Corona: Kinderarmut besorgt Politik
22. Juli 2020In regelmäßigen Abständen veröffentlicht die Bertelsmann-Stiftung Studien zur Armut in Deutschland, vor allem zur Kinderarmut. Diesmal stellt sich heraus: Die Corona-Krise verschärft die ohnehin schon bestehenden Probleme. Mehr als jedes fünfte Kind, genau 21,3 Prozent der Kinder, lebt in Armut. Das sind 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Und dass, obwohl vor der Pandemie die lange wirtschaftliche Hochphase eigentlich auch diesen Familien hätte zu Gute kommen müssen. Aber die Armut verharrt seit Jahren auf diesem Niveau. Jetzt droht die Krise die Lage zu verschärfen.
Viele Eltern armer Kinder arbeiten in Teilzeit oder als Minijobber. Das ist genau die Personengruppe, die von Entlassungen durch die Corona-Einschränkungen besonders betroffen waren und sind. Viele Kinder sind auf staatliche Leistungen außerhalb dieser Familien angewiesen, etwa also Schulessen. Auch diese Leistungen fielen durch Corona weg oder wurden stark reduziert. Zudem können solche Kinder weniger als andere auf Computer im Elternhaus zurückgreifen, und können kaum Online Lernen.
Armutsgrenze für Familien bei 1000 Euro
Als arm gelten in Deutschland Familien, die über weniger als 60 Prozent des Durchschnittslohns verfügen. Derzeit beträgt dieser Durchschnittslohn etwa 21.500 Euro Netto im Jahr. Arm ist demnach eine Familie, die mit etwa 1000 Euro im Monat über die Runden kommen muss.
Das Deutsche Kinderhilfswerk forderte Bund, Länder und Kommunen dazu auf, eine Kindergrundsicherung einzuführen."Auf gar keinen Fall dürfen etwa die Kinder-und Jugendarbeit, das Schwimmbad oder die Bibliothek vor Ort den Einsparungen nach der Krise zum Opfer fallen", sagte Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann.
SPD: Unterstützung für Kindertagesstätten gefordert
Auch die Bundestagsfraktionen rief die neue Studie auf den Plan. So sagte die arbeits- und sozialpolitische Expertin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, der DW am Mittwoch: "Wir verfolgen konsequent unser Ziel der sozialdemokratischen Kindergrundsicherung. Auch in der Corona-Krise bleiben wir unserem Ziel treu, nicht nur durch den Kinderzuschlag, der auf keine Sozialleistung angerechnet wird, sondern auch mit weiteren Milliarden für den Kita-Ausbau und Ganztagsschulen. Das alles war nur möglich, weil die SPD in die Bundesregierung eingetreten ist und Kurs hält."
Kindergrundsicherung: Unter diesem Stichwort finden sich viele Ansätze in der politischen Debatte, seit vielen Jahren schon. Die meisten Befürworter einer solchen Grundsicherung meinen damit nicht nur ausreichende finanzielle Absicherungen, sondern auch die Bereitstellung von preiswerten öffentlichen Angeboten. Vor allem aber: Was Kinder wirklich brauchen, soll dann unabhängig von den Hartz-Vier-Sozialhilfesätzen ihrer Eltern ermittelt werden. Das hieße aber auch: Der Staat muss viel Geld in die Hand nehmen. Ein schwieriges Thema angesichts der durch die Corona-Krise leeren Staatskassen.
Grüne: Kinderarmut nicht weiter ignorieren
Katja Dörner, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik der Fraktion der Grünen, sagte der DW am Mittwoch: "Die Bundesregierung darf die Kinderarmut nicht länger ignorieren. Kein Kind und kein Jugendlicher kann etwas für Armut. Sie alle haben das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe, auf gute Bildung und faire Chancen. Armut schließt viele Kinder von vielen Dingen des Alltags aus, die für die meisten Gleichaltrigen ganz normal sind."
Auch die Grünen erheben die Forderung nach einer Grundsicherung. Dörner: "Die Einführung einer Kindergrundsicherung wäre hier der richtige Weg. Die Kindergrundsicherung muss sich an den realen Bedarfen von Kindern orientieren und automatisch und ohne bürokratische Hürden ausgezahlt werden."
Linke: Mehr für Arbeitnehmerrechte tun
Die Linke glaubt nicht daran, dass sich das Niveau der Kinderarmut in Deutschland allein auf die Corona-Krise zurückführen lässt. Parteichef Bernd Riexinger sagte: "Kein Kind ist verantwortlich für seine Armut. Wenn vor allem Kinder von Minijobbern, Zeitarbeit- und Teilzeitbeschäftigten betroffen sind, ist nicht Corona schuld."
Verantwortlich seien diejenigen, die dafür sorgten, dass die Eltern der Kinder in unsicheren schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen steckten. "Deshalb sind Stärkung von Arbeitnehmerrechten, Tarifverträgen und Anhebung des Mindestlohns praktische Maßnahmen gegen Kinderarmut."
Leichte Anhebung des Mindestlohns
Der gesetzliche Mindestlohn ist zu Beginn des Jahres geringfügig erhöht worden, von 9,19 auf nun 9.35 Euro pro Stunde. Bis Mitte 2022 soll er auf 10,45 Euro steigen. Zudem hat die Regierung eine Einmalzahlung von 300 Euro pro Kind ausdrücklich wegen der Belastungen in der Corona-Krise beschlossen. Dieses Geld soll im Herbst ausbezahlt werden. Wenn aber die ohnehin schlecht bezahlten Jobs wegen der Pandemie ganz wegfallen oder nur noch Kurzarbeit möglich ist, dann hilft auch diese Einmalzahlung nicht den meisten Kindern sozial schwacher Familien.