Hitlers Hunde: Tiere im Nationalsozialismus
8. Juni 2020Nur einen Steinwurf entfernt vom Krematorium des Konzentrationslagers Buchenwald in der Nähe der Stadt Weimar lagen einige Tiergehege und ein Goldfischteich. Affen turnten in Käfigen herum, Vögel zwitscherten in Volieren, und sogar Braunbären gab es. "Zerstreuung und Unterhaltung" sollte der kleine Zoo den Männern bieten, die hier ihre Mittagspause verbrachten, schrieb KZ-Kommandant Karl Koch, der den 1938 eröffneten Zoo mit erpressten "Spenden" von Häftlingen finanziert hatte.
"Tierliebe" Nazis, die Menschen morden
"Zerstreuung und Unterhaltung" sollten hier natürlich nicht die Häftlinge und Zwangsarbeiter finden, die von den Nazis in Buchenwald eingesperrt worden waren. Sie hatten die Gehege zwar gebaut und kümmerten sich um die Tiere, aber Pause machen durfte dort nur das KZ-Personal der SS: Wachmänner, zivile Kräfte und Aufseher, die auf der anderen Seite des Elektrozauns Häftlinge quälten, folterten und töteten. Und manchmal auch in den Bärenzwinger warfen, weil es KZ-Kommandant Koch Vergnügen machte zuzusehen, wie die Bären sie zerfleischten.
Menschen und Tiere auf der einen, von der rassistischen Ideologie der Nazis als "Untermenschen" klassifizierte Häftlinge auf der anderen Seite des Zauns: Dieses Szenario spiegelt das brutale Weltbild der Nazis wider. Tiere spielten darin eine wichtige Rolle.
"Mal dienten sie als Vor-, mal als Feindbilder, mal waren sie nur Mittel zum Zweck", sagt Jan Mohnhaupt, der Autor des Buches "Tiere im Nationalsozialismus", der darin auch die Geschichte des Zoos in Buchenwald erzählt. "Wer etwas über die Willkür und Widersprüchlichkeit des NS-Regimes erfahren möchte, sollte die Tiere nicht außer Acht lassen."
Bisher hat sich die NS-Forschung wenig mit dem Thema Tiere beschäftigt, "weil man befürchtet, dass der Fokus auf die Tiere zu einer Bagatellisierung der menschlichen Opfer führt", zitiert Mohnhaupt die Historikerin Mieke Roscher, die die bundesweit einzige Professur für Human-Animal-Studies an der Universität Kassel besetzt. Eine Angst, die unberechtigt ist - wie auch die folgenden Episoden aus dem Buch zeigen.
Kult um das Raubtier: "Wie Wölfe in einer Schafsherde"
Adolf Hitlers Lieblingshunde waren Schäferhunde. Eine Hunderasse, die aufs Wort gehorcht (weshalb sie auch bevorzugt als Wachhund in den Konzentrationslagern eingesetzt wurde) und dem Urahn Wolf ähnelt. Hitler bewunderte Wölfe. Von Freunden ließ er sich gern mit dem Spitznamen "Wolf" ansprechen, seine Hauptquartiere im Zweiten Weltkrieg hießen "Wolfsschlucht" oder "Wolfsschanze".
Mit dem Bild des "wilden Wolfes" arbeitete die NS-Propaganda schon Jahre vor der Machtübernahme: 1928 drohte der spätere NS-Propagandaminister Joseph Goebbels im Wahlkampf den demokratischen Politikern der Weimarer Republik: "Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafsherde einbricht, so kommen wir." Fünf Jahre später, 1933, stürzten die Nazis die Weimarer Republik. Die erste deutsche Demokratie war gescheitert.
Im gleichen Jahr erließen sie auch ein Tierschutzgesetz, das unter anderem festlegte, dass warmblütige Tiere nicht mehr ohne Betäubung geschlachtet werden durften. Was nach Tierliebe klingt, hatte allerdings eine andere Stoßrichtung: Es zielte vor allem darauf ab, Juden das rituelle Schächten zu verbieten. "Für führende Nationalsozialisten stellten Tierschutz und Verbrechen gegen die Menschlichkeit keinen Widerspruch dar", schreibt Mohnhaupt im Buch, "im Gegenteil, sie fühlten sich sogar einer moralischen Elite zugehörig".
Propaganda mit Tieren: Hitlers Hunde, Görings Löwen
Der Anführer dieser grausamen "Elite", Adolf Hitler, ist auf Fotos oft mit seiner Hündin "Blondi" zu sehen. Seltener zeigte sich Hitlers Stellvertreter Hermann Göring, der unter anderem auch "Reichsjägermeister" war, mit seinen Haustieren: Zwischen 1933 und 1940 hielt er nacheinander sieben junge Löwen, die "für Göring vor allem ein Zeichen von Macht und Geltung" waren, wie Mohnhaupt analysiert.
Wie so oft bedienten sich die Nazis auch hier bei historischen Vorbildern: Schon die römischen Cäsaren hielten Löwen, mittelalterliche europäische Könige wie Richard Löwenherz und Heinrich der Löwe schrieben sich mit den tierischen Beinamen Eigenschaften des "Königs der Tiere" zu: Macht, Stärke und Mut.
Katzen als "Juden unter den Tieren"
Auch in der vermeintlichen Tierliebe der Nazis zeigte sich ihr Rassenwahn. Genauso wie die Menschen wurden auch Tiere in "wertes" und "unwertes" Leben unterteilt. Während man große Raubkatzen wie Löwen oder Panther bewunderte, charakterisierte NS-Schriftsteller Will Vesper Hauskatzen als "tückisch, falsch und asozial", denn sie stellten den beliebten Singvögeln nach. Katzen, bilanzierte Vesper, seien die "Juden unter den Tieren". Auch das hatte eine traurige, gemeinsame Tradition in Europa: Katzen wie Juden unterstellte man schon im Mittelalter, mit dem Teufel im Bunde zu stehen.
Haustierverbot für Juden
Eine Katze, nämlich ihren Kater Mujel, hielten auch der Schriftsteller Victor Klemperer und seine Frau Eva. Nach der Machtübernahme durch die Nazis war Klemperer, der Jude war, nach und nach fast alles genommen worden: Ansehen, Beruf und Wohnung. Ab September 1941 musste er den gelben "Judenstern" an die Kleidung heften. Kurz darauf wurde Juden verboten, Haustiere zu halten. Die Klemperers sollten den geliebten Kater abgeben, ihr Symbol des Durchhaltens: Der "erhobene Katerschwanz ist unsere Flagge, wir streichen sie nicht", notierte Victor Klemperer in seinen Tagebüchern. Weil es keine Möglichkeit gab, das Tier irgendwie zu verstecken, wurde es schließlich vom Tierarzt eingeschläfert."Das Haustierverbot", schreibt Mohnhaupt, war "ein weiterer Schritt auf dem Weg zur vollständigen Entrechtung der Juden in Deutschland". Es war zeitgleich mit den 1941 beginnenden Massendeportationen von Juden in die Konzentrationslager eingeführt worden - damit sich die Gestapo nicht um zurückbleibende Haustiere kümmern musste.
"Kriegswichtig": Schweine und Seidenraupen
Positiv besetzt im Weltbild der Nazis waren Schweine. Denn sie sollten im Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) dazu dienen, die deutsche Bevölkerung zu ernähren. Das "Ernährungshilfswerk" der Nazis sammelte unter dem Schlagwort "Kampf dem Verderb" sogar Küchenabfälle aus Privathaushalten für sie - eine frühe Form des Recyclings.
Andere "kriegswichtige" Tiere wurden in den Schulen gezüchtet: Seidenraupen. Ihre reißfeste, wasserabweisende und weitgehend feuerfeste Seide wurde für die Herstellung von Fallschirmen benötigt, Lehrer wurden dafür eigens im Seidenbau fortgebildet. Aufgabe der Schülerinnen und Schüler war es, die Tiere zu füttern und zu pflegen.
Die Seidenraupenzucht "diente im Volksschulunterricht als eine Art Allzweckwaffe", meint Autor Jan Mohnhaupt. "Mit ihnen wurde den Kindern nicht nur Biologie am lebenden Objekt veranschaulicht, sondern auch die NS-Rassenhygiene 'kindgerecht' vermittelt. Denn eine Zucht gelinge nur dann, vermittelten Lehrer den Kindern, wenn man alle kranken und schwächlichen Exemplare frühzeitig aussortiere".
So wurde der nationalsozialistische Rassenwahn tief in Alltag und Gesellschaft verankert. Von da an war es nicht mehr weit zum millionenfachen Mord an Menschen, die als "unwert" definiert wurden: Juden, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, politische Gegner. Auch die Tiere wurden dafür von den Nazis benutzt und missbraucht.
Zum Weiterlesen: Jan Mohnhaupt: Tiere im Nationalsozialismus. Carl Hanser Verlag 2020.