Klimaziele trotz Energiewende gefährdet
30. Juni 2014Der Schock über die Reaktorkatastrophe von Fukushima war auch in Deutschland zu spüren. Unter Führung von Bundeskanzlerin Merkel beschloss die konservative Regierung vor drei Jahren einen Kurswechsel in der Energiepolitik, einen schnelleren und endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie. Damit wurde der zuvor schon eingeleitete Umbau zur Energieversorgung mit Erneuerbaren Energien beschleunigt, die Energiewende bekam einen neuen Schub.
Ziel: Senkung der Treibhausgase um 80-95 Prozent.
Um die Treibhausgasemissionen drastisch zu senken, hatte die Regierung ihre Ziele zur C02-Minderung bereits 2010, also gut ein Jahr vor Fukushima, festgelegt. Bis 2020 sollten demnach die deutschen Emissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken und bis 2050 um 80 bis 95 Prozent.
Auch die jetzige Bundesregierung verfolgt diese Ziele weiter. Um sie zu erreichen, sollen zum einen der Energiebedarf für Strom, Industrie, Verkehr und Heizung im Durchschnitt um 20 Prozent bis 2020 sinken und bis 2050 um 50 Prozent. Zum anderen sollen Erneuerbare Energien den verbleibenden Energiebedarf zunehmend decken. So möchte die Regierung klimaschädliche fossile Energien ersetzen. Das Energiekonzept der Regierung sieht vor, dass der Anteil der Erneuerbaren an der gesamten Energieversorgung von heute 13 Prozent auf 18 Prozent im Jahr 2020 steigt und bis 2050 auf 60 Prozent.
Energiewende beim Strom
Die Integration von erneuerbaren Energien in die Stromerzeugung läuft sehr erfolgreich. Über 26 Prozent des deutschen Strombedarfs wird inzwischen mit Erneuerbaren Energien gedeckt. 2010, im Jahr vor dem Atomausstieg, lag der Anteil der Erneuerbaren noch bei 17 Prozent.
Neue Wind-, Sonnen- und Biomassekraftwerke erzeugen nun eine Strommenge, die der von den acht abgeschalteten Kernreaktoren entspricht. Durch den dynamischen Zubau der Erneuerbaren gab es auch keine Stromknappheit. Im Gegenteil: Im Vergleich zu 2010 stieg der deutsche Stromexport sogar an.
Bis 2020 will die Regierung den Anteil der Erneuerbaren am Strommix auf 35 Prozent steigern. 2050 sollen es dann 80 Prozent sein. Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, empfehlen Experten jedoch einen höheren Anteil und einen schnelleren Ausbau. Eine aktuelle Klimaschutzstudie im Auftrag des Umweltministeriums hält 95 Prozent bis 2050 für nötig.
Mehr Klimagase durch mehr Kohlekraft
Sorge bereitet Energieexperten derzeit vor allem die Zunahme der Kohleverstromung in Deutschland. Durch den Preisverfall der CO2-Zertifikate am europäischen Emissionshandel wurde die besonders klimaschädliche Kohle rentabel und verdrängte die saubereren Gaskraftwerke vom Markt. "Der Ausstieg aus der Kernenergie läuft, der Ausbau der Erneuerbaren auch, aber das Verhältnis zwischen Kohle und Gaskraftwerken ist nicht im Lot", sagt Patrick Graichen, Direktor der Berliner Denkfabrik Agora Energiewende gegenüber der Deutschen Welle.
Als wichtiger Schritt zur Korrektur gilt der Emissionshandel. Derzeit kostet eine Tonne CO2 nur etwa fünf Euro. "Wir hatten mit 25 – 30 Euro gerechnet und da muss der Preis auch wieder hin", fordert Graichen.
Ohne zusätzliche Maßnahmen werden Klimaziele verfehlt
Um ihre Klimaschutzziele zu erreichen, will die Bundesregierung bis 2020 die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu heute um 21 Prozent senken, von derzeit 951 Millionen Tonnen (2013), auf 749 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.
"Mit den bisher beschlossenen Maßnahmen werden wir dieses Ziel nicht schaffen", warnt bereits Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Nach Zahlen ihres Ministeriums werden die Treibhausgase im Vergleich zu heute bis 2020 um lediglich zwölf Prozent gesenkt.
Um das Klimaziel noch zu erreichen, entwickelt derzeit ihr Ministerium ein ressortübergreifendes Aktionsprogramm Klimaschutz 2020. Im November 2014 ist der diesbezügliche Kabinettsbeschluss geplant. Als wichtigste Handlungsfelder sieht die Umweltministerin die Reparatur des europäischen Emissionshandels und den Umbau der Energiewirtschaft. Darüber hinaus sieht sie auch ein erhebliches Einsparpotential bei der Gebäudeheizung und im Verkehr.
Energieexperte Graichen zeigt sich überzeugt, dass mit den Klimazielen ein "langfristiges Ausgleiten aus der Kohle" verbunden sein wird. Diesen Prozess müsse man jedoch steuern, "man muss klare Signale geben, wie lange welche Kraftwerke noch dabei sind und wann sie vom Netz gehen."
Ansätze, dass die Politik bereits an solch einem Kohlekonsens arbeitet, sieht Graichen jedoch noch nicht. "Bisher hat das die Politik noch nicht auf dem Schirm, aber ich bin zuversichtlich, dass dies in den nächsten Jahren so kommen wird."