Energiewende ja! Aber wie schnell?
22. Juli 2013Eigentlich kann die Bundesregierung mit der Dynamik zufrieden sein. Der "Ausbau der Erneuerbaren Energien geht zügig voran", sagte Bundeskanzlerin Merkel bei der Haushaltdebatte am 12.9.2012 im Bundestag. Vor allem der Ausbau der Solarenergie "überschreitet alle Prognosen". Sie rechnet mit einem weiteren Solarboom. Bis Ende 2013, so ihre Prognose, stünden in Deutschland Solarkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 40 Gigawatt, damit steige der Anteil von Solarstrom von heute sechs auf dann acht Prozent.
Auch bei der Windenergie sieht die Bundesregierung einen deutlichen, zusätzlichen Schub. Neue Windräder für windschwache Regionen machen die Stromerzeugung jetzt auch im Binnenland lukrativ und so planen Bürgermeister und Landesregierungen einen massiven Windausbau im ganzen Land.
Bei dieser Entwicklung könnten 2015 schon 35 Prozent des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. In den bisherigen Planungen der Bundesregierung war dieses Mindestziel erst für 2020 geplant.
Ein weiterer Faktor kann die Regierung zufrieden stimmen: Solaranlagen, die früher viel Geld kosteten und für Unmut sorgten, gehören nun zur Vergangenheit. Durch stark gefallene Preise von Solarmodulen produzieren neue Anlagen den Strom schon 50 Prozent günstiger als er heute aus der Steckdose kommt.
Doch trotz der Erfolge bei Wind- und Sonnenstrom ist die Bundesregierung über die unerwartete Dynamik auch besorgt. Bundeskanzlerin Merkel forderte in der Bundestagsdebatte "mehr Koordination für den richtigen Pfad von Preisgünstigkeit" und warnte zugleich vor einer Überkapazität bei den Erneuerbaren Energien: "Wir haben Planungen für Windenergie, die um 60 Prozent über dem liegen, was wir in den nächsten Jahren brauchen."
Kostendebatte soll Energiewende bremsen
Der Energiemarkt ist komplex und der Durchblick fällt schwer, zumal hinter vielen Zahlen und Argumenten auch Interessen stecken. Fakt ist, dass sich beim anhaltenden Boom von Wind- und Sonnenkraft Kohle- und Atomstrom immer weniger rentieren. Für die großen Stromkonzerne als Betreiber von Kohle- und Atomkraftwerken ist eine schnelle Energiewende aus betriebswirtschaftlicher Sicht daher schlecht.
Als Argument gegen einen zu schnellen Ausbau von Wind- und Sonnenstrom wird von Vertretern der alten Energiewirtschaft derzeit vor allem eine Kostendebatte geführt. Neue Wind- und vor allem Solarkraftwerke würden die Kosten der Energiewende nach oben treiben, der Ausbau der erneuerbaren Energien, so der Tenor, müsse deshalb langsamer gehen. Als Beleg für diese These wird die Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energien (EEG) angeführt. Diese Umlage wird auf den Strompreis von Privathaushalten und mittelgroßen Betrieben aufgeschlagen. Derzeit beträgt die Umlage 5,3 Cent pro Kilowattstunde (kWh).
Ungleiche Umlage und paradoxe Abrechnung
In der öffentlichen Wahrnehmung galt dieser EEG-Aufschlag bisher auch als Barometer für die Kosten der erneuerbaren Energien. Alle Energieexperten sind sich allerdings einig, dass diese Umlage als Barometer für die Kosten der Energiewende heute nicht mehr so stimme, zu viele Faktoren verzerrten das Bild.
Bisher wurden immer mehr stromintensive Industriebetriebe von der Abgabe befreit, so dass für die normalen Stromkunden die EEG-Umlage stieg. Und durch sinkende Strompreise an der deutschen Strombörse, die durch immer mehr Wind- und Sonnenstrom verursacht werden, entstehen durch ein Paradox im Abrechnungssystem zusätzlich hohe Kosten für die Umlage. Würden nur diese Faktoren korrigiert, so wäre nach DW-Berechungen die Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energien nicht mal halb so hoch und läge unter 2 Cent pro kWh. Würden außerdem in den Stromhandel auch noch die Umweltkosten für fossile und atomare Stromerzeugung einbezogen, so läge die zu entrichtende Umlage bei weniger als einem Cent pro kWh.
Streit um Fördermodell und Ausbautempo
Energieexperten und Politiker aller Parteien sind sich einig, dass das bisherige Fördermodell so nicht mehr funktioniert und weiterentwickelt werden muss. Politiker der Opposition fordern mehr Gerechtigkeit in der Umlage, weniger Belastung für die Privatverbrauchen und eine Kostenbeteiligung der großen Industrie. Die Regierungsparteien wollen zum Teil auch die Bürger entlasten, allerdings sollen viele Industriebetriebe weiter von den günstigen Strompreisen profitieren.
Die sinkenden Strompreise an der Börse durch immer mehr Wind- und Sonnenstrom sind inzwischen aber auch für fossile Energieerzeuger zum Problem geworden. Investitionen in neue Kohle- und Gaskraftwerke lohnen sich nicht mehr und selbst alte Kraftwerke werden zunehmend unrentabel, Stilllegungen sind geplant. Mit Verordnungen und zusätzlichen Zahlungen will die Regierung dies nun verhindern, da an einigen windschwachen und bewölkten Tagen zuwenig Wind und Sonnenstrom ins Stromnetz fliest.
Über eine neue Förderpolitik, ein neues Strommarktdesign wird wohl erst nach der Bundestagswahl im September entschieden. Grüne, SPD und Linke wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien weiter stärken. In den Regierungsparteien FDP und CSU und CDU gibt es viele widersprüchliche Interessen und Stimmen. Während vor allem Regionalpolitiker einen weiteren schnellen Ausbau von Wind- und Sonnenkraft wollen, treten Wirtschaftspolitiker, die sich auf der Seite der alten Energiewirtschaft positionieren, auf die Bremse.
Gegner des schnellen Ausbaus werden vorerst die Energiewende weiter als teuer titulieren und als Argument die steigende EEG-Umlage nutzen. Aufklärung über die komplexen Zusammenhänge bei den Energiepreisen gibt es bisher kaum. Auch die Bundesregierung hält sich hier mit der Erklärung von Gesamtzusammenhängen zurück. Im Deutsche Welle-Interview bedauert auch der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion Klaus Breil die fehlende Aufklärung von der Regierung: "Es liegen alle Zahlen auf dem Tisch", so Breil, "es muss nur besser transportiert werden."
Die Deutsche Welle führte Interviews zur Energiewende und über den Umbruch im deutschen Energiemarkt mit dem Leiter der Strategie von RWE Thomas Birr, den energiepoltischen Sprechern im Bundestag Hans-Josef Fell (Grüne Fraktion) und Klaus Breil (FDP-Fraktion), dem Wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU Joachim Pfeiffer, dem Energieexperten Rainer Baake, dem Politikwissenschaftler Lutz Mez und Klaus Müschen vom Bundesumweltamt. Die Interviews finden Sie im Anhang.