Hitlers Wolfsschanze wird restauriert
29. April 2019Der Kartenraum der Baracke auf dem Gelände des ehemaligen Führerhauptquartiers Wolfsschanze, in dem Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 ein Sprengstoff-Attentat auf Adolf Hitler verübte, soll dieses Jahr rekonstruiert werden. Die Baracke liegt im heutigen Polen und gehört zu einem riesigen Komplex auf dem Gelände des ehemaligen Führerhauptquartiers Wolfsschanze.
Die Explosion verwüstete damals den Raum und tötete vier Personen - aber Hitler wurde nur leicht verletzt. Ein massiver Eichentisch, unter den Stauffenberg die Aktentasche mit dem Sprengstoff platzierte, bevor er den Raum unter einem Vorwand verließ und nach Berlin zurückkehrte, schirmte Hitler weitestgehend vor der Wucht der Detonation ab.
75 Jahre nach dem gescheiterten Attentat sollen die Räumlichkeiten nun wieder aufgebaut werden; die verhängnisvolle Szene im Kartenraum sogar mit lebensgroßen Puppen, die Hitler und die anderen Anwesenden darstellen, rekonstruiert werden.
Zusätzlich zur Darstellung der Anwesenden mittels symbolischer Figuren sei auch eine möglichst authentische Nachstellung der Situation denkbar, ein sogenanntes "Reenactment", so Sebastian Trapik, Sprecher der Anlage, im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Von der Baracke, in dem die Besprechung 1944 stattfand, standen nach dem Krieg nur noch die Fundamente. In den dichten Wäldern bei Kętrzyn im ehemaligen Ostpreußen gelegen, ist der Ort in der Bunkeranlage Wolfsschanze heute ein Mahnmal für den Widerstandshelden Stauffenberg und seine drei Mitverschwörer, die nur wenige Stunden nach dem gescheiterten Attentat im Innenhof des Berliner Militärhauptquartiers Bendlerblock hingerichtet wurden.
Der Wiederaufbau des Kartenraums ist Teil einer Reihe von Restaurierungsmaßnahmen der Wolfsschanze-Anlage, die den jährlich etwa 300.000 Besuchern die historische Bedeutung des Ortes näherbringen sollen.
Führerhauptquartier - ein "Täterort"
Die Wolfsschanze war neben Berlin gewissermaßen die zweite Hauptstadt des Dritten Reiches. Zwei Tage nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941 zog Hitler in sein neues Kommandozentrum im damaligen Ostpreußen: Auf dem weitläufigen Gelände mit seinen 50 Bunkern, 70 Kasernen, zwei Flugplätzen, einem Bahnhof und Flakbatterien verbrachte Hitler 850 Tage.
Etwa 2000 Menschen lebten dort, von der Wolfsschanze wurden die Militäroperationen an allen Fronten angeordnet. Es gab acht massive Bunker allein für die Nazi-Führung. Hitler, sein Sekretär Martin Bormann und Hermann Göring hatten eigene Bunker, und es gab einen Gästebunker für Staatsgäste wie Benito Mussolini und Pierre Laval, den Führer des französischen Vichy-Regimes.
Die Dächer wurden immer wieder aufgestockt, um die Bunker vor möglichen alliierten Bomben zu schützen. Die Decke von Hitlers Bunker war am Ende acht Meter dick.
Im November 1944 rückte die Rote Armee näher, und die Wolfsschanze wurde evakuiert. Noch im Januar 1945 versuchten deutsche Ingenieure alle Bunker zu sprengen, aber der Stahlbeton war derart massiv, dass viele Gebäudereste stehen blieben. Heute ragen bizarr schiefe Wände in den Himmel, und Brocken von Gestein baumeln von verrosteten Stahldrähten.
Der Ort ist von besonderer Bedeutung, da nur noch wenige so genannte "Täterorte" aus der Nazi-Zeit erhalten sind. Hitlers "Berghof" auf dem Obersalzberg in Berchtesgaden und der Berliner Bunker, in dem er Selbstmord beging, wurden Ende des Zweiten Weltkrieges dem Erdboden gleichgemacht.
Zu "Disneyland" verkommen
Seit langem schimpfen Historiker und Besucher, diese Nazi-Bunkeranlage an der ehemaligen Ostfront sei nichts als ein gruseliger Freizeitpark; hier gehe es mehr um Vergnügungen als darum, die Besucher über die dort getroffenen schicksalhaften Entscheidungen zu informieren. Es sei ein "groteskes Disneyland", so Jan Oldakowski, Direktor des Warschauer Aufstandsmuseums.
In den Bunkern, zerborsten und überwuchert wie die Ruinen alter Mayastätten im Dschungel, wurde der Holocaust beschlossen. Hier fiel auch die Entscheidung, bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes im August 1944 keine Gefangenen zu nehmen. Die Zahl der Toten wird auf 250.000 geschätzt, es traf vor allem die Zivilbevölkerung.
Gedenktafeln gegen das Vergessen
Vor Beginn der Restaurierungsmaßnahmen gab es hier bis auf wenige Lagepläne der Hauptbunker und ein Schild, auf dem man die Geschichte der Verschwörung des 20. Juli nachlesen konnte, kaum historische Informationen. Private Reiseführer waren zwar vor Ort, aber sie wiesen oft eher auf technische Fakten wie die Dicke der Wände hin als auf den historischen Kontext.
Die neuen Betreiber, die das Gelände 2017 von einem privaten Pächter übernahmen, haben der "Jahrmarktstimmung", die bis dahin auf dem Gelände herrschte, ein Ende gesetzt, meint Sebastian Trapik. So hätten sie unter anderem den heruntergekommenen Schießstand im ehemaligen Bunker von General Alfred Jodl - der wegen Kriegsverbrechen in Nürnberg gehängt wurde - geschlossen, an dem Touristen für kleines Geld mit Repliken von MP40-Maschinenpistolen Pellets auf Plastikflaschen schießen konnten.
Paintball wird nun auch nicht mehr angeboten, stattdessen wurden im April Informationstafeln außerhalb der Gebäude angebracht, und in einer der Unterkünfte wird ein Dokumentarfilm gezeigt. Es gibt Ausstellungen über Waffen und militärische Ausrüstung sowie über den Warschauer Aufstand, und eine informative Multimedia-App für alle Besucher.
Historischer Ort für die Nachwelt
Bei der Planung der Ausstellungen und Informationstafeln auf dem Gelände hätten die Behörden Historiker konsultiert, erklärt Trapik. Und: "Die Besucherzahlen sind bereits gestiegen." Im Laufe des Jahres wird der Lehrpfad durch die Anlage ausgebaut, und damit Besucher die Bunker auch nachts besichtigen können, sollen Außenlampen installiert werden.
Touristen können schon seit Jahren in einem der wenigen intakten Gebäude übernachten. In den nächsten fünf Jahren, so der Plan, werden zusätzlich in einer grün gestrichenen Kaserne, in der früher SS-Offiziere untergebracht waren, ein Hotel, ein Restaurant, ein Konferenzraum und ein Besucherzentrum entstehen.
Die Kriegsgeneration stirbt langsam aus, aber Historiker sind überzeugt: Orte wie die Wolfsschanze können, wenn sie der Öffentlichkeit richtig präsentiert werden, für nachkommende Generationen sowohl die Verbrechen und Gräueltaten der Nazis als auch den Widerstand gegen das Nazi-Regime veranschaulichen.