Erinnerungen an das Hitler-Attentat
19. Juli 2014Berlin, 20. Juli 1944: Oberst Stauffenberg macht sich auf den Weg. Es ist morgens kurz vor acht Uhr. Eine JU 52 steigt in Richtung Führerhauptquartier auf, der "Wolfsschanze". Stauffenbergs Ziel: Adolf Hitler mit einer Bombe zu töten. Die Gelegenheit ist günstig. In seiner Funktion als Generalstabschef des Ersatzheeres soll er Hitler an diesem Tag persönlich Bericht erstatten.
Kurt Salterberg, 91, war damals Wachsoldat in der "Wolfsschanze", die 600 Kilometer östlich von Berlin bei Rastenburg in Ostpreußen lag. "Wir sagten nicht Führerhauptquartier, sondern die Anlage." Der damals 21-jährige Gefreite gehörte zum Führerbegleitbataillon und bewachte den inneren Sperrkreis.
Gegen 11 Uhr erreichen Stauffenberg und seine beiden Mitverschwörer Generalmajor Helmuth Stieff und Oberleutnant Werner von Haeften die Schaltzentrale der NS-Macht. Hier versammelt sich das Oberkommando der Wehrmacht, hier erteilt Hitler seinen treu ergebenen Anhängern militärische Befehle.
Keine Kontrolle für Stauffenberg
Kurt Salterberg erinnert sich noch immer an jede Kleinigkeit. Am 20. Juli 1944 stand eine Lagebesprechung an: "Das war alles abgeschirmt. Alle, die zum Hitler wollten, musste ich kontrollieren." Darunter war eine Gruppe um Generalfeldmarschall Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, die Kurt Salterberg passieren ließ: "Keitel hatte einen Dauerausweis, seine Begleiter brauchte ich nicht zu kontrollieren.“
Zu Keitel gehörte auch Stauffenberg, so Salterberg: "Der fiel mir sofort auf, weil er eine Augenklappe wegen seiner Kriegsverletzung trug. Stauffenberg hatte eine Aktentasche dabei, aber das war nichts Auffälliges.“
11 Uhr 30: Stauffenberg sucht eine Amtsbaracke von Generalfeldmarschall Keitel auf, um noch einmal Hitlers mögliche Fragen in der bevorstehenden Lagebesprechung durchzugehen.
Stauffenberg habe zwei Sprengstoff-Päckchen mit dabei gehabt, erklärt der Leiter der "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" in Berlin Johannes Tuchel: "Stauffenberg verließ den Besprechungssaal unter dem Vorwand, er müsse sich noch etwas frisch machen. In einem Nebenraum machte er das Sprengstoffpäckchen gemeinsam mit [Werner von] Haeften scharf."
12 Uhr 37: Keitel stellt Stauffenberg Hitler vor und meldet, dass dieser über den Einsatz von so genannten Sperrdivisionen berichten werde. Stauffenberg legt die Aktentasche mit dem Plastiksprengstoff unbemerkt unter dem schweren Kartentisch neben Hitler ab. Kurz bevor die Bombe explodieren soll, verabschiedet sich Stauffenberg unter dem Vorwand, telefonieren zu müssen. Es ist jetzt 12 Uhr 40.
Ihm sei aufgefallen, erzählt Salterberg, dass Stauffenberg schon nach kurzer Zeit die Lagebesprechung verließ: "Das passierte schon einmal, wenn jemand schnell Unterlagen holen wollte."
Baracke rettete Hitler
Noch zwei Minuten bis zur Detonation. In diesen zwei Minuten schiebt Oberst Brand ahnungslos die Tasche auf die andere Seite des Tischsockels im Besprechungssaal. Es wird ihn das Leben kosten und Hitler vor dem sicheren Tod bewahren.
Kurz danach folgt die Explosion der Bombe, die Stauffenberg zurückgelassen hat: "Ein Papierwirbel, Holz und Splitter, eine ungeheure Qualmwolke", so Salterberg, "einer der Anwesenden flog durch das Fenster, andere kamen durch die Tür herausgestürzt. Ein totales Durcheinander!"
Im Führerhauptquartier bricht Panik aus, niemand weiß genau, was passiert ist. Kurt Salterberg: "Die Leute schrien um Hilfe, wälzten sich auf dem Boden."
Zunächst ist unklar, ob Hitler das Attentat überlebt hat: "Alle schrien: Wo ist der Führer? Und dann kam der Hitler aus der Baracke heraus, gestützt von zwei Männern", erzählt Salterberg.
13 Uhr: Stauffenberg ist von Hitlers Tod überzeugt. Haeften und er verlassen das Führerhauptquartier. Sie wollen so schnell wie möglich nach Berlin, um von dort den Umsturz des NS-Regimes zu organisieren. Für den Rückflug wartet bereits eine Militärmaschine.
Doch das Attentat scheitert. Einer der Gründe dafür: Die Besprechung fand nicht - wie üblich - in einem Bunker statt, sondern wurde in eine hölzerne Baracke verlegt. Wenn es ein fester Bunker mit betonierten Wänden gewesen wäre, "dann wäre Hitler mit Sicherheit dem Anschlag zum Opfer gefallen", so Historiker Tuchel.
Eine Welt steht Kopf
Nach dem missglückten Attentat beginnt das NS-Regime einen Rachefeldzug gegen die Verschwörer und ihre Familienangehörigen. Ihre Kinder werden von der Gestapo abgeholt und nach Bad Sachsa im Harz in ein eigens für sie geschaffenes Heim überstellt. Darunter auch der 10-jährige Stauffenberg-Sohn Berthold und seine drei jüngeren Geschwister. "Natürlich war es schrecklich, weil wir von der Familie getrennt waren und überhaupt nichts wussten. Wir waren alleine."
Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg wird 1934 in Bamberg geboren. "Wir sind aufgewachsen wie andere Kinder in der Klasse auch. Das heißt, irgendwo waren wir auch kleine Nazis. Meine Mutter hat das nicht gefördert, aber sie hat aus guten Gründen auch nichts dagegen gesagt, sonst hätte sie sich oder meinen Vater verdächtig gemacht."
Gelassen und mit wenigen Gesten redet Berthold Graf von Stauffenberg heute, stets zuvorkommend und freundlich. Am 20. Juli 1944 steht für ihn die Welt auf dem Kopf. "Ich habe vom Attentat erfahren durch das Radio, aber ohne Namen. Dann hat es uns meine Mutter am nächsten Tag gesagt, dass es unser Vater gewesen ist. Das war ein Schock und eine Verwirrung: Wie konnte er nur auf den Führer? Aber eines weiß ich ganz bestimmt: Ich habe ihn deswegen nie für einen Verbrecher gehalten."
Es kommt zu den berüchtigten Schauprozessen vor dem sogenannten Berliner Volksgerichtshof. Den Vorsitz führt Roland Freisler, seine Todesurteile stehen schon vor der Verhandlung fest. Bis zum April 1945 werden im Gefängnis Berlin-Plötzensee 89 Menschen ermordet, die den Widerstandskreisen des 20. Juli angehörten oder diese unterstützt hatten. Von der Hinrichtung ihrer Männer erfahren die Ehefrauen durch eine amtliche Benachrichtigung. Die Kosten für die Schauprozesse müssen die Familien bezahlen.
Von all dem ahnt Berthold Graf von Stauffenberg damals nichts. Seine Eltern hatten mit den Kindern nie über Politik gesprochen. Dass sein Vater ein Doppelleben geführt hatte, das überrascht ihn bis heute nicht: "Klar, macht jeder Verschwörer. Selbst wir haben damals von Kindern erfahren, die ihre Eltern denunziert hatten. Ein 10-jähriger wie ich damals, der konnte noch nicht zweigleisig denken!"
1956, als 17-Jähriger, entscheidet sich Berthold Graf von Stauffenberg, Soldat zu werden. Die Mutter habe ihm dazu geraten, aber gejubelt habe sie nicht, erinnert sich Stauffenberg. In der Bundeswehr habe er manchen ehemaligen Wehrmachtsoffizier getroffen. Dass er mit seiner Militärkarriere dem Vater nachgeeifert habe, das sei ihm immer bewusst gewesen, so Stauffenberg rückblickend: "Formell war er ein Hochverräter, aber ich halte das, was er getan hat, für legitim. Ich war immer der Meinung, dass er zwar nicht für den damaligen Staat, aber für Deutschland sein Leben gegeben hat."