Impfstoff gegen Corona ist knapp und wird es in der Europäischen Union noch eine Weile bleiben. Da helfen auch laute Forderungen, dass schneller geimpft werden müsse, beim Gipfeltreffen der EU im virtuellen Raum wenig. Die Schuldfrage zu stellen, ist müßig, denn die EU-Kommission hat inzwischen 2,6 Milliarden Impfdosen bei sechs Herstellern bestellt. Das Problem sind diesmal nicht der Wille oder der Zusammenhalt in der EU, sondern schlicht und einfach die immer noch im Aufbau befindlichen Produktionskapazitäten und vor allem ein Lieferant, der nicht vertragsgemäß liefert: AstraZeneca.
Es ist richtig, dass andere Staaten schneller und cleverer waren bei der Impfstoffbeschaffung. Die USA haben ihre Produktionsstätten rechtzeitig ausgebaut und ein Exportverbot verhängt. "America first" ist das richtige, weil erfolgreiche Rezept gewesen. Israel und Großbritannien haben hoch gepokert, sich jeweils auf einen Hersteller verlassen und diesen vorteilhafte Verträge abgeluchst. Am Ende hat "UK first" und "Israel first" funktioniert.
Solidarität nach außen
Die EU war zu langsam und zu spät und nicht risikobereit genug. Das hat die EU-Kommission inzwischen erkannt und eingeräumt. Daran haben aber alle 27 Mitgliedsstaaten mitgewirkt. Jetzt mit dem Finger aufeinander zu zeigen, bringt überhaupt nichts mehr.
Die Europäische Union ist die einzige Region im reichen Westen, die überhaupt Impfstoff in größerem Umfang exportiert hat, nämlich 70 von 150 Millionen produzierten Dosen, ein Teil davon auch in ärmere Länder im Impfverbund COVAX der Vereinten Nationen.
Ein Exportverbot droht vor allem Großbritannien, das selbst Impfstoff produzieren kann, aber zusätzlich 21 Millionen Dosen aus der EU bezogen hat. Impfstoff-Ausfuhren in ärmere Länder, auch in unmittelbarer Nachbarschaft der Europäischen Union, sollen ungehindert weitergehen. Und das ist richtig so, denn natürlich gilt die Binsenweisheit: So lange nicht die gesamte Weltbevölkerung geimpft ist, ist niemand so richtig sicher vor COVID-19. Würde die EU jetzt auch einfach auf "EU first" setzen und alle Exporte stoppen, würden viele andere Staaten leiden.
Solidarität nach innen
Dass das Impfen eine gewisse Zeit brauchen, am Anfang zunächst wenig und dann immer mehr Impfstoff verfügbar sein würde, war eigentlich eingeplant. Dennoch sind die Erwartungen und die Hoffnung, endlich Todeszahlen zu senken und von den entnervenden und teuren Einschränkungen des Lebens befreit zu werden, immens hochgepeitscht worden. Impfen ist ein hochemotionales Thema. Kein Wunder, dass auch die EU-Staats- und Regierungschef gereizt, panisch, mitunter missgünstig und hektisch agieren, wenn es um das Leben rettende Elixier geht.
Trotzdem ist es richtig, als EU beim Impfen gemeinsam zu handeln. Einzeln hätten sich die Mitgliedsstaaten auf dem Impf-Basar gegenseitig zerfleischt. Die Solidarität funktioniert noch. Das zeigt die prinzipielle Einigung auf einen angepassten Verteilungsmechanismus innerhalb der EU, um die Lieferungen an Staaten zu erhöhen, die bislang relativ weniger erhalten haben.
Dabei spielt es keine Rolle, dass diese Staaten wie Bulgarien oder Kroatien durch ihre Einkaufspolitik selbst das Ungleichgewicht erzeugt haben. Natürlich läuft nicht alles glatt bei der Impfkampagne. Aber die stetige Erzählung von dem durch die EU verursachten Impfchaos ist schlicht falsch. Ohne die Europäische Union wäre die Lage noch viel schlimmer.
In der Impfpolitik macht die EU also keine so fatale Figur, wie oft behauptet wird. Was allerdings gar nicht funktioniert, ist die Koordination von Anti-Corona-Maßnahmen und die Organisation des Reiseverkehrs in Europa. Da macht jeder Staat, was er will. Österreich ordnet einen Lockdown über Ostern an, Deutschland hebt ihn wieder auf. In Deutschland sind die Hotels geschlossen, in Belgien sind sie offen. In Belgien sind die Grenzen geschlossen. In Spanien sind sie offen. In Frankreich herrscht eine Ausgangssperre, in Deutschland nicht. Und das alles bei ähnlichem Infektionsgeschehen. Das versteht keiner.