Konflikt mit Moskau: Sorge in Skandinavien
18. Januar 2022Die russischen Truppenaufmärsche an der Grenze zur Ukraine haben in den vergangenen Tagen und Wochen weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Dass drei Schiffe der russischen Marine durch die Meerenge des Großen Belts in Dänemark von der Nordsee in die Ostsee eingelaufen waren, ging dabei in vielen Ländern fast unter. Dies gilt jedoch nicht für die skandinavischen Anrainerstaaten. Deren Regierungen werden angesichts der gesamten russischen Militärmanöver zunehmend nervös. Ein Überblick.
Schweden
Die Regierung in Stockholm reagierte prompt und öffentlichkeitswirksam: Gleich mehrere Panzerfahrzeuge wurden Ende der vergangenen Woche auf die Ostseeinsel Gotland geschickt, Soldaten patrouillieren seitdem auf den Straßen. Rund 60.000 Menschen leben auf der Insel, die zentral in der Ostsee und nur rund 350 Kilometer Luftlinie von der russischen Exklave Kaliningrad entfernt liegt. Vor allem im malerischen Hafenstädtchen Visby, dem Hauptort der Insel, bestimmt das Militär nun die Szenerie. Verantwortliche in der schwedischen Hauptstadt haben folgendes Worst-Case-Szenario vor Augen: Russland könnte in den nächsten Tagen oder Wochen nicht nur nach der Ukraine, sondern auch nach den baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen greifen und somit auch schwedischem Hoheitsgebiet bedrohlich nahe kommen. Schweden ist zwar kein Nato-Mitglied, arbeitet aber eng mit dem Bündnis zusammen. Seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland im Jahr 2014 hat Stockholm seine Verteidigungsmittel wieder aufgestockt. 2017 führte es die Wehrpflicht wieder ein.
Finnland
Mit seiner über 1300 Kilometer langen gemeinsamen Grenze ist Finnland so nah an Russland wie kaum ein anderes europäisches Land. Auch Finnland ist kein Mitglied der NATO, ähnlich wie in Schweden gibt es auch hier keine Mehrheit für einen Beitritt zum westlichen Verteidigungsbündnis. Dass die Regierung in Helsinki im Umgang mit Moskau lange als sehr pragmatisch galt, kann allerdings nicht über ein wachsendes Misstrauen hinwegtäuschen. Seit vielen Jahren gibt es eine in politischen Programmen festgeschriebene Beitrittsoption zur NATO; das bisher deutlichste Zeichen der Abkehr Finnlands von Russland kam im Dezember des vergangenen Jahres. Ministerpräsidentin Sanna Marin beendete einen jahrelangen Streit über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge und bestellte 64 hochmoderne F-35-Jets von Lockheed Martin in den USA. Kostenpunkt: 8,4 Milliarden Euro. Nach der russischen Forderung Ende Dezember, dass kein weiteres Land der Nato noch beitreten dürfe, legte Marin nochmal nach. Anfang Januar sandte sie via TV-Interview einen Gruß nach Moskau: "Wir werden uns nicht erpressen lassen."
Dänemark
Die Regierung in Kopenhagen fährt im Umgang mit Moskau derzeit eine Doppelstrategie. Zum einen hat sie, ähnlich wie die schwedische Regierung, die militärische Präsenz in der Ostsee verstärkt und eine Fregatte, mehrere F-16-Kampfflugzeuge und rund 200 Soldatinnen und Soldaten ins Baltikum entsandt.
Dänemark ist Gründungsmitglied der NATO, dementsprechend steht der Einsatz unter dem Oberkommando des Verteidigungsbündnisses. Zum anderen hat die Regierung in Kopenhagen auch beschlossen, die vom Konflikt mit Russland gebeutelte Ukraine mit umgerechnet rund 22 Millionen Euro zu unterstützen. Seit April 2014 kämpfen ukrainische Streitkräfte im Osten der Ukraine gegen von Russland unterstützte Separatisten. Ein unter deutsch-französischer Vermittlung vereinbarter Friedensplan von 2015 liegt auf Eis. Außenminister Jeppe Kofod zeigte sich nach einem Besuch im ostukrainischen Konfliktgebiet vor wenigen Tagen via Twitter auch aufgrund der Cyberangriffe auf Webseiten der ukrainischen Regierung besorgt.
Norwegen
Als einer der Gründungsstaaten der NATO ist Norwegen seit 1949 integraler Teil des westlichen Verteidigungsbündnisses und liegt an dessen nördlicher Außengrenze. Verteidigungspolitik spielt im Selbstverständnis des Landes eine große Rolle, jährlich leisten rund 8000 junge Männer und Frauen verpflichtend jedes Jahr ihren Wehrdienst ab. Norwegen teilt sich mit Russland eine knapp 200 Kilometer lange Landgrenze, beide Staaten konkurrieren zudem um Einflusssphären in der Arktis. Auch deswegen ist man in diesen Tagen bemüht, militärische Wehrhaftigkeit zu demonstrieren. Erst vor kurzem hat die Regierung ein neues Militärabkommen mit den USA ausgehandelt, in dem Norwegen den US-Amerikanern Zugang zu vier Militärstützpunkten gewährt, die sie im Kriegsfall nutzen könnten. Zudem wird auf norwegischem Hoheitsgebiet im März und April mit der NATO-Übung Cold Response eine der größten Militärübungen nach Ende des Kalten Krieges durchgeführt werden. Rund 35.000 Soldaten aus 28 NATO- und anderen Partnerländern sollen teilnehmen. Neben russischen Militärmanövern ist auch die Regierung in Oslo derzeit vor allem wegen russischer Cyberangriffe besorgt. In einem Zeitungsinterview zu Beginn dieser Woche sagte Ministerpräsident Jonas Gahr Store, dass von Russland unterstützte Hacker bereits Computersysteme zentraler norwegischer Institutionen wie des Parlaments und der Regierung "ins Visier genommen hätten".