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Hans Posse: Hitlers Manager für Raubkunst

14. Juli 2020

Als Hitlers Chefeinkäufer akquirierte Hans Posse auf seinen Reisen Raubkunst für das "Führermuseum". Seine Reisetagebücher sind jetzt online einsehbar.

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Deutschland Nürnberg | Germanisches Nationalmuseum | Tagebücher Hans Posse, NS-Zeit
Bild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Mit Bleistift schreibt er in kleine Büchlein, flüchtige Notizen, kryptisch wie ein Reisetagebuch. Dazwischen: Einträge mit blauem Füllfederhalter, Kürzel über wichtigen Personen, die Skizze eines historischen Gemäldes, das er begutachtet hat. Ab Juli 1939 ist der Dresdner Museumsdirektor Hans Posse (auf dem Titelbild dieses Artikels ganz links zu sehen) in geheimer Mission unterwegs. Hitler persönlich hat ihn zum "Sonderbeauftragten" für das geplante Führermuseum in Linz ernannt.

Am 5. Juli startet Posse seine erste Inspektionsreise. Er fährt im Schlafwagen nach München, wählt im "Führerbau", der zunächst als Depot für die Raubkunst dient, erste Gemälde aus und reist Tage später nach Linz in Österreich, der Heimatstadt Adolf Hitlers. Dort trifft er die örtliche Gauleitung, wie er akribisch in seinem Notizbuch auflistet, das er immer bei sich trägt.

Hitlers Reichskanzlei hat vorab telegraphiert, man solle ihn tatkräftig vor Ort unterstützen. "Hitler hatte ihn mit ungeheuren Befugnissen ausgestattet", sagt Susanna Brogi, die Leiterin des Deutschen Kunstarchivs in Nürnberg, wo die geheimen Reisetagebücher lagern und ausgewertet wurden. "Posse wusste, wie man sich in Kreisen der Museumsleute bewegen musste. Und er hat persönlich die NS-Elite kennengelernt."

Die Forscherinnen Frederike Uhl, Dr. Susanna Brogi und Juliane Hamisch betrachten Tagebücher von Hans Posse
Das Team am Germanischen Nationalmuseum, das die Tagebücher von Posse transkribiert, kommentiert und online gestellt hat (v.l.n.r.): Frederike Uhl, Susanna Brogi und Juliane Hamisch Bild: GNM/Annette Kradisch

Hitlers Chefeinkäufer für Kunst

Am 10. Juli 1939 geht es weiter nach Wien. Dort besichtigt er das österreichische Zentraldepot der bereits beschlagnahmten Kunstwerke aus jüdischem Eigentum. 1938, sofort nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich, sind bereits tausende von Gemälden von der Gestapo konfisziert worden. Vieles stammt aus "arisiertem" jüdischen Kunstbesitz. "Über 8000 Stück", notiert Hans Posse mit seiner krakeligen, schwer lesbaren Schrift unter diesem Datum.

Die Notizbücher sind wichtig für seine Buchhaltung. Alles rechnet er akribisch mit der Reichskanzlei in Berlin ab: Zugfahrten, Einladungen von Geschäftspartnern, Eintrittsbilletts zu Kunstausstellungen, Trinkgelder. Als Hitlers Chefeinkäufer steigt Hans Posse nur unter feinster Adresse ab: Hotel Ritz in Paris, Grand Hotel in Krakau.

Teure Lederhandschuhe (29 Reichsmark, RM), Pralinés oder seine geliebten Zigarren sind sein Privatvergnügen, das begleicht Posse preußisch korrekt aus eigener Tasche. Martin Bormann, Hitlers persönlicher Adjutant, hat ihm vorab 10.000 RM für Reisespesen ausbezahlt.

Hans Posses Schrift auf einem seiner Diensttagebücher
Hans Posses Schrift auf einem seiner DiensttagebücherBild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Auf seinen Reisen von Juli 1939 bis Frühjahr 1942 führt Posse als "Sonderbeauftragter" für Linz penibel Buch. Fünf dieser privaten Reisekladden und ein Diensttagebuch konnten drei Jahre lang für ein Forschungsprojekt am Germanischen Nationalmuseum ausgewertet werden: ein kunsthistorischer Schatz, der jetzt digital einsehbar ist. Alle zusammen sind eine wichtige Quelle für die Erforschung der Nazi-Raubkunst, die durch den Fall Gurlitt 2013 spektakulär in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist.

Manager der NS-Museumspolitik

Für Hitlers Traum, auch als großer Förderer der Kunst in die Geschichte einzugehen, war Posse der richtige Mann. Seine Ambitionen, Maler zu werden, schlug er sich während des Studiums der Kunstgeschichte in Wien schnell aus dem Kopf. Seine Bilder genügten seinen Qualitätsansprüchen nicht. Eine biografische Parallele, die er mit dem gescheiterten Kunstmaler Adolf Hitler gemeinsam hat.

1910 wird der 31-Jährige Posse zum Direktor der altehrwürdigen Staatlichen Gemäldegalerie in Dresden berufen. Schnell macht er sich einen Namen: Ambitioniert erweitert er die museumseigene Sammlung, setzt sich für die aufkommende moderne Malerei ein und fördert Künstler wie Oskar Kokoschka. 1922 stellt er als Kunstkommissar den von der konservativen Kunstpolitik verschmähten Maler im Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig aus.

München Ausstellung Entartete Kunst
München 1937: Moderne Kunst wurden von den Nazis im ganzen Reich als "entartet" gebrandmarktBild: picture-alliance/akg-images

Trotz massiver Anfeindungen der örtlichen NSDAP bleibt er bei der Ankaufspolitik für Dresden seiner Maxime treu. Viele, später von den Nazis als "Entartete Kunst" diffamierte Kunstwerke, stellt er aus. Kurz darauf wird er zum Rücktritt von seinem Direktorenposten gezwungen. Dass Hitler den umstrittenen Museumsmann als Emissär für die Sammlungsankäufe des geplanten Führermuseums auswählt, ist mehr als erstaunlich.

Im Visier: Kunstsammlungen in jüdischem Besitz

Drei Jahre lang, von 1939 bis 1942, reist Posse als Chefeinkäufer für den "Sonderauftrag Linz" durch die von den Nazis besetzen Länder. Zuständig ist er auch für die Verteilung der "arisierten" Kunstbestände auf die übrigen Museen im Reich. Nach seinen Maßgaben gehen hochkarätige Gemälde, wertvolle Skulpturen und Porzellansammlungen als "Führerzuteilung" in Museumsbestände über, erzählt Birgit Schwarz, als Kunsthistorikerin im Forschungsteam dabei. 

Allein im Zentraldepot Wien lagern Kunstschätze in Millionenwerten: Geraubt und beschlagnahmt von angesehenen jüdischen Familien wie Rothschild, Gutmann, Pollak, Goldmann, Wolf. Hans Posse notiert alles bis ins kleinste Detail. Seine Reisekladden seien daher ein Schlüsseldokument zum NS-Kunstraub, so Posse-Expertin Schwarz im DW-Interview: "Die Edition zeigt, dass und wie Posse, der in Hitlers Augen beste Museumsmann Deutschlands, zum zentralen Manager der Museumspolitik Hitlers wurde."

Posse war bestens vernetzt, die Kontakte zu Kunstsammlern verschaffte ihm der Berliner Hans Haberstock, der ihn auch als Emissär bei Hitler ins Gespräch gebracht hatte. "Haberstock war von Beruf zwar Kunsthändler, aber er hat auch in anderen Funktionen für Hitler persönlich gearbeitet" sagt Birgit Schwarz im DW-Interview. "Und er hatte eine Schlüsselfunktion in Bezug auf die Verwertung der sogenannten 'Entarteten Kunst'".

Schlüsseldokumente für die NS-Raubkunstforschung

Seit 1938 gilt ein generelles Berufsverbot für jüdische Kunsthändler und Galeristen. Viele müssen überstürzt ins Ausland fliehen, ihre Bestände werden rücksichtslos liquidiert und "arisiert". Allein die NS-Finanzbehörde versteigert 16.558 Kunstwerke. Auch davon profitiert Chefeinkäufer Posse. Aber er kauft auch aus nicht-jüdischem Kunstbestand im europäischen Kunsthandel.

In Hitlers Auftrag reist er nach Venedig, Florenz, Paris, Amsterdam und Krakau, um vor allem historische Gemälde für Linz aufzukaufen: Meisterwerke von Tizian, Raffael, Canaletto, Rubens, Rembrandt, Van Dyk im Millionenwert. Nach Kriegsende im Mai 1945 werden die alliierten Truppen vieles davon im Salzbergwerk von Altaussee sicherstellen und in den "Central Collecting Point" nach München transportieren.

US-Soldaten liefern Kunstwerke beim Central Collecting Point in München an
US-Soldaten liefern sichergestellte Kunstwerke beim Central Collecting Point in München an (1945)Bild: Photothek/Zentralinstitut für Kunstgeschichte

Der Nachlass von Hans Posse, der 1942 an Krebs starb, ging verloren. Durch Zufall sind seine privaten Reisetagebücher in den 1980er Jahren aufgetaucht, berichtet Susanna Brogi. "Es handelt sich astrein um ein politisches Dokument", so Brogi.

Nach ihrer Einschätzung ist Hans Posse ein williger Vollstrecker von Hitlers Wünschen gewesen: "Eine große Sammlung aufzubauen als Museumsmann, und auf alles Zugriff zu haben, was man dafür ankaufen wollte, das hat ja einen großen Reiz. Das Erschütternde ist vielleicht die Emotionslosigkeit, wenn wir diese Dokumente ansehen, wie hier Zeitpunkte, Namen, Orte und Werke aneinander gereiht werden."

Österreich Kommission für Provenienzforschung | Birgit Schwarz
Mit im Forschungsteam: Kunsthistorikerin Birgit Schwarz Bild: Ulrike Nimeth

Für Birgit Schwarz ist Posse sogar eher der "Macher" und die treibende Kraft gewesen bei der systematischen Zusammenstellung der Kunstsammlung für das geplante Linzer Museum. Alles im Sinne des "Führers", der seiner Heimatstadt etwas historisch Wertvolles vermachen wollte.

Alle Dokumente sind jetzt digitalisiert und demnächst im Internet dokumentiert, eine wichtige historische Quelle, nicht nur für Kunsthistoriker und Provenienzforscher. Die Notizen von Posse belegen, dass neben der Skrupellosigkeit der Raubkunst-Beschaffung auch die Gier der Museumsdirektoren im "Dritten Reich", ihre Bestände mit wertvoller Kunst aufzustocken, keine Grenzen kannte. Manche dieser Raubkunst-Objekte aus dieser Zeit lagern bis heute in den Depots.