Wie viel DDR steckt noch in der Linken?
3. März 2020"Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab." Diesen Beschluss fasste die Christlich-Demokratische Union auf ihrem Bundesparteitag 2018 in Hamburg. Gäbe es ihn nicht, wäre Bodo Ramelow (Linke) vielleicht schon am 5. Februar wieder zum Ministerpräsidenten im Bundesland Thüringen gewählt worden – als Chef einer Minderheitsregierung.
Doch dafür hätten sich im entscheidenden Wahlgang einige CDU-Abgeordnete zumindest der Stimme enthalten müssen. Denn der seit 2014 amtierende erste linke Ministerpräsident hat bei der Landtagswahl im Oktober 2019 seine Regierungsmehrheit verloren. Und das, obwohl die Linkspartei sogar zugelegt hat, ihre bisherigen Koalitionspartnerinnen SPD und Grüne aber gleichzeitig verloren haben.
Warum es Bodo Ramelow im zweiten Anlauf doch schaffen könnte
Trotzdem zeichnete sich für einen kurzen Moment die Fortsetzung des rot-rot-grünen Bündnisses als Minderheitsregierung ab. Entsprechende Signale sendete noch am Wahlabend der inzwischen abgelöste Thüringer CDU-Fraktionsvorsitzende Mike Mohring. Doch postwendend wurde er von der Partei-Zentrale in Berlin zurückgepfiffen. Seitdem ist der umstrittene Unvereinbarkeitsbeschluss wieder in aller Munde – und könnte am 4. März zur nächsten Zerreißprobe für die CDU führen.
An diesem Tag kandidiert Bodo Ramelow erneut. Und dieses Mal soll seine Wahl nicht an den Thüringer Christdemokraten scheitern. Darauf haben sie sich mit der Linken verständigt. Teil des Deals sind vorgezogene Neuwahlen im April 2021. Aber auch diesen Kompromiss lehnt die Berliner CDU-Zentrale unter Verweis auf den Unvereinbarkeitsbeschluss ab. Begründet wird die Unnachgiebigkeit damit, die Linke sei Nachfolgerin der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und damit verantwortlich für das Unrecht in der DDR-Diktatur bis 1989.
Werner Patzelt lobt Integrationsleistung der ehemaligen SED
Einer, der damit überhaupt nichts anfangen kann, ist Werner Patzelt. Der Wissenschaftler, selbst CDU-Mitglied, leitete von 1992 bis 2019 das Institut für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Sein Befund: Die Linkspartei habe sich mit ihren politischen Prioritäten und Zielstellungen "tatsächlich in unser politisches System" eingebracht. Patzelt attestiert der Linken im DW-Interview sogar einen großen Anteil daran, "dass die Wiedervereinigung mit in der Wolle gefärbten Kommunisten in der ehemaligen DDR so reibungslos gelungen ist".
Als ein besonders überzeugendes Beispiel für den Kurswechsel der Linken nennt der Politologe die Wirtschaftspolitik: Die SED habe mit dem Volkseigentum an Produktionsmitteln die DDR-Wirtschaft "stranguliert". Die heutige Linke hingegen verlange überhaupt nicht die flächendeckende Einführung des Volkseigentums – im Gegenteil: Sie verlange in der Tradition der sozialen Marktwirtschaft, dass die Wirtschaft kein Selbstzweck sein dürfe, "sondern im Dienst des Menschen zu stehen hat".
1990: PDS statt SED
Ihre Abkehr von der Diktatur leitete die bis zum Fall der Berliner Mauer allmächtige SED Ende 1989 auf einem außerordentlichen Parteitag ein. Die verbliebenen Mitglieder seien nicht bereit, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen. "Sie bekennen sich aber zu dem hier vollzogenen Bruch mit dem Stalinismus und zum ernsthaften Neubeginn." Zweifel an der Glaubwürdigkeit waren zu diesem frühen Zeitpunkt nur allzu verständlich.
Dennoch war die 1990 in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) umbenannte SED-Nachfolgerin im Osten schnell erfolgreich. In Mecklenburg-Vorpommern wurde sie schon acht Jahre nach der Deutschen Einheit Juniorpartnerin der regierenden SPD. Noch viel umstrittener war das 2002 besiegelte rot-rote Bündnis in der einstigen Mauerstadt Berlin.
Rot-Rot in Berlin blickt zurück – und nach vorn
In der Präambel des Koalitionsvertrags bekannte sich die ehemalige DDR-Staatspartei zu ihrer Verantwortung: "Die Distanzierung der PDS von den Unrechtstaten der SED und dem Mauerbau waren wichtige Schritte zur Aufarbeitung der unheilvollen Geschichte der SED. Es waren wichtige Schritte im Prozess der notwendigen Erneuerung der PDS."
Im Wissen um das Trennende aus der Geschichte bekundeten beide Regierungsparteien aber auch, "dass die Vergangenheit nicht auf Dauer die Zukunft beherrschen darf". Dies könne aber nur gelingen, "wenn nicht verdrängt und vertuscht wird".
Kritiker, nicht nur in der CDU, halten die heutige Linke dennoch weiterhin für gefährlich. Anhaltspunkte bietet ihnen auch der Verfassungsschutz. In seinem aktuellen Bericht werden sieben Strömungen innerhalb der Partei als "extremistisch" eingestuft. Darunter das "Marxistische Forum" und die "Kommunistische Plattform", deren Wortführerin anfangs die spätere Fraktionsvorsitzende im Bundestag Sahra Wagenknecht war. Trotz allem hält es Politikwissenschaftler Patzelt für abwegig, "die Linkspartei insgesamt vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen".
Die Ost-CDU war eine Stütze des DDR-Regimes
Einen differenzierten Blick wirft er auch auf die Geschichte der Ost-CDU, die sich 1990 mit der im Westen vereinigte. In der DDR waren die Christdemokraten eine sogenannte Blockpartei, die dem kommunistischen Regime treu ergeben war. Patzelt verweist allerdings darauf, dass sie teilweise mit Gewalt in das System hineingezwungen worden sei. Im Laufe der Zeit hätten sich aber auch manche Opportunisten der DDR-CDU angeschlossen und als "willfährige Werkzeuge" der führenden Partei gewirkt – und das war die SED.
Der CDU im Jahr 2020 rät Patzelt, Abgrenzungen nicht durch "Pauschalurteile" über politische Parteien zu machen. Stattdessen empfiehlt er, "Programme und Ziele anderer Parteien im Lichte dessen, was man selbst will, zu beurteilen". Das tut auch der seit 1989 amtierende CDU-Landrat im thüringischen Eichsfeld, Werner Henning. Gleich nach der Landtagswahl im Oktober empfahl er seiner Partei, eine Minderheitsregierung unter Führung der Linken zu unterstützen. Bodo Ramelow habe "gute Arbeit" geleistet.
Im Interview mit der Wochenzeitung "der Freitag" lobte Henning die Arbeit der Sozialisten auf kommunaler Ebene: "Ich erkenne gerade bei den Linken viel Kompetenz in der Sache." Auch der dienstälteste Landrat Deutschlands mahnt an, man müsse sich mit Unrecht aus der Vergangenheit befassen. Aber dabei müsse man der Gegenwart "so viel Luft lassen, dass wir die Menschen zur Arbeit kommen lassen". Und Henning erinnert an den Faktor Zeit: "Wir sind 30 Jahre danach!"
Zehn von 69 Bundestagsabgeordneten waren in der SED
Die jungen Leute, die heute für die Linke im Kreistag säßen, hätten nichts mehr mit dem Unrecht in der DDR zu tun. So sieht die Realität auch im Erfurter Landtag aus. Von den 29 Abgeordneten sind zwei Drittel zwischen 1972 und 1993 geboren. Sie waren, als die DDR in die Brüche ging, also noch Schüler, in der Kindertagesstätte oder nicht einmal geboren. Von den Übrigen hatten lediglich zwei als Mitglied der Kreisleitung in den 1980er Jahren eine herausgehobene SED-Vergangenheit.
Auch in der Bundestagsfraktion ist der klassische DDR-Anteil vergleichsweise klein. Fast zwei Drittel der Abgeordneten stammen aus dem Westen. Zehn von 69 Linken waren in der SED, darunter der frühere Fraktionschef Gregor Gysi und sein Nachfolger Dietmar Bartsch. Beide gelten auch außerhalb ihrer Partei als Politiker mit fast schon sozialdemokratischem Profil. Ein paar ehemalige westdeutsche Kommunisten tummeln sich zwar ebenfalls bei den Linken, die gibt es aber auch bei den Grünen. Bekanntestes Beispiel ist der Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann.
Am meisten DDR- und vermutlich SED-Vergangenheit steckt wohl noch in der Mitgliedschaft der Linken. Fast die Hälfte ist 61 Jahre und älter, während die bis 35-Jährigen nur ein Viertel ausmachen. Unübersehbar ist zudem ein Stadt-Land-Gefälle. In urbanen Milieus hat die Partei keine Nachwuchsprobleme, während sie in dünn besiedelten Regionen ihre Funktion als Kümmerer- und Protestpartei oft schon an die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) verloren hat. Jener Partei, mit der die Bundes-CDU ebenfalls jede Zusammenarbeit kategorisch ausschließt.