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Gletscher in Asien: Wassermangel und Sturzfluten

Tim Schauenberg
19. Juli 2022

Schmelzende Gletscher im Himalaya überschwemmen ganze Dörfer. Der Klimawandel auf dem Dach der Welt bedroht Millionen Menschen. Die Trinkwasserversorgung und Wasserkraftwerke sind gefährdet.

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Pakistan: Die Hassanabad-Brücke kollabiert
Der Moment, in dem die Brücke in Hassanabad in Pakistan kollabiertBild: -/AFP/Getty Images

"Es gibt kein Trinkwasser mehr bei uns zu Hause, deshalb musste ich  mit meiner Familie in ein Hotel ziehen", erklärt Siddique Baig, Risikoanalyst für Katastrophen am High Mountain Research Center der Universität von Islamabad. Anfang Mai ist der Gletschersee bei Hassanabad im Norden Pakistans über die Ufer getreten, das Wasser überflutete ganze Dörfer, zerstörte Straßen, eine Brücke und zwei kleine Wasserkraftwerke. Mindestens 75 Menschen starben. Auch sämtliche Wasserleitungen in Siddique Baigs Wohnort Aliabat Hunza rissen die Fluten mit sich, das Dorf liegt jetzt auf dem Trockenen. 

70 Prozent des Frischwassers der Region stammt aus den Flüssen, die durch das Schmelzwasser der Gletscher gespeist werden, schätzt Baig. Der wenige Regen reicht bei weitem nicht, um den Bedarf zu decken.

"Ganz Hochasien ist vom Klimawandel betroffen"

Es dürfte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass die Region von Überflutungen aus Gletscherseen getroffen wird. Pakistans Ministerium für Klimawandel warnte bereits im Mai, dass wegen der ungewöhnlich hohen Temperaturen 33 Gletscherseen überlaufen und Dörfer und Täler gefährden könnten.

Das Schmelzwasser aus Gletschern staut sich zunächst hinter natürlichen Dämmen auf. Doch sie können brechen, wenn der Wasserstand zu schnell steigt.

Wegen Hitzewellen und schockartig steigender Temperaturen sind in den letzten Wochen bereits die Dämme von mehreren dieser Gletscherseen gebrochen, so Risikoexperte Baig. Im April wurden in einigen Regionen Pakistans rekordverdächtige 49 Grad Celsius gemessen.

Eisberge Pakistan
Pakistans Eismassen könnten bis zum Ende des Jahrhunderts auf ein Drittel schrumpfenBild: cc-by-sa/Guilhem Vellut

Dabei wuchsen einige Gletscher im Karakorum-Gebirge im Nordosten des Landes bis vor einigen Jahren noch, so Baig. Doch heute seien sie nicht mehr stabil. "Die ganze Region, ganz Hochasien ist vom Klimawandel betroffen. Das ist Realität."

Doppelt so schnelle Erderwärmung im Himalaya bedroht Asiens Flüsse

Die zentralasiatische Bergregion, auch Hochasien genannt, umfasst den gesamten Himalaya, mit Karakorum und Hindukusch im Nordosten. Die Gebirgskette, die sich über China, Indien, Afghanistan, Bhutan, Nepal und Pakistan erstreckt, beheimatet insgesamt 55.000 Gletscher. Diese einzigartigen Eismassen speichern mehr Süßwasser als jede andere Region der Erde, nach Nord- und Südpol.

Das natürlich abschmelzende Wasser speist die zehn wichtigsten Flüsse Asiens, an deren Ufern fast zwei Milliarden Menschen leben. Allein die drei größten Flüsse Süd-Asiens, der Ganges, den Indus und den Brahmaputra, die Lebensgrundlage von rund 750 Millionen Menschen, so ein Bericht der Weltbank von 2015. Auch der längste Fluss der Kontinents, der Jangtsekiang in China sowie der Mekong in Südostasien sind vom Himalaya-Wasser abhängig. Doch trotz der riesigen Wasservorräte in den Gletschern - unendlich sind sie nicht. 

Frauen mit Wasserkanister
Wasserknappheit betrifft immer mehr Menschen Bild: Altaf Qadri/AP Photo/picture alliance

Zu wenig Schneefall in den Bergen und der menschengemachte Klimawandel beschleunigen das Gletschersterben. Laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen steigen die Temperaturen im Himalaya doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Wird die Erderwärmung nicht auf unter 1,5 Grad Celsius begrenzt, werden bis zum Ende des Jahrhunderts die Hälfte oder sogar zwei Drittel der Gletscher in Zentralasien verschwinden, das haben Forscher berechnet.

"Die meisten Menschen in der Region leben von der Landwirtschaft," sagt Atanu Bhattacharya, Assistenzprofessor und Glaziologe an der JIS University in Kolkata, Indien. Noch gäbe es zwar vor allem in den Bergregionen Indiens genug Frischwasser, so Bhattacharya. Doch es sei völlig unklar, wieviel Wasser den Regionen in Zukunft zur Verfügung stehen werde. Und er ist sicher: "Die Gletscher werden definitiv schmelzen".

Deshalb müsse man heute in besseres Wassermanagement und Wasseraufarbeitung investieren, so der Gletscherforscher.

Nepal und Pakistan gehören laut dem Klima-Risiko-Index der Nichtregierungsorganisation Germanwatch zu den zehn am meisten vom Klimawandel bedrohten Ländern weltweit, Afghanistan und Indien sind unter den Top zwanzig.

Indien: Schlammlawine nach Gletscherabbruch
Nach einem Gletscherbruch in Indien 2021 hat eine Schlammlawine ganze Dörfer mitgerissenBild: AP Photo/picture alliance

Wasserkraftwerke in Gefahr: Erst zu viel Schmelzwasser, dann Wasserknappheit

Schmilzt das Eis und brechen Gletscherseen aus, sind nicht nur Dörfer und Anwohner in Gefahr, sondern auch die lokale Energieversorgung. Wissenschaftler schätzen, dass im Himalaya über 250 Wasserkraftwerke an Flüssen liegen, die durch mögliche Gletscherseebrüche stark anschwellen könnten. Zwar sind Wasserkraftwerke schon für hohe Pegel gebaut. Doch zusätzliches Wasser berstender Gletscherseen könnte bei einem Drittel der Kraftwerke weit über der Wassermenge liegen, für die sie ausgelegt wurden.

Bhattacharya sieht noch weitere Probleme für die künftige Energieversorgung in den betroffenen Regionen. "Derzeit gibt es keine Wasserknappheit, weil mehr Wasser abfließt. Aber wenn in Zukunft kein Wasser aus den Bergen kommt, können wir auch keinen Strom mehr erzeugen." Die Stauseen der Kraftwerke würden schlicht austrocknen, die Investitionen verloren gehen. Indien hat letztes Jahr den Bau neuer Wasserkraftwerke oberhalb des Ganges untersagt. So will man verhindern, dass Flüsse im unteren Flusslauf langfristig austrocknen. 

Weniger Luftverschmutzung hilft gegen Gletscherschmelze

Doch nicht nur hohe Temperaturen und wenig Niederschläge im Hochgebirge, tragen zum Gletschersterben bei. Rund die Hälfte der geschmolzenen Gletscher wurden durchmenschengemachte Luftverschmutzung verursacht.

Beim Verbrennen fossiler Brennstoffen, wie Kohle, Öl und Gas oder auch Feldresten entsteht schwarzer Ruß und Feinstaub, auch "Black Carbon" genannt. Durch den Wind hinaufgetragen, legen sich die schwarzen Partikel auf den Eisschichten ab. Sie absorbieren mehr Hitze als weißer Schnee oder Eis, die viele  Sonnenstrahlen reflektieren. Der Effekt: Das Eis heizt sich schneller auf und schmilzt. 

Ein Reduzierung der Luftverschmutzung hätte einen direkten Einfluss auf die Gletscherschmelze, das zeigen Forschungsergebnisse. Die Luftverschmutzung durch Ziegelöfen sowie das Kochen und Heizen mit Holz sind für bis zu 66 Prozent des Black Carbons in der Region verantwortlich, gefolgt von Dieselfahrzeugen mit einem Anteil von bis zu 18 Prozent.

Der Fluss Wachandarja bei Bozai Gumbaz vor dem Hundukusch-Gebirge
Auf das Trinkwasser aus den Gletschern angewiesen sind auch die Menschen in AfghanistanBild: Florian Bachmeier/imagebroker/imago images

"Die Menschen müssen umgesiedelt werden"

Auch wenn Möglichkeiten gibt, das Schmelzen der Gletscher zumindest zu verlangsamen, sieht Siddique Baig düster in die Zukunft. In der Bergregion Pakistans seien etwa sieben Millionen Menschen in Gefahr vor weiteren Fluten. "Diese Menschen müssen umgesiedelt werden, und zwar an andere, sicherere Orte."

Er sieht vor allem die Verursacher der Erderwärmung in der Verantwortung. Den Klimawandel aufzuhalten "liegt nicht in unserer Macht." Pakistan ist für den Ausstoß von grade mal einem Prozent klimaschädlicher Gase weltweit verantwortlich. Auch andere Länder wie Afghanistan und Nepal tragen mit weniger als 0,05 Prozent nur marginal zum Klimawandel bei, leiden aber überproportional unter den Folgen.

Für seine Arbeit am High Mountain Institute beobachtet Baig regelmäßig die Gletscher in seiner Region. Aber mit der Aussicht auf mehr Überflutungen, zerstörte Dörfer, und der Gefahr, dass irgendwann das Trinkwasser ausgehen könnte, hat Baig für sich und für seine Familie bereits eine Entscheidung getroffen. "Eines Tages werden wir von hier wegziehen."