Unter Druck - das Gericht im NSU-Prozess
12. April 2013Gleich fünf Richter werden im NSU-Prozess entscheiden. Vier Richter sind nur beigeordnet, haben aber gleiches Stimmrecht wie der Vorsitzende Richter. Ihm kommt allerdings eine besondere Rolle zu. Er leitet das Verfahren und bestimmt den Stil und den Verlauf des Prozesses.
Dieser Vorsitzende Richter ist Manfred Götzl. Der 59-jährige Chef des Staatsschutzsenats am Oberlandesgericht München gilt als erfahrener und stresserprobter Jurist. In den 1980er Jahren arbeitete er als Staatsanwalt und wechselte dann sehr bald ins Richteramt. Götzl scheut die Öffentlichkeit. Interviews gibt er nicht. So ist auch nur wenig über ihn privat bekannt. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern ist mit einer Juristin verheiratet, soll Jazz mögen und Gitarre in einer kleinen Gruppe von Musikern spielen. Ablenkung vom harten Arbeitsalltag findet er beim Joggen und Wandern, erzählen Kollegen.
Einer, der sich an Regeln hält
Gisela Friedrichsen, die langjährige Gerichtsreporterin des Magazins "Der Spiegel", hat fast jeden großen Prozess der letzten zwanzig Jahre in Deutschland begleitet und kennt Götzl daher. Sie beschreibt ihn im DW-Gespräch als brillianten Juristen. "Er denkt schnell. Er denkt strukturiert. Wenn man bösartig sein wollte, ist es ein Technokrat."
Das machte sich bereits bei der Sitzplatzvergabe für die den Prozess beobachtenden Journalisten bemerkbar, die Götzl zu verantworten hatte. Er wollte keinen Formfehler begehen und sich unbedingt ganz neutral verhalten. Das Gericht sollte deshalb für die wenigen zur Verfügung stehenden Plätze im Gerichtssaal die Medienunternehmen nicht selbst auswählen. Alleine die zeitliche Reihenfolge der Anmeldung der Journalisten sollte entscheiden, wer den Prozess direkt im Gerichtssaal beobachten darf. Dass es dabei dennoch zu einer Panne beim E-Mail-Versand kam, räumte das Oberlandesgericht inzwischen ein. Götzl verteidigt allerdings in einer schriftlichen Stellungnahme seine Entscheidung für das so genannte "Windhund-Verfahren". Wenig einfühlsam werten Kritiker das Verfahren, weil türkische Medien keine Berücksichtigung fanden. Die haben jedoch ein besonderes Interesse an dem Prozess, weil acht der zehn Mordopfer eine türkische Herkunft hatten. Erst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgericht am 12.04. sorgte dafür, dass nun doch für insgesamt drei türkische Medien garantierte Plätze im Münchner Gerichtssaal bereit stehen.
Zweifel am Feingefühl
Götzl hält sich strikt an die Vorschriften und Fakten. Er arbeitet präzise und nimmt seine Verantwortung ernst. Seine Prozessführung gilt als unangenehm. Oft verbeiße er sich geradezu in die Suche nach der Wahrheit. "Aber er ist ein Richter mit sehr kurzer Zündschnur" erzählt Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen. Wenn ihn etwas störe, dann könne er sehr schnell "explodieren". Zum Beispiel, wenn ihm Ausführungen von Zeugen oder Anwälten zu langatmig oder nicht zielführend erscheinen. "Ich habe ihn wirklich schon in heftigen Auseinandersetzungen erlebt, vor allem mit Gutachtern, die ihm Dinge präsentierten, die ihm nicht passten. Da kann er richtig scharf werden", berichtet Friedrichsen.
Sie hat daher Zweifel, ob Götzl im NSU-Prozess immer den richtigen Ton treffen wird. Das sei aber wichtig. Immerhin gehe es auch um die Erwartungen und Interessen der Opfer der Mordserie. 77 Nebenkläger lassen sich durch 53 Anwälte vertreten. "Da werden Menschen dabei sein, die aus anderen Kulturkreisen kommen, die anders reagieren und emotionaler sind, was Götzl auch verstehen muss", meint Friedrichsen und weist auf die besondere Rolle des Vorsitzenden Richters als Vermittler eines deutschen Rechtsverfahrens hin. Es gehe für die Betroffenen, die Hinterbliebenen der Opfer, eben nicht nur um juristische Prinzipien.
Die beherrscht Manfred Götzl wie kaum ein anderer. In seiner gesamten Amtszeit ist nur ein einziges Urteil vom übergeordneten Bundesgerichtshof korrigiert worden. Götzl wird deshalb auch von allen Seiten zugetraut, dass er dem Mammutprozess absolut gewachsen sein wird.
Aufwendiges Verfahren
280.000 Seiten von 600 Ermittlungsakten mussten gelesen werden. Fast fünfhundert Seiten umfasst alleine die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft. Über 600 Zeugen sollen aussagen. 22 Psychiater und Rechtsmediziner werden als Sachverständige auftreten. Fünf Angeklagte gibt es. Die wichtigste ist Beate Zschäpe. Die einzig überlebende Kumpanin der beiden anderen mutmaßlichen Haupttäter hat alleine drei Verteidiger. Es wird um die Fragen gehen, wie weit Zschäpe an den Morden direkt beteiligt war und warum sie diese nicht verhindert hat. 85 Verhandlungstage sind angesetzt. Die Gesamtdauer des Prozesses wird zweieinhalb Jahre betragen. Mittendrin, wie eine Art Dompteur: Manfred Götzl.
"Das kann er", sagt Giesela Friedrichsen. Götzl hat schon andere Aufsehen erregende Prozesse gemanagt. So verhandelte er zum Beispiel gegen die Helfer der deutschen Sektion des Propaganda-Netzwerks "Globale islamische Medienfront". 2005 verurteilte er den Mörder an dem prominenten deutschen Modehändler Rudolph Moshammer. 2009 musste sich vor Götzl der 90-jährige Ex-Wehrmachtsoffizier Josef Scheungraber für die von ihm 1944 begangenen Rachemorde an Zivilisten in Italien verantworten. In diesen Fällen lautete das Urteil stets: Lebenslänglich. Um im NSU-Verfahren zu einem solchen Urteil zu gelangen, wird es unter den fünf Richtern ein Mehrheitsverhältnis von vier zu eins benötigen. Götzl wird das Strafmaß also nicht alleine entscheiden können.
Fehler vermeiden
Im Vorfeld des NSU-Prozesses wurde immer wieder gefragt, wie frei und unabhängig ein Gericht sein kann, wenn es so viel Medienrummel gibt und zudem auch noch politische Erwartungen. Christoph Frank ist Vorsitzender des Deutschen Richterbunds und arbeitet als Oberstaatsanwalt in Freiburg. Er hat ein schlagendes Argument: "Die Richter kennen – im Gegensatz zur Öffentlichkeit – die gesamte Aktenlage." Es ginge alleine um die Orientierung an Fakten. Die Richter würden auch alle "Spielchen" kennen, sagt Christoph Frank gegenüber der DW. "Wir wissen, mit welchen Strategien Öffentlichkeit hergestellt und gesteuert wird". Öffentlichkeitsarbeit sei häufig Teil der Verteidigungsstrategie. "Das ist für uns Richter sehr gut durchschaubar." Frank beteuert auch, dass gerade bei Verfahren, die unter besonderer Beobachtung stehen, die Beweisführung noch intensiver als sonst schon durchgeführt werde.
Es bleiben als Gefahr und Störfaktor noch die Gewalt-Drohungen aus der rechten Szene. Beim Deutschen Richterbund gibt man sich gelassen. Vorsitzender Christoph Frank erklärt, dass ernst zu nehmende Drohungen sehr selten seien. Das deutsche Rechtssystem sei sehr anerkannt. "Richter auszutauschen oder zurück zu ziehen, kennen wir nicht". Am Gebäude des entscheidenden Oberlandesgerichts wurden die Sicherheitsvorkehrungen dennoch erhöht.