Libanon nimmt Zentralbank unter der Lupe
17. September 2021Der libanesische Präsident Michel Aoun hat am 1. September ein Dekret unterzeichnet, um Alvarez & Marsal (A&M) 4,9 Milliarden libanesische Lira (das sind etwa 2,7 Millionen Euro) zu überweisen. A&M, eine international tätige Management-Consulting-Firma mit Sitz in New York, soll ihre gründliche juristische und fiskalische Untersuchung der libanesischen Zentralbank BDL (Banque du Libanon) wieder aufnehmen.
A&M hatte die Untersuchung im November 2020 wegen des Widerstandes der BDL und mangelnder Kooperationsbereitschaft abgebrochen, die Zentralbank hatte sich auf das Bankgeheimnis berufen. Im Dezember hatte das Parlament das Gesetz zum Bankgeheimnis, auf das sich die BDL bezog, auf Druck von Präsident Aoun aufgehoben.
Die Zukunft des Landes steht auf dem Spiel
Der Libanon ist in den vergangenen zwei Jahren in die finanzielle Katastrophe geschlittert. Dabei haben auch groß angelegte Betrugssysteme eine Rolle gespielt, bei denen immer wieder gewaltige Summen verliehen wurden - gegen das Versprechen hoher Zinsen.
Der Zusammenbruch dieser Schneeballsysteme zwang private Banken, Dollar-Guthaben ihrer Kunden einzufrieren. Dadurch verlor die Lira rund 90 Prozent ihres Wertes, rund die Hälfte der Bevölkerung stürzte in Armut.
Bis heute ist noch niemand für diesen wirtschaftlichen Zusammenbruch zur Rechenschaft gezogen worden. Die juristische Aufarbeitung soll aufklären helfen, was genau mit der libanesischen Wirtschaft geschehen und wer dafür verantwortlich ist.
Im Vergleich zu einer buchhalterischen Prüfung geht eine juristische Prüfung viel tiefer. Sie soll illegale Tätigkeiten aufdecken, Betrug, Fälschung und Unterschlagung offenlegen sowie Auslandsüberweisungen unter die Lupe nehmen. Laut der Tageszeitung The Daily Star wird A&M dem Finanzministerium in 12 Wochen einen vorläufigen Bericht vorlegen.
Die Überprüfung der Zentralbank ist für die Zukunft des Libanon von großer Bedeutung. Sie werde wirtschaftliche und finanzielle Schäden offenlegen, sagte Jamal Bleik, Leiter der Finanzabteilung bei der libanesischen "Transparency Association", einer Nicht-Regierungs-Organisation, der DW. Die Untersuchung spiele zudem eine wesentliche Rolle für die Aufklärung systemischer Korruption und die Möglichkeit, jene, die für Missmanagement und Fehlverhalten verantwortlich sind, zur Rechenschaft zu ziehen.
Schließlich sei sie auch eine Grundvoraussetzung, internationale Hilfe zu bekommen und das Vertrauen privater Investoren wiederzuerlangen. "Die Regierung glaubt, dass die juristische Untersuchung dem Libanon Zugang zu den Hilfsprogrammen internationaler Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds oder der Weltbank verschafft", so Jamal Bleik.
Schlupflöcher behindern die Aufklärung
Doch die Untersuchung steht vor mehreren Hürden, die ihren Erfolg gefährden. Steueranwalt Karim Daher sagte der DW, dass der Gesetzgeber zwei Schlupflöcher offengelassen habe, als er das Bankgeheimnis aufgehoben hat. Zum einen muss sich A&M bei der Präsentation des vorläufigen Berichtes sehr beeilen, weil die Aufhebung des Bankgeheimnisses auf nur ein Jahr befristet ist. Zum anderen sieht der Auftrag für die Prüfer vor, sich ausschließlich auf die Zentralbank zu konzentrieren. A&M kann daher nicht andere öffentliche Institutionen untersuchen, die in diesem Kontext von Interesse sind.
Dennoch, so Daher, könnten die Prüfer entdecken, "dass Politiker von Krediten profitiert oder subventionierte Kredite, die nicht für sie vorgesehen waren, in Anspruch genommen haben. Dazu kommen Steuerhinterziehung, Schenkungen oder andere kriminelle Machenschaften, einschließlich verschiedener Interessenkonflikte."
Der Beiruter Ökonom Sami Zoughaib sagte der DW, die BDL sei eine der undurchsichtigsten Zentralbanken der Welt: "Es gibt Beweise für betrügerische Buchführung. A&M wird sich ranhalten müssen, seine Untersuchung in so kurzer Zeit erledigen zu können."
Was geschieht als nächstes?
Jamal Bleik von "Transparency Association" verwies allerdings darauf, dass A&M seine gesammelten Ergebnisse der Nationalen Anti-Korruptionskommission vorlegen müsse. Diese Behörde sei aber noch gar nicht eingerichtet. Daneben müsse auch die "Special Investigation Commission" informiert werden, einer Sonderermittlungseinheit, der der Zentralbank-Gouverneur Riad Salameh vorsteht. Bleik: "Meiner Meinung nach ist das ein Interessenkonflikt."
Obwohl die politischen Parteien sich noch nicht gegen die A&M-Untersuchung ausgesprochen haben, polemisieren sie dennoch gegen das Prüfverfahren. Ökonom Zoughraib ist überzeugt, dass viele Versuche darauf abzielen, die Untersuchung zu sabotieren. Wenigstens wurde Gouverneur Salameh unter öffentlichem Druck dazu gezwungen, seine ablehnende Haltung gegenüber der Prüfung zu revidieren.
"Obwohl in der Schweiz gegen ihn ermittelt wird, ist Salameh im Libanon sehr mächtig, er kontrolliert die letzten noch verbliebenen Vermögenswerte des Landes. Er weiß von jedem Missmanagement in der politischen Klasse und der Führung des Landes", sagt Zoughaib und fügt hinzu: "Wenn er fällt, wird mit ihm das ganze Kartenhaus einstürzen."
Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen übersetzt.