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25. März 2013"Wir fallen von einem Schrecken in den anderen." Der Politiker Hans-Christian Ströbele kann immer noch nicht glauben, in welchem Ausmaß Ermittlungsbehörden und Verfassungsschutzämter in Deutschland versagt haben. Rechtsextreme konnten von 2000 bis 2007 offenbar immer weiter morden. Neun türkisch- und griechisch-stämmige Kleinunternehmer und eine Polizistin wurden umgebracht. Die Gruppe, die hinter den Morden stehen soll, der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU), flog erst Ende 2011 auf. Seitdem versucht auch die Politik herauszufinden, was damals schief lief.
Hans-Christian Ströbele von Bündnis 90/Die Grünen ist stellvertretendes Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss. Der Ausschuss soll klären, welche Fehler damals gemacht wurden. Anfangs war noch von einem "Terror-Trio" die Rede, das relativ isoliert gearbeitet haben soll. Aber schnell wurde klar, dass die Zelle zahlreiche Unterstützer oder Sympathisanten hatte.
Kein Trio von einsamen Wölfen
Eine Kontaktliste, auf der das engere und weitere Umfeld aufgelistet wird, wuchs schnell von 12 auf rund 100 Einträge. Jetzt sind weitere Namen dazu gekommen, 129 Einträge umfasst die Liste nun. "Was man jetzt schon sagen kann ist, dass dieses Trio nicht ein Trio von einsamen Wölfen gewesen ist", meint Ströbele. "Die hatten vielfältige Kontakte zu den verschiedenen Kameraden." Dabei sei zwar nicht jeder Kontakt gleichzusetzen mit aktiven Unterstützern, ergänzt der Politiker. Aber offenbar haben viele Menschen über die drei Rechtsextremisten Bescheid gewusst, und das, obwohl diese 13 Jahre lang im Untergrund lebten.
Patrick Gensing, der mehrere Bücher über die Nazi-Morde und die Strategien der Neonazis geschrieben hat, wundert sich nicht über die Erweiterung der Liste. Schließlich brauche man für ein Leben im Untergrund viele Helfer. Dennoch meint Gensing im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Für die deutschen Ermittlungsbehörden ist diese geheime Liste wie eine Art Richterskala bei Erdbeben. Je größer die Zahl der mutmaßlichen NSU-Unterstützer wird, desto größer wird das Versagen oder sogar das Vertuschen."
Informanten waren involviert
Entweder hätten die Geheimdienste nichts geahnt, was absolut fatal wäre. Oder einzelne Stellen in den Geheimdiensten hätten etwas gewusst, aber nichts dagegen getan. "Beide Optionen wären katastrophal", so Gensing. Auch Politiker Ströbele sieht "das eigentlich Fürchterliche" darin, dass immer wieder Informationen über den NSU bekannt wurden, die dann aber nicht verfolgt wurden. Selbst Informanten der Geheimdienste oder der Polizei hätten solche Informationen geliefert. "Da sind ungeheure Fehler gemacht worden und da ist ein ungeheures Versagen festzustellen", so Ströbele.
Jetzt soll zunächst festgestellt werden, wer genau auf der erweiterten Liste steht. Vor allem wollen die Politiker wissen, ob weitere bezahlte Informanten aufgelistet sind. Die Aufarbeitung der Nachlässigkeiten, möglichen Vertuschungen und Ermittlungspannen wird noch lange Zeit in Anspruch nehmen. Mitte April beginnt der Prozess gegen die Hauptverdächtige Beate Zschäpe in München. Er könnte sich über zwei Jahre hinziehen.
Ausschüsse in Zeitnot
Die NSU-Untersuchungsausschüsse arbeiten unterdessen weiter, auf Bundes- und auf Landesebene. Neben dem Ausschuss im Bundestag gibt es unter anderem auch im Bundesland Thüringen einen Untersuchungsausschuss. Diese Arbeitsgruppen sind üblicherweise nur bis zu den nächsten Wahlen aktiv. Der Bundestags-Ausschuss könnte also möglicherweise schon in den nächsten Monaten aufgelöst werden. Dabei sind noch viele Fragen offen.
Der thüringische Untersuchungsausschuss hat vor kurzem erst einen Zwischenbericht vorgelegt, der die Ereignisse bis 1998 abdeckt. In Thüringen wird der Ausschuss mindestens bis Sommer 2014 bestehen. Katharina König, die für die Partei Die Linke im Ausschuss sitzt, plädiert aber für die Beibehaltung der Gruppen über die Legislaturperioden hinaus.
Liste wird noch länger werden
Im DW-Interview sagte sie, die Laufzeiten der Untersuchungsausschüsse reichten nicht aus, um alle Fragen zu beantworten. "Wir haben die Chance, 20 bis 30 Prozent zu ermitteln, vor allem das mögliche Fehlverhalten der Sicherheitsbehörden." Die Antworten auf die entscheidenden Fragen der Angehörigen, warum das geschehen konnte, und warum es gerade den eigenen Vater oder Bruder getroffen habe, blieben dann unbeantwortet.
König geht davon aus, dass die Liste mit momentan 129 Einträgen noch länger werden wird. Der Generalbundesanwalt werde weitere Verdächtige verhören, das Bundeskriminalamt werde weiter ermitteln, das werde weitere Namen zu Tage fördern.