Kohlestrom boomt in Deutschland
9. Januar 2014Der Umbruch in der deutschen Stromwirtschaft ist rasant. Der Ausbau der erneuerbaren Energien schritt in den letzten Jahren zügig voran. Rund ein Viertel des Stroms wird inzwischen aus Wind-, Sonnen-, Wasserkraft und Biomasse produziert.
Die Stromproduktion von acht Atomkraftwerken, die nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima in Deutschland 2011 abgeschaltet wurden, haben die erneuerbaren Energien komplett kompensiert.
Sorge bereitet Politikern, Klima- und Energieexperten jedoch die Verdrängung der Gaskraft durch den klimaschädlichen Kohlestrom. Durch den Verfall der Preise für CO2-Zertifikate in der EU lässt sich Kohlestrom im Vergleich zur Gaskraft viel günstiger produzieren.
Seit Jahren liegen die Preise für die Verschmutzungsrechte unter fünf Euro je Tonne. 2008 kosteten die CO2-Zertifikate noch 30 Euro je Tonne und hatten damit auch die gewünschte Lenkungswirkung für eine klimafreundlichere Stromproduktion.
Für die deutsche Klimapolitik und auch Teile der Energiewirtschaft ist der CO2-Preisverfall und der damit verbundene Kohleboom ein Problem: Trotz stetigen Ausbaus der erneuerbaren Energien steigen in Deutschland seit 2012 die CO2-Emissionen. Nach Angaben des Imweltbundesamtes lag die Steigerung 2013 bei 1,2 Prozent.
Auch für die Betreiber von klimafreundlichen Gaskraftwerken ist der Preisverfall der CO2-Zertifikate eine Katastrophe. Moderne Gaskraftwerke pusten pro erzeugter Kilowattstunde nur rund 400 Gramm CO2 in die Luft, dagegen Braunkohlekraftwerke 1150 Gramm und Steinkohlekraftwerke rund 900 Gramm. Nur bei einem höheren Preis für die CO2-Zertifikate können aber Gaskraftwerke mit der Kohlekraft im freien Wettbewerb konkurrieren.
Durch die derzeitige Entwicklung stehen deutsche Gaskraftwerke immer häufiger still und werden zunehmend unrentabel, komplette Abschaltungen sind geplant. Im Jahr 2013 lag die Auslastung der deutschen Gaskraftwerke nach Angaben von Fraunhofer ISE nur bei 18 Prozent, Braunkohlekraftwerke kamen demgegenüber auf eine Auslastung von 91 Prozent und Steinkohlekraftwerke auf 65 Prozent.
Negativ für die deutsche Klimabilanz ist auch der steigende Stromexport in die Nachbarländer. Inzwischen werden rund fünf Prozent des deutschen Stroms exportiert. Da vor allem der deutsche Braunkohlestrom derzeit günstig ist, wird er zunehmend fürs Ausland produziert und sorgt auch dort für eine Verdrängung der Gaskraft zur Stromproduktion.
Appell an die neue Bundesregierung
Um die Entwicklung auf dem Energiemarkt und beim Klimaschutz zu korrigieren, fordern Energieexperten und Opposition, dass die neue Bundesregierung den Kohleboom stoppt und sich für eine zügige Reform des CO2-Handels in der EU einsetzt. "Es kann nicht sein, dass wir über die Energiewende reden und gleichzeitig zu den katastrophalen Emissionswerten schmutziger Braunkohle zurückkehren", sagt Annalena Baerbock, Energiepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.
"Bleiben die Verschmutzungserlaubnisse so billig, fährt der Klimaschutz in der EU vor die Wand", mahnt Christoph Bals von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Bals hält einen Emissionspreis für die CO2-Zertifikate von mindestens 25 Euro je Tonne für erforderlich, "um den Einsatz von klimafreundlichen Kraftwerken dauerhaft rentabel zu machen".
"Die augenblickliche Schieflage im Emissionshandelssystem" kritisiert auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Der Verband vertritt die Stadtwerke, und diese hatten in den vergangenen Jahren kräftig in effiziente Gaskraftwerke investiert und schreiben nun Verluste. "Die Energiewirtschaft benötigt langfristig klare und stabile Rahmenbedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien, um die Klimaschutzziele in Europa zu erreichen", mahnt VKU-Hauptgeschäftsführer Hans-Joachim Reck.