Entscheidende Tage in Deutschland - Ende offen
27. Juni 2018Als sich im Bundestag vor zwei Wochen die beiden konservativen Schwesterparteien CDU (Christdemokraten) und CSU (Christsoziale) erstmals getrennt zu Sondersitzungen trafen, hatte der Konflikt über nationale und europäische Maßnahmen in der Asylpolitik zwischen den beiden Parteivorsitzenden Angela Merkel und Horst Seehofer die große Öffentlichkeit erreicht. Der Bundestag musste seine Sitzung unterbrechen. Das politische Berlin erlebte einen Moment des Schreckens, dem Tage des Schreckens folgten. Von der CSU kam eine verbale Provokation nach der anderen.
Doch die gemeinsame Fraktion aus CDU und CSU ist eine wichtige Konstante der Nachkriegsgeschichte. Werde das aufgegeben, breche auch die Regierung auseinander, waren sich viele einig - und Merkel würde ihre letzten Stunden im Kanzleramt erleben.
Kooperativ im Ton, hart in der Sache
Vor dem Krisengipfel der Regierungsparteien im Kanzleramt am Dienstagabend - er dauerte vier Stunden - hatte es Entspannungssignale gegeben. Manche Beobachter erklären sich das mit schlechten Umfragewerten für die CSU, die eigentlich auf steigende Zustimmung durch diesen Streit auf offener Bühne gepokert hatte. Schließlich geht es auch darum, im Herbst die Landtagswahl in Bayern wie gewohnt so zu gewinnen, dass die CSU ohne Koalitionspartner regieren kann. Der Chef der CSU-Bundestagsabgeordneten, Alexander Dobrindt, freute sich beim regelmäßigen Pressefrühstück Dienstagmittag über "eine neue Dynamik" in Brüssel. Er meinte damit, dass die festgefahrenen Verhandlungen zur EU-Flüchtlingspolitik wieder laufen, wohl auch weil im größten und wichtigsten EU-Land eine Regierungskrise droht.
Das zweite zentrale Wort Dobrindts, der erstaunlich entspannt und locker auftrat, war das von der "Schicksalsgemeinschaft" aus CDU und CSU. Beide Parteien hätten doch immer einen Kompromiss gefunden. Schon einmal, Ende der 1980er-Jahre, hätte es ein ähnliches Szenario gegeben. Die "Alternative für Deutschland" (AfD) gab es zwar damals noch nicht, dafür aber die rechtsextremen "Republikaner". Die Akteure waren andere. Aber der Streit endete wie von der CSU gewollt, mit einer schärferen Asylpolitik und sinkenden Umfragewerten für die "Republikaner". Der aktuelle Streit sei wie ein Sequel im Kino, wollte der CSU-Politiker vermitteln.
Gemeinsam feiern geht noch
Danach trafen sich CDU und CSU wieder zu einer gemeinsamen Sitzung. Merkel schloss sich dort Dobrindts Aussage an: "Auch für mich ist die Fraktion eine Schicksalsgemeinschaft." Einen Kompromiss könne man auch in der allerletzten Minute finden, deutete der gemeinsame Fraktionschef Volker Kauder an. Am Abend fand das gemeinsame Sommerfest statt, während auf der anderen Seite der Spree, direkt gegenüber im Kanzleramt, die Köpfe rauchten.
Die politischen Beobachter in Berlin wissen derzeit auch nicht, wie der Streit ausgeht. Niemand von den unmittelbar Beteiligten will sich in die Karten gucken lassen. So dürfe man die Entspannungssignale vom Dienstag nicht überbewerten. Der Ton täusche nur über die Härte des Streits hinweg, hieß es.
CSU will einen Aufschub nicht durchgehen lassen
Passend dazu war der Tonfall am Mittwoch dann auch gleich wieder ein anderer. Dobrindt, der am Spitzentreffen im Kanzleramt teilgenommen hatte, legte verbal im Morgenmagazin der ARD noch einmal nach. Weiterhin gelte: Sollte die Kanzlerin am Wochenende keine "wirkungsgleiche" Lösung präsentieren, dann werden "ab der darauffolgenden Woche die Zurückweisungen an der Grenze stattfinden für diejenigen, die bereits in einem anderen Land registriert sind und deswegen auch dort ihre Asylverfahren durchlaufen müssen."
Die CSU werde sich nicht darauf einlassen, der CDU und Merkel mehr Zeit zu geben, um eine Lösung zu verhandeln. Was Deutschland tun könne, müsse jetzt auch getan werden. Dobrindts neues Ultimatum jedenfalls klingt nicht danach, als hätte Merkel beim Kanzleramtstreffen schon eine Lösung in der Tasche angedeutet.
Bitte vormerken: Sonntag und Montag
Wie geht es weiter? Am Donnerstag und Freitag ist der EU-Gipfel in Brüssel, bei dem Merkel eine Lösung erreichen will. Am Sonntag ab 15 Uhr wird die CSU in München darüber beraten, ob das Verhandlungsergebnis der Kanzlerin "wirkungsgleich" mit den eigenen Forderungen ist. Dass in München sowohl die Bundestagsabgeordneten als auch der Parteivorstand zusammensitzen werden, wollte Dobrindt am Dienstag nicht als besonderes Zeichen werten. Richtig aber ist auch, dass mit so einer Mannschaft alles beschlossen werden könnte - auch ein Ausstieg aus der gemeinsamen Fraktion in Berlin.
Ab Montag könnte der CSU-Vorsitzende und Bundesinnenminister Horst Seehofer dann anweisen, dass Zurückweisungen an der Grenze beginnen. Es könnte ein böses Erwachen geben.
Was passiert, wenn die Regierung auseinanderfliegt?
Sollte die CSU aus der Regierung aussteigen, könnte Merkel eine neue Regierung bilden - vielleicht mit den Grünen. Die Grünen gelten, neben der "Alternative für Deutschland" (AfD), als Umfrage-Gewinner der letzten Monate und als möglicher Profiteur der Krise. Sie haben sich als Gegner von Nationalismus positioniert und unterstützen die Willkommenskultur der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik. Merkel und andere führende CDU-Politiker hätten nach der Bundestagswahl im September gern zusammen mit den Grünen eine Regierung gebildet - das scheiterte jedoch am Widerstand der Liberalen.
Lange hieß es, sollte die jetzige Regierungskoalition aus CDU/CSU und Sozialdemokraten platzen, würden die Grünen quasi als Ersatz einspringen. Doch nun wurden Zweifel laut. Es fehle das Vertrauen "in die derzeitige Politik von Merkel, die ja die Abschottung mitmacht", sagte die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckhardt, in einem TV-Interview am Dienstag. In der Tat hat sich Merkel jüngst zu einer verschärften Flüchtlingspolitik auf nationaler und europäischer Ebene bereiterklärt. Das wollen die Grünen nicht mittragen.
Die Sozialdemokraten (SPD), derzeit mit an der Regierung, versuchen, nicht zwischen die Fronten zu kommen. Die SPD steht wegen mieser Umfragewerte sowieso schon unter Druck. "Ich kann die Konflikte zwischen CDU und CSU nicht lösen", sagte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin. Die SPD "warte jetzt mal ab".
Und die AfD? Bislang hält sich die Parteiführung mit all zu vielen öffentlichen Kommentaren zurück. Mehr noch, Merkel sei "Galionsfigur einer gescheiterten Politik", sagte der Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Bundestag, Bernd Baumann, am Dienstag in einem Pressegespräch. Auch die beiden Unionsparteien CDU und CSU hätten Merkels "Stallgeruch". Zumindest die CSU will diesen "Stallgeruch" nun anscheinend loswerden - koste es, was es wolle.