Klima oder Kohle: Eskalation im Revier
10. November 2018Nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster im Oktober die geplanten Rodungen im Hambacher Forst gestoppt hatte, feindeten Bergleute des Tagebaus die Umweltschützerin Antje Grothus massiv an. Grothus ist Mitglied in der Kohlekommission der Bundesregierung und vertritt dort die Interessen der vom Bergbau betroffenen Menschen. Sie lebt am Rand des Tagebaus Hambach und engagiert sich in der Bürgerinitiative Buirer für Buir. Mitarbeiter des Energiekonzerns RWE und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) verunglimpften und bedrohten Grothus bei einer Protestaktion gegen den Kohleausstieg.
"Bei einem Dorfspaziergang im Keyenberg trugen Betriebsratsvorsitzende von RWE und Mitglieder der IG BCE ein Plakat mit meinem Konterfei, meinem Namen und dem Zusatz 'Der Arbeitnehmerfeind Nr. 1' bis die Polizei einschritt und die Plakate eingepackt werden mussten", erzählt sie.
Wenige Tage später, Mitte Oktober, folgte ein Aufzug von rund 200 Personen vor Grothus Privathaus, organisiert von der IG BCE. Vor dem Haus blieben die Gewerkschafter und RWE-Mitarbeiter mehre Minuten stehen, trommelten, pfiffen, klingelten an der Tür und riefen "Grothus raus" und "Hambi muss weg".
"Da haben sich die Kollegen mal Luft machen wollen", beschreibt Versammlungsleiter Walter Butterweck gegenüber der Deutschen Welle die Situation. Er ist Betriebsratsvorsitzender von RWE in Köln, Mitglied der Gewerkschaft IG BCE und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat von RWE.
Butterweck rechtfertigt vor der DW seine Aktionen. Antje Grothus und Michael Zobel, der Sonntagsspaziergänge in den Hambacher Wald und in vom Tagebau bedrohten Dörfer organisiert, bezeichnet er als "unsere Feinde. Die wollen unsere Arbeitsplätze wegradieren".
Sündenböcke und Todesdrohung
Die Empörung über die Aktionen ist auch unter den eigenen Gewerkschaftsvertretern groß. "IG BCE hält diese Form der Auseinandersetzung für falsch und distanziert sich von persönlichen Anfeindungen. Protest muss aller Job-Sorgen zum Trotz angemessen bleiben", twittert die Gewerkschaftszentrale kurz nach der Demonstration vor Grothus Haus. Auch der IG BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis, ebenfalls Mitglied in der Kohlekommission, distanziert und entschuldigt sich bei Grothus für das Vorgehen seiner Mitglieder.
Für die Buirer Bürgerinitiative sind diese Aktionen indes nur eine weitere Stufe einer längeren Eskalation. "Der RWE-Betriebsratsvorsitzende hetzt schon seit Jahren gegen uns im Internet. Auf schlimmste Art und Weise stachelt er seine Mitarbeiter gegen uns auf", sagt Grothus.
Andreas Büttgen, ebenfalls Mitglied der Bürgerinitiative, hält diese verbalen Attacken und Verunglimpfungen für äußerst gefährlich. "Da werden die von Kohlebergbau Betroffenen zu Sündenböcken gemacht, Feindbilder geschaffen, und so wird die Wut kanalisiert."
Die Bürgerinitiative fordert einen respektvollen Umgang ohne verbale Eskalationen. Büttgen wurde Anfang Oktober am späten Abend per Telefon bedroht. "Ich werde Sie töten", sagte der Anrufer. Die Polizei hat den Staatsschutz eingeschaltet, der nun ermittelt. Ebenso ermittelt die Polizei, weil Fahrzeuge der Bürgerinitiative vor zwei Monaten angezündet worden waren.
Verletzte Gefühle - Gewerkschafter ringen um den Kurs
Die Stimmung unter den RWE-Beschäftigen im Braunkohlesektor "ist leicht angespannt", sagt Butterweck. Es gebe Verunsicherungen. Einen Fall ins Bodenlose befürchtet er bei einem vorzeitigen Kohleausstieg nicht. "Ich vertraue unserer Gewerkschaft, aber auch unserem Arbeitgeber. Wenn es wirklich hart auf hart kommt, dann gibt es sozialverträgliche Lösungen." Und zumindest um seine älteren Kollegen mache er sich "weniger Sorgen". Viele müssten ohnehin in ein paar Jahren regulär in Rente gehen.
Butterweck ist nicht gegen das Klimaabkommen von Paris. Wie die Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad mit dem Weiterbetrieb von Braunkohlestrom noch vereinbar sein soll, weiß er nicht. Die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels habe für ihn aber auch nicht die "oberste Priorität".
Butterweck beschreibt eine verletzte Gefühlslage unter den Mitarbeitern. "Man redet uns ein absolut schlechtes Gewissen ein. Wir sind schuld, dass die Temperaturen weltweit ansteigen."
Er empfindet es als ungerecht, dass andere Länder dagegen noch weiter ihre CO2-Emissionen steigern wollen. Auch in Deutschland passiere in anderen Sektoren beim Klimaschutz nichts, beim Verkehr und Gebäuden. Und er beklagt, dass die Öffentlichkeit mit zweierlei Maß messe: "Alle wollen Kreuzfahrten machen und zweimal [im Jahr] in den Urlaub fliegen. Das packt keiner an und das Kerosin ist noch immer steuerfrei."
Bei einigen Gewerkschaftsmitgliedern kommt die Verunglimpfung von Grothus und Zobel als Arbeitnehmerfeinde nicht gut an. Sie als Sündenböcke hinzustellen lenke von den "eigentlich Ursachen des Konflikts in unserem Wirtschaftssystem und einer verfehlten Klimapolitik und Unternehmensführung ab", heißt es in einer Stellungnahme der Initiative Gewerkschaften für Klimaschutz.
Klimagewerkschafter "sind nicht gegen die RWE-Mitarbeiter*innen, sondern für den Klimaschutz, der uns alle betrifft", heißt es auch in einer Stellungnahme der Gewerkschaft Ver.di nach der großen Protestaktion von Tagebaubeschäftigten, bei dem Demonstranten auch ein Hetzplakat gegen Klimaaktivisten im Hambacher Forst gezeigt hatten.
Eskalation bei Facebook
Ende Oktober brannten in der Braunkohleregion in der Gemeinde Titz vier abgestellte Busse in der Nacht aus. Wer sie angezündet hat, ist nicht klar. Die Polizei hofft auf baldige Ermittlungsergebnisse: "Solange wir die nicht haben, werden wir vorschnell auch keine Schlüsse ziehen", sagt Pressesprecher Andreas Müller von der Aachener Polizei gegenüber der Deutschen Welle.
In den sozialen Netzwerken kursieren dagegen schon kurz nach dem Feuer die ersten Spekulation. Die Busse brannten "wahrscheinlich, weil sie uns am Mittwoch zur Demo gefahren haben", schreibt ein RWE Mitarbeiter auf der von Bergleuten aufgebauten Facebookseite "wir im Rheinischen Revier für eine faire Berichterstattung". Die Feuerwehr gibt ihre Meldung zu dem Brand erst eine gute Stunde später heraus.
Schockiert über die voreiligen Schuldzuweisungen im Netz zeigt sich Patricia Peill, CDU-Landtagsabgeordnete aus der Tagebauregion. "In diesen sozialen Medien geht es nicht um Sachdiskussion und Dialog, das ist kaum händelbar und erschreckend", sagte Peill gegenüber der DW.
Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) in NRW, beobachtet die sozialen Medien um den Kohleausstieg und den Streit um den Hambacher Forst schon seit Jahren. Er klagt über unsachliche Kommentare und Hetze auf beiden Seiten. "Gestern gab es erst wieder einen Post im Netz gegen uns und mich, ‘lass uns das Ding abfackeln‘. Gemeint ist damit unser Büro vom BUND."
Jansen beobachtet seit dem gerichtlich verhängten Rodungsverbot im Hambacher Wald auf den Pro-Kohle-Seiten eine starke Zunahme der verbalen Attacken und auch Aufrufe zur Gewalt. Auf der Facebookseite "Wir Vereine im Rheinischen Revier- für die Zukunft" waren neben der Diskussion um Kohle, Klima und die Zukunft des Hambacher Waldes auch Kommentare zu finden wie "Jetzt ab in den Forst und dann drauf auf das nutzlose Pack", "Brandrodung! Dann läuft das Gesindel!", "Wie wär es mal mit bewaffnen", "Es wird wohl mal Zeit, das ganze selbst in die Hand zu nehmen" und "der Krieg hat begonnen".
Im Schatten der Anonymität wird gehetzt und werden Grenzen überschritten. "Da lassen viele ihren Müll los. Das ist einfach, da will ich für den einen oder anderen Beschäftigen nicht unbedingt die Hand ins Feuer legen", sagt Butterweck, der selbst an der Facebookseite beteiligt ist. Doch wenn einzelne Teilnehmer in den Foren zu weit gehen, sagt er, schreiten die Moderatoren ein: "Dann werden die Leute rausgeschmissen, dann werden die gelöscht oder gesperrt, das wollen wir uns nicht erlauben".
Aufruf zur Befriedung
Auch von der Polizei werden die sozialen Medien rund um Klima, Kohle und Hambacher Frost mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Das Phänomen sich "im Wort zu vergreifen" sei in sozialen Medien nicht unbekannt, sagt Polizeisprecher Müller. Im Zusammenhang mit der Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen habe es immer mehr zugenommen.
Beleidigungen und üble Nachrede könnten bei der Polizei auch Online angezeigt werden. Müller appelliert im Netz und auch im direkten Gespräch, Diskussionen sachlich zu führen: "Man muss nicht Leute beleidigen mit übler Nachrede oder mit irgendwelchen aufhetzenden und belastenden Texten."
Büttgen appelliert an die Landespolitik in der Region, diesbezüglich aktiv zu werden und zu deeskalieren. "Der sich immer stärker zuspitzende Konflikt um die Kohle braucht dringend eine Befriedung. Die Gräben werden täglich immer tiefer und es drohen handfeste Auseinandersetzungen zwischen den Lagern, weil sich viele Menschen mit ihren Sorgen und Nöten allein gelassen fühlen."
Büttgen empfiehlt einen breit angelegten Mediationsprozess in den Dörfern im Revier. "Dies hätte die große Chance, Menschen zu versöhnen und Zukunftsperspektiven durch einen Strukturwandel, bei dem alle gemeinsam anpacken, zu ermöglichen."