Verzögerte zweite Dosis könnte zum globalen Problem werden
12. Januar 2021Angesichts der knappen Impfstoffe hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Möglichkeit einer verzögerten zweiten Impfung prüfen lassen. Nach Sichtung entsprechender Daten hat sich die Ständige Impfkommission (STIKO) gegen die von den Briten praktizierte Aufschiebung der zweiten Impfdosis entschieden. "Die Gabe der zweiten Impfstoffdosis soll innerhalb des durch die Zulassungsstudien abgedeckten Zeitraumes (derzeit 42 Tage) erfolgen", so die Behörde in der Aktualisierung ihrer Impfempfehlung.
Zwar sieht die STIKO die beiden bereits zugelassenenen Impfstoffe von BioNTech und Moderna in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit als vergleichbar an, doch betont sie, dass die Zweitdosis nur mit dem gleichen Präparat wie bei der Erstdosis erfolgen soll. "Im Moment sollten auf keinen Fall zwei verschiedene Impfstoffe kombiniert werden", so der STIKO-Vorsitzende Thomas Mertens. "Dazu haben wir noch überhaupt keine Daten."
In Großbritannien hatten sich die Gesundheitsbehörden wegen der neuentdeckten hochansteckenden Virusvariante für eine herausgezögerte zweite Dosis entscheiden, damit mehr Menschen frühzeitig eine erste Dosis erhalten können. Die britischen Behörden vertreten die Auffassung, dass eine solche Verzögerung auf bis zu zwölf Wochen die Wirksamkeit der Impfstoffe nicht beeinträchtigt.
Unabhängig von dem britischen Sonderweg ist klar, dass eine zweite Impfung auf jeden Fall zwingend notwendig ist, denn sie löst wie eine Art Booster die nötige starke Immunantwort aus.
Zulassungsbehörden drängen auf vorgeschriebenen Weg
Mit ihrer Impfempfehlung liegt die STIKO auf der gleichen Linie wie die seit dem Brexit nicht mehr für Großbritannien zuständige Europäische Arzneimittelagentur (EMA). Diese sieht den Vorstoß der Briten skeptisch: Zwar sei eine Obergrenze für den zeitlichen Abstand zwischen den Dosen des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs nicht explizit definiert, der Nachweis der Wirksamkeit basiere aber auf einer Studie, bei der die Verabreichung der Dosen im Abstand von 19 bis 42 Tagen erfolgte, so die EMA. Eine Verabreichung etwa im Abstand von sechs Monaten stehe nicht im Einklang mit den Bestimmungen und erfordere eine Änderung der Zulassung sowie mehr klinische Daten.
Auch die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hatte davor gewarnt, von den zeitlichen Vorgaben für die Verabreichung der zweiten Dosis abzuweichen.
Eine verzögerte zweite Dosis hatten dagegen Impfexperten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei der Biontech-Pfizer-Vakzine für durchaus vertretbar gehalten. In Ausnahmefällen sei eine zeitliche Streckung der Impfstoffgabe um einige Wochen möglich, sagte der Vorsitzende der WHO-Expertengruppe für Immunisierungen (SAGE), Alejandro Cravioto vor Journalisten noch in der ersten Januarwoche.
Reduzierte Wirksamkeit bei Älteren?
Eine Verzögerung der zweiten Dosis könnte nach Auffassung der STIKO-Wissenschaftler die Wirksamkeit bei Älteren unter Umständen abschwächen. Deshalb habe sich die Ständige Impfkommission gegen eine Änderung des Impfschemas entschieden, so der STIKO-Vorsitzender Thomas Mertens gegenüber dem Science Media Center (SMC), der Zeitraum für verlässliche Aussagen sei extrem kurz, deshalb könne man nichts über die Dauerimmunität gerade bei älteren Menschen sagen.
Erfahrungen mit anderen Impfungen bei anderen Krankheiten legten die Befürchtung nahe, dass die Antikörper nach der ersten Impfung bei älteren Menschen recht schnell abfallen können.
Mutationen könnten zum globalen Problem werden
Das verzögerte britische Impfschema könne sogar zu einem globalen Problem werden, warnt Florian Krammer, Impfforscher an der Icahn School of Medicine in New York. Es bestehe die Möglichkeit, dass eine solche Veränderung die Mutationsrate des Virus erhöht, gab er in der SMC-Pressekonferenz zu bedenken. Nach der ersten Impfung sei die Zahl der neutralisierenden Antikörper noch gering, so dass es zu asymptomatischen Infektionen kommen könne.
In solchen Fällen sei die Möglichkeit der Entstehung mutierter Virusvarianten gegeben. Von Varianten also, die resistenter gegen diese neutralisierenden Antikörper sind. Wie groß das Risiko ist, sei schwer einzuschätzen, möglicherweise sei es aber relativ hoch, "vor allem wenn es viel Infektionen in der Bevölkerung gibt", so wie aktuell in Großbritannien. Solche Varianten könnten "global zum Problem werden und könnten auch zum Problem für viele der Impfstoff-Kandidaten werden. Und ich glaube, dieses Risiko sollte man einfach nicht eingehen", so der Impfstoffforscher Florian Krammer.
Zustimmung zu dieser Einschätzung kam von Hartmut Hengel, dem leitenden Virologe am Uniklinikum Freiburg, schließlich lerne man die "Mutationsfreudigkeit" des Virus gerade erst kennen. Was die Zeiträume zwischen erster und zweiter Impfdosis betreffe "sollten wir uns da wirklich stringent verhalten," so Hengel.