht derzeit eine drei Meter hohe Mauer. In Auftrag gegeben wurde diese von der Internationalen Organisation für Migration (IOM), einer Flüchtlingsorganisation der UNO. Das zeigt eine Ausschreibung der Institution vom 5. Januar 2021, in der allerdings von einer "Einzäunung" die Rede ist.

Griechenland  Migration | Wilkommens- und Identifikationszentrum in Diavata
Im Wilkommens- und Identifikationszentrum in Diavata entsteht derzeit mit EU-Geldern eine drei Meter hohe MauerBild: Janos Hadju

Am 26. Mai 2021 organisierte die IOM ein Pressegespräch zur derzeitigen Situation der Migrierenden in Griechenland. Gianluca Rocco, Leiter der Organisation in Athen, versichert, dass die Willkommens- und Identifikationszentren auch weiterhin offen sein würden - es sei denn, "Griechenland entscheidet sich dazu, sich nicht an die EU-Richtlinien und Konventionen zu halten, die es unterschrieben hat."

Es fehlt an Kontrollen

Auf die Frage der DW, ob IOM wisse, dass es sich bei der "Einzäunung" um eine Betonmauer handelt, antwortet Rocco: "IOM verwaltet ein Projekt, das von der EU finanziert wird. Dieses Projekt unterstützt die griechischen Behörden bei der Verwaltung der 31 Camps auf dem Festland." Dazu gehörten auch Bau- und Instandhaltungsaktivitäten. "Es gab ein Ersuchen der griechischen Regierung, einen Zaun in Diavata und an drei weiteren Orten zu errichten." IOM hätte dies evaluiert - und Athen über Handlungsoptionen informiert.

Um weitere Rechtsbrüche zu verhindern, fordert Flüchtlingshelferin Hope Barker die Schaffung eines unabhängigen Kontrollmechanismus aus Organisationen, die mit der Situation von Migrantinnen und Migranten gut vertraut sind: "Das muss von der EU-Kommission unabhängig finanziert werden. Außerdem müssen unangekündigte Kontrollen stattfinden, auch an den Grenzen." Angekündigte Besuche in den Unterkünften, so wie sie jetzt etwa durch das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) stattfinden, reichten nicht aus, um sicherzustellen, dass sich Beamte im EU-Mitgliedsstaat Griechenland an national und international geltendes Recht hielten.