Linke: neue Führung, alte Ziele
26. Februar 2021So viel Staat war schon lange nicht mehr. Seit dem Beginn der Corona-Pandemie verschulden sich die Länder weltweit, um das Schlimmste abzuwenden. Deutschland, das jahrelang ohne neue Kredite ausgekommen ist, bildet da keine Ausnahme. Die unter Kanzlerin Angela Merkel durchgesetzte Politik der "schwarzen Null" ist Vergangenheit. Wäre es nach der Partei "Die Linke" gegangen, hätte es die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse nie geben dürfen. Weil, so ihre Argumentation, immer auf Kosten der Ärmsten und Schwächsten gespart worden sei.
Und jetzt, wo hunderte von Milliarden Euro aufgenommen werden, um Konzerne, Mittelstand und Selbstständige vor dem Ruin zu retten? Prangert die Linke den Kurswechsel der Bundesregierung trotzdem an, weil das viele Geld aus ihrer Sicht überwiegend bei den Falschen landet: gigantische Rettungspakete für Global Player wie die Lufthansa und nur ein paar Krümel für Menschen, die schon vorher wenig hatten: Rentner, Arbeitslose, Geringverdiener, Alleinerziehende. Vor allem die Kinderarmut steigt laut einer aktuellen Studie.
Wer profitiert von der Corona-Krise? Und was muss ich ändern - national wie international? Diese Fragen werden auf dem wegen der Pandemie dezentralen Online-Parteitag der Linken an diesem Freitag und Samstag eine wichtige Rolle spielen. Das virtuelle Treffen ist aber auch ein Abschied: Die seit 2012 amtierende Doppelspitze Katja Kipping und Bernd Riexinger kandidiert nicht mehr für den Vorsitz. Sieben Monate vor der Bundestagswahl im September stehen die Sozialisten vor einem personellen Neuanfang - der soll mit den beiden Frauen Janine Wissler und Susanne Henning-Wellsow gelingen.
"Wer nicht regiert, wird noch weniger gehört als sonst"
Das nun abtretende Duo hinterlässt eine Partei, die um den erneuten Einzug in den Bundestag bangen muss. Im aktuellen Deutschlandtrend liegt sie mit sechs Prozent nur knapp über der Sperrminorität von fünf Prozent. Die geringe Zustimmung in der Wählergunst erklärt sich Katja Kipping auch mit der Corona-Krise: "Wer nicht regiert, wird noch weniger gehört als sonst." Auf die Linke mag das zutreffen. Für eine andere und die aktuell kleinste Oppositionsfraktion im Parlament gilt jedoch das Gegenteil: Die Grünen schwimmen mit 21 Prozent in den Umfragen auf einer nie erlebten Erfolgswelle. Deshalb ist auch das Medieninteresse an ihnen größer.
Doch trotz des Höhenflugs der Umweltpartei dürfte der von den Linken schon lange gehegte Traum von einem Bündnis mit eben diesen Grünen und den Sozialdemokraten (SPD) für ganz Deutschland eine Illusion bleiben. Denn auch zusammen mit der chronisch schwächelnden SPD, die in Umfragen bei 15 Prozent verharrt, ist Rot-Rot-Grün weit von einer rechnerischen Mehrheit entfernt. Nur einmal, nach der Bundestagswahl 2013, sah das anders aus. Doch die SPD entschied sich damals für eine Koalition mit Angela Merkel.
Ihre DDR-Vergangenheit hält die Linke für abgehakt
Die Bilanz der nach neun Jahren abtretenden Linken-Spitze fällt also gemischt aus. Als Makel empfindet es Katja Kipping, "dass wir noch nicht dauerhaft im zweistelligen Bereich sind". Dennoch verabschiedet sich die 43-jährige Sächsin mit einem guten Gefühl: "Wir sind aus der politischen Landschaft nicht mehr wegzudenken. Das ist nicht nur eine Frage von Prozenten." Damit spielt sie auf Erfolge an, die während ihrer Amtszeit in einigen Bundesländern glückten. Herausragend war der Triumph in Thüringen, wo seit 2014 Bodo Ramelow als erster Ministerpräsident der Linken regiert.
In dem ostdeutschen Bundesland koalieren die Sozialisten ebenso mit SPD und Grünen wie in den Stadtstaaten Berlin und Bremen. Wobei die Linke ihre Regierungsbeteiligung in der Hansestadt als Beleg dafür auffasst, endgültig im Westen angekommen zu sein. Dort sei man lange wegen ihrer Vergangenheit als DDR-Staatspartei beschimpft worden: "SED-Nachfolgepartei, Kommunisten..." Das sei aber nicht mehr so, freut sich der aus dem strukturell eher konservativen Baden-Württemberg stammende Bernd Riexinger über einen in seiner Wahrnehmung veränderten Umgang mit der Linken: "Auch wenn sie nicht alles gut finden, was wir machen - wir sind eine Partei, mit der die Leute diskutieren."
"Wir sind Friedens- und Menschenrechtspartei"
Der 66-jährige zieht wie Kipping eine im Großen und Ganzen positive Bilanz seiner Amtszeit. Die Linke habe sich programmatisch erweitert. Als Beispiele nennt er durchgerechnete Renten- oder Steuerkonzepte. Und das Image der ewigen Nein-Sager-Partei, glaubt Riexinger, gehöre der Vergangenheit an: "Wir sagen auch, wohin wir wollen und nicht mehr nur, wogegen wir sind." Auch den Vorwurf, die Linke habe zu viel Verständnis für Russland, weist der frühere Gewerkschaftsfunktionär zurück. Da werde in der Partei inzwischen schon genauer hingeguckt. "Wir sind Friedens- und Menschenrechtspartei, da haben wir eine sehr klare Position dazu."
Kampfeinsätze der Bundeswehr wie in Afghanistan lehnt die Linke strikt ab. Allerdings gibt es durchaus Stimmen, die sich friedenssichernde Blauhelm-Missionen unter dem Dach der Vereinten Nationen (UNO) vorstellen können. Dazu gehört die designierte Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow. Den Vorsitz wird sie sich voraussichtlich mit der ebenfalls kandidierenden Janine Wissler teilen, die sich in einem Interview mit dem "Tagesspiegel" klipp und klar gegen jegliches Engagement der Bundeswehr im Ausland aussprach. Sie sehe da gar keine Möglichkeit für Kompromisse. "Ein bisschen Krieg gibt es nicht."
"Wir wollen die Verhältnisse ändern"
Doch auch, wenn sie demnächst die Partei gemeinsam führen - große Einigkeit herrscht bei den beiden (noch) nicht. Beispielsweise die Frage nach dem Willen zum Regieren beantworten die beiden Frauen unterschiedlich. Susanne Hennig-Wellsow verweist auf die drei Bundesländer, wo die Linke mitregiert. Deshalb kann sie sich vorstellen, für ganz Deutschland ebenfalls Verantwortung zu übernehmen. Janine Wissler, die sich selbst als Marxistin bezeichnet, klingt da schon zurückhaltender: "Regieren ist ja kein Selbstzweck." Einig sind sich die Frauen hingegen darin, dass der Kapitalismus in seiner bestehenden Form nicht zukunftstauglich ist. "Wir wollen die Verhältnisse ändern", kündigten sie in dem gemeinsam geführten Zeitungsinterview an.