"In Belarus arbeiten Medien im Minenfeld"
26. November 2020Während der monatelangen Proteste gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Belarus haben die Behörden vor allem die unabhängigen belarussischen Medien ins Visier genommen. Journalisten werden meist für mehrere Tage inhaftiert, wegen angeblicher Teilnahme an Protesten. Sie werden geschlagen, die Ausrüstung wird zerstört, ihnen wird die Akkreditierung entzogen und sie werden strafrechtlich verfolgt.
Seit Jahresbeginn hat der unabhängige Belarussische Journalistenverband mehr als 500 Fälle registriert, bei denen die Rechte von Journalisten verletzt wurden. Gegenwärtig sind mehr als 20 Journalisten in Haft und gegen weitere neun laufen Strafsachen. Die DW hat mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Belarussischen Journalistenverbandes, Boris Gorezkij, über die Arbeit von Journalisten in Belarus gesprochen.
Deutsche Welle: Wie würden Sie die Arbeit von Journalisten in Belarus heute beschreiben?
Boris Gorezkij: Wie einen Gang durch ein Minenfeld. Journalisten werden bei Protesten festgenommen, von denen sie berichten, und Tage lang eingesperrt. Sie werden auch wegen ihrer Artikel inhaftiert, und es werden Strafverfahren gegen sie eröffnet.
Die Behörden tun alles, um die Arbeit der Presse einzuschränken. Mehr als 100 Websites sind blockiert, darunter auch von Medien. Tut.by wird weiterhin unter Druck gesetzt: Dem größten Internetportal des Landes wurde vor kurzem der Medienstatus entzogen.
Während man die Blockaden im Internet noch umgehen kann, ist es unmöglich, Zeitungen ohne eigene Maschinen zu drucken. Eine Reihe von Zeitungen können nicht mehr erscheinen, was sehr traurig ist. Zudem behindern die Behörden Korrespondenten ausländischer Medien. Ausländische Journalisten haben einfach keine Akkreditierung mehr erhalten. Uns sind etwa 150 Fälle bekannt. Und am 2. Oktober beendete das belarussische Außenministerium alle Akkreditierungen und vergibt sie nun sehr selektiv, vor allem an russische Medien. Die meisten ausländischen Journalisten wurden nicht wieder akkreditiert (darunter auch die Korrespondenten der DW - Anmerk. d. Red.).
Welchen von den über 500 Fällen würden Sie als den schlimmsten bezeichnen?
Der schlimmste ist der direkte Schuss auf die Journalistin der Zeitung "Nascha Niwa", Natalia Lubnewskaja. Der Soldat musste gesehen haben, auf wen er schießt, da die Journalistin eine Presseweste trug. Außerdem wurde sie aus mehreren Dutzend Metern Entfernung getroffen. Dies ist ganz klar ein Verbrechen. Schlimm ist auch, wie Journalisten in Untersuchungshaft geschlagen wurden. Das Schlimmste ist wohl die körperliche Gewalt gegen Journalisten.
Darüber hinaus sind derzeit neun unserer Kollegen Teil von Strafverfahren. Sie werden zum Beispiel beschuldigt, Protestaktionen organisiert und damit gegen die öffentliche Ordnung verstoßen zu haben, dabei haben die Journalisten nur per Livestream berichtet.
Wie gehen Sie mit der Gewalt gegen Journalisten um?
An Gewalt kann man sich nicht gewöhnen. Die Behörden haben alles getan, um Journalisten von der Straße zu verbannen. Bei fast jeder Aktion werden Kollegen von uns festgenommen. Einige meiner Kollegen haben sich entschieden, keine Aufnahmen von den Protestaktionen mehr zu machen, da dies mit Gefahren verbunden ist. Andere tragen keine blauen Westen mit der Aufschrift "Presse" mehr, da sie so ins Visier gerieten und festgenommen wurden. Aber viele Kollegen filmen und berichten weiterhin professionell, trotz des Drucks und der Repressionen, also auch unter diesen Bedingungen.
Gibt es Maßnahmen, die Journalisten für sich selbst ergreifen, um sicherer berichten zu können?
Viele Medien bitten die Menschen, Journalisten in Wohnungen und auf Balkone zu lassen, von wo sie sicher über Protestaktionen berichten können, ohne auf der Straße zu sein. Doch das funktioniert nicht immer. Journalistinnen von "Belsat" wurden direkt in einer Wohnung festgenommen, von der aus sie live gesendet hatten. Die Sicherheitskräfte brachen dort einfach ein.
Bei den Protesten in Belarus wird das mobile Internet immer wieder abgeschaltet. Vom 9. bis 11. August gab es sogar überhaupt keine Verbindung. Wie gelingt es Journalisten, unter solchen Bedingungen objektive Informationen zu verbreiten?
Kollegen, die "im Feld" arbeiten, versuchen immer, ein WLAN zu finden. Das heißt, sie drehen zuerst und suchen dann ein Café oder eine Wohnung mit Internet, von wo sie ihrer Redaktion Fotos und Videos schicken können. Viele Medien haben die Menschen, die im Erdgeschoss leben, gebeten, ihr WLAN zu öffnen. Das funktioniert, auch wenn die Geschwindigkeit der Berichterstattung darunter leidet.
Berichte darüber, wohin die Demonstranten gehen und was passiert, werden auch telefonisch übermittelt. Aber das macht die Journalisten sehr angreifbar. Der Journalist Oleg Grusdilowitsch hat auf diese Weise von einer Aktion berichtet. Das fanden die Behörden heraus, kamen zu ihm nach Hause und verurteilten ihn zu 15 Tagen Haft. Andere Wege der Berichterstattung gibt es derzeit nicht.
Vor kurzem erhielt der Belarussische Journalistenverband von der kanadischen und britischen Regierung den ersten Media Freedom Award. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Wir sind Kanada und Großbritannien sehr dankbar, dass sie den belarussischen Journalismus in dieser schwierigen Zeit unterstützen. Dies ist nicht nur eine Unterstützung für uns als Journalistenverband, sondern für alle belarussischen Journalisten. Jetzt ist es sehr wichtig, dass Informationen über die Unterdrückung der Presse in unserem Land weltweit Gehör finden. Je mehr sich weltweit Aufmerksamkeit darauf richtet, wie Journalisten in Belarus geschlagen und inhaftiert werden, desto größer ist unser Sicherheitsspielraum.
Wenn es zu Verstößen im rechtlichen Bereich kommt, was kann dann eine NGO wie ihr Verband tun? Wie können Sie Journalisten unterstützen?
Die rechtliche Unterstützung und der Schutz von Journalisten war immer eine der wichtigsten Aufgaben des Belarussischen Journalistenverbandes. Leider helfen jetzt in den meisten Fällen keine Mittel mehr, in Belarus funktionieren keine Gesetze mehr. Man kann so oft wie man will beweisen, dass man im Recht ist, aber Journalisten werden immer noch wegen angeblicher Beteiligung an Aktionen verurteilt, selbst wenn sie beispielsweise in einem Hotelzimmer waren und von dort aus gefilmt haben.
Gleichzeitig gibt es Fälle, in denen es dank unserer Anwälte gelang, Journalisten zu helfen, auf freiem Fuß zu bleiben. Außerdem ist es jetzt wichtig, Kollegen psychologische und medizinische Hilfe zu leisten. Manchmal gibt es ungewöhnliche Probleme: Wir fahren selbst Essenspakete für Journalisten aus, die in Untersuchungshaft sind, wenn sie keine Angehörigen in Belarus haben. Es gibt auch das Problem, dass die Ausrüstung beschlagnahmt wurde. Wir versuchen, in solchen Fällen zu helfen.
Der Belarussische Journalistenverband wurde im Jahr 1995 gegründet. Die Nichtregierungsorganisation setzt sich für freie Meinungsäußerung, das Recht zur Verbreitung von Informationen und professionelle Standards ein. Der Verband ist Mitglied der Internationalen Journalisten-Föderation, der European Federation of Journalist und ein Partner der Organisation Reporter ohne Grenzen.
Das Gespräch führte Bogdana Alexandrowskaja