Juristen uneins im Asylstreit
30. Juni 2018Die Flüchtlingspolitik sorgt seit Monaten für Streit zwischen den Unionsschwestern CSU und CDU. So will Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), Flüchtlinge, die bereits in anderen EU-Ländern registriert wurden, nicht nach Deutschland einreisen lassen und drohte mit ihrer Zurückweisung an den Grenzen auch gegen den Willen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), sollte diese auf dem EU-Gipfel nicht mindestens "wirkungsgleiche" Beschlüsse mit den anderen EU-Staaten erzielen. Merkel meint, das sei mehr als gelungen. Was Seehofer von der nun auf dem Gipfel beschlossenen härteren Linie in der Asylpolitik hält, bleibt abzuwarten. Aber: Ob Migranten an der Grenze überhaupt zurückgewiesen werden dürfen, ist nicht nur Streitpunkt zwischen CDU, CSU und SPD.
Keine Verpflichtung zur Aufnahme?
Auch unter den Juristen herrscht Uneinigkeit. Auf Seehofers Seite dürften vermutlich die Juristen stehen, die der Bundeskanzlerin schon 2016 "Rechtsbruch" vorwarfen. Die Bundesregierung habe den Rechtsstaat durch die "Öffnung der Grenzen" außer Kraft gesetzt, kritisierten die beiden Staatsrechtsprofessoren Hans-Jürgen Papier und Udo Di Fabio - auch, wenn der Europäische Gerichtshof dieser Auffassung widersprochen hat.
Der ehemalige Verfassungsrichter Di Fabio wurde dann auch 2016 beauftragt, ein entsprechendes Rechtsgutachten für die CSU zu erstellen. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass der Bund verpflichtet sei, "wirksame Kontrollen der Bundesgrenzen wieder aufzunehmen, wenn das gemeinsame europäische Grenzsicherungs- und Einwanderungssystem vorübergehend oder dauerhaft gestört ist". Eine völkerrechtliche Verpflichtung zur unbegrenzten Aufnahme von Opfern eines Bürgerkriegs bestehe nicht.
Zurückweisung laut Dublin-Regelung
Auch Rechtsprofessor Kay Hailbronner von der Universität Konstanz, ehemals Mitglied der Zuwanderungskommission, dürfte Seehofers Haltung stärken. Hailbronner hatte sich schon in anderen Fällen entsprechend positioniert und auch eine Absenkung der Bezüge für Asylbewerber als verfassungsrechtlich haltbar befunden. In einem Gastbeitrag für die "Welt" beruft sich der Co-Vorsitzende des Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht nun auf Paragraf 18 des Asylgesetzes. Demnach sei Asylsuchenden die Einreise zu verweigern, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat einreisen. Sie hätten laut Grundgesetz keinen Anspruch auf Asyl und eine inhaltliche Prüfung ihres Asylwunsches.
Eine Ausnahme gelte dann, wenn Deutschland nach EU- oder Völkerrecht zur Prüfung des Asylgesuchs zuständig sei oder wenn es vom Bundesinnenministerium so angewiesen wurde. Laut Angaben der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen sei "eine Zurückweisung im Rechtsrahmen der Dublin III-Verordnung und des Paragrafen 18 Asylgesetz" dennoch zulässig, schreibt Hailbronner weiter.
Zudem verweist er darauf, dass das aktuell gültige Verfahren der Überstellung an die zuständigen Staaten nur "verschwindend selten" wirke. So seien in den vergangenen zwei Jahren mehr als 900.000 Asylanträge in Deutschland gestellt worden, dennoch kam es nur zu 11.000 Überstellungen in andere Länder. Bei einem "Systemversagen wie im Falle Dublins" könne die Einhaltung der normalerweise geltenden Regeln nicht eingefordert werden, schreibt Hailbronner.
Grenzkontrollen per se schwierig
Rechtswissenschaftler Thomas Groß, Professor für Europarecht an der Universität Osnabrück, hält die Zurückweisung an den Grenzen dagegen für grundsätzlich schwierig. "Sie würde voraussetzen, dass es überhaupt Grenzkontrollen gibt", sagte Groß der Deutschen Welle. "Solche Grenzkontrollen sind innerhalb der EU aber untersagt, unabhängig von der Staatsangehörigkeit." Grundlage hierfür ist Artikel 77 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
Ausnahmen gebe es nur für Fälle gravierender Störung der öffentlichen Ordnung oder mangelhafter Kontrollen an den Außengrenzen. Beide Ausnahmen seien aber zeitlich begrenzt und ermöglichten keine dauerhafte Grenzkontrolle, wie sie Seehofer plane. "Eine dauerhafte Maßnahme wäre von vornherein europarechtlich unzulässig", sagte Groß. Auch die EU-Kommission, die die Kontrollen genehmigen muss, habe immer wieder gemahnt, dass diese Maßnahmen nur vorübergehend möglich seien.
Wer kann wohin geschickt werden?
Grundsätzlich gilt für alle Asylsuchende nach EU-Recht die sogenannte Dublin III-Verordnung. Die besagt, dass ein Flüchtling in dem EU-Land Asyl beantragen muss, das er zuerst betreten hat. Dabei gelten jedoch einige Voraussetzungen, die zunächst geprüft werden müssten, zum Beispiel, ob jemand Angehörige in Deutschland hat. Eine Abweisung wäre dann nicht mehr möglich. Auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge können nicht in einen anderen Staat überstellt werden.
Die Länder können auch entscheiden, mit einem sogenannten "Selbsteintritt" das Asylverfahren zu übernehmen - auch wenn formal ein anderes Land zuständig wäre. So hatte Deutschland zuletzt 2017 wegen Sicherheitsbedenken keine Flüchtlinge nach Ungarn zurück geschickt. Auch Überstellungen nach Griechenland wurden in der Vergangenheit gestoppt, weil die Möglichkeit für ein faires Asylverfahren angezweifelt wurde. Bei Italien führten mangelnde Sozialstandards dazu, dass Deutschland zwischenzeitlich keine Flüchtlinge dorthin zurückschickte.
An der Grenze zu Deutschland müssten also die Voraussetzungen für eine Abweisung gründlich geprüft werden, um die Dublin-Verordnung nicht zu verletzen. "Das dauert seine Zeit und ist bei einer Grenzkontrolle gar nicht möglich. Das heißt: Auch diese Regelungen würden unterlaufen, wenn man einfach an der Grenze zurückweisen würde", sagte Rechtsexperte Groß. Außerdem dürfte es an entsprechendem Personal fehlen. Nach der Dublin-Verordnung könne nicht einfach in den Nachbarstaat abgewiesen werden, sondern - sofern keine anderen Gründe dagegen sprechen - in das Land, wo der Flüchtling zum ersten Mal die Grenze zur EU überschritten hat.
"Rechtliche Grundlagen zu Boden gerissen"
"Letztlich geht es darum, dass der Bundesinnenminister die Axt an die Wurzeln der Europäischen Union, nämlich die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union setzt", sagte Groß. Denn eine Rückkehr der Kontrollen betreffe nicht nur Migranten, sondern im Prinzip alle - Touristen, Geschäftsleute, aber auch den Transport von Waren.
Die Hilfsorganisation Pro Asyl hält eine solche Regelung, wie sie Seehofer plant, trotz aller rechtlichen Bedenken nicht für ausgeschlossen. "Wir haben im Moment in Europa eine Situation, wo elementare rechtliche Grundlagen der Europäischen Union zu Boden gerissen werden", sagt Geschäftsführer Jung. "Es scheint vieles möglich zu sein, was nicht rechtens ist."