Forscher bestätigen Kunstraub der DDR
24. März 2020In der Untersuchung dokumentiert das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg - in enger Zusammenarbeit mit der Berliner Stasi-Unterlagen-Behörde - die staatlichen "Kulturgutentziehungen" des zweiten deutschen Staates. Das Kompendium zur "DDR-Raubkunst" ist 112 Seiten stark, dazu gehört auch ein dickes Verzeichnis mit mehr als 450 Dokumenten und etwa 2000 Akten-Signaturen, die aus der Stasi-Unterlagen-Behörde stammen.
Seit dem "Fall Gurlitt" 2013 hatte der Begriff Provenienzforschung Karriere gemacht. Herauszufinden, woher die Gemälde und Zeichnungen aus der durch Zufall entdeckten Sammlung des Kunsthändler-Sohns Cornelius Gurlitt stammten, war Sache einer Gruppe von Provenienzforschern - der "Taskforce Gurlitt". Mit Erkenntnissen über die bislang wenig bekannte DDR-Raubkunst dürfte die Provenienzforschung nun abermals Geschichte schreiben.
Staatlich verordneter Kunstraub
Die brisante Studie ist das Ergebnis von mehreren Jahren intensiver Forschung: "Wertvolle Kunstwerke wurden ihren ursprünglichen Eigentümern nicht nur während der Zeit des Nationalsozialismus entzogen, sondern auch in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und in der DDR", heißt es bereits im Einleitungstext.
Zwar sind die Zahlen der so genannten DDR-Raubkunst deutlich kleiner als die zur Nazi-Raubkunst, wie Uwe Hartmann, Leiter des Fachbereichs Provenienzforschung in Magdeburg, im Gespräch mit der DW erklärt. Doch gebe es "gewisse Parallelen" zwischen den Kunstraub-Methoden der Nazizeit und von den Behörden so gennanten "Kulturgut-Entziehungen" in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und später in der DDR.
Aufstand der Museumsdirektoren
Anfang der 1970er Jahre nahmen die DDR-Behörden verstärkt die Kunstschätze der staatlichen Museen ins Visier. Dort lagerten unter anderem wertvolle Gemälde, Porzellan und Skulpturen, die früher zur feudalen Ausstattung von Schlössern, Adelssitzen und Rittergütern gehörten. Die ehemaligen Großgrundbesitzer verfügten häufig über Kunstsammlungen und erlesene Bibliotheken.
Nach der Bodenreform wurde vieles davon konfisziert und in Museum-Depots ausgelagert. "Und da kommt der Vorstoß vom Ministerrat, Museumsgut gegen Devisen in den Westen zu verkaufen", berichtet Uwe Hartmann im DW-Interview. "Das scheitert dann aber am fachlich-ethischen Widerstand der führenden Museumsdirektoren, zum Beispiel der Staatlichen Museen in Ost-Berlin."
Andere Museen, die etwa auf Zuschüsse für technische Neuerungen wie eine Klimaanlage angewiesen waren, hätten sich von den Behörden erpressen lassen, sagt Hartmann. "Da gab es vereinzelt auch mal Tauschgeschäfte, die dann über das Außenhandelsministerium oder die Kunst- und Antiquitäten GmbH von Alexander Schalck-Golodkowski eingefädelt wurden. Aber im Großen und Ganzen fand in der DDR kein Verkauf von Museumsgut statt."
Kunst gegen West-Devisen
Betroffen waren wohl vor allem Privatpersonen. Der frühere Kunsthändler Helmuth Meissner wurde im Frühjahr 1982 "zur Klärung eines Sachverhalts" von der Dresdner Polizei vorgeladen. Die Behörden hatten es auf seine umfangreiche Kunstsammlung abgesehen. "Das Vorgehen lief nach ähnlichem Muster ab", erklärt Uwe Hartmann. "Den Betroffenen wurden astronomisch hohe Steuerschulden zur Last gelegt, ihre Kunstschätze einfach zur Handelsware deklariert - und konfisziert."
Stasi und Polizei zogen die komplette Sammlung des Ehepaars Meissner ein und lagerte sie anschließend bei der "Kunst- und Antiquitäten GmbH" von Chef-Devisenbeschaffer Schalck-Golodkowsi ein. Der verscherbelte die Kunstschätze in den Westen, um so der finanziell klammen DDR Devisen zu beschaffen. Zum Teil lief der Verkauf ganz offiziell über renommierte Auktionshäuser in Berlin und London.
Enteignung von "Republikflüchtlingen"
Auch politisch unliebsame Bürger, denen die DDR-Behörden die Ausreise in die Bundesrepublik gestattet hatten, mussten oft kurzfristig ihre gesamten Wertsachen - Porzellan, Schmuck, Kunstgegenstände oder private Bibliotheksbestände - verkaufen. Es waren Zwangsverkäufe, denn mitnehmen in den Westen durften sie davon nichts.
Wer illegal in den Westen ging, dem stand nicht einmal diese Möglichkeit offen. "Bei Republikflucht konnte im Prinzip gar nichts an persönlichen Wertsachen mitgenommen werden. Die Wohnungen sind versiegelt worden und in der Regel konnten auch nahe Verwandte, Eltern, Kinder oder Geschwister die nicht mehr betreten." Der Besitz dieser DDR-Bürger fiel komplett an den Staat. "Eine formelle Enteignung hat es in solchen Fällen nie gegeben, eine faktische aber schon", erklärt Provenienzforscher Hartmann.
Übergriffe der Stasibehörden
Als sozialistischer Vorzeigestaat trieb die DDR den modernen Wohnungsbau voran. Riesige Plattenbau-Siedlungen wurden überall im Osten aus dem Boden gestampft. Ältere Mieter, die seit Jahrzehnten in großen repräsentativen Altbauwohnungen leben, wurden von den Behörden massiv unter Druck gesetzt, in kleinere Wohnungen umzuziehen.
"Die Stasi und auch die Finanzbehörden kamen da ins Spiel, wenn diese Personen nicht von selbst einwilligten", sagt Hartmann. "Da wurde im Einzelfall nachgeholfen und wirklich skrupellos vorgegangen." Gemälde, Silber, wertvolles Porzellan und ganze Privat-Bibliotheken fielen zwangsweise dem Staat zu, der sie zu Geld machte.
"Die Mitarbeiter der Kunst- und Antiquitäten GmbH waren da ganz gut ausgestattet. Sie hatten an unterschiedlichen Stellen Depots, in Gewerbegebieten oder Lagerhallen. Und da wurde das erstmal hingebracht und vorsortiert", erzählt Hartmann der DW. Später wurde alles in das zentrale Lager der Kunst- und Antiquitäten GmbH in Mühlenbeck gebracht. "Dort konnten Kunsthändler aus dem Westen oder Privatleute aus Westdeutschland oder Berlin Termine vereinbaren, und sich vor Ort die Sachen anschauen und auswählen."
Viele Stasiakten sind geschreddert
Die Praktiken von Stasi, Polizei und Finanzbehörden im Umgang mit privatem Kunsteigentum sind aus heutiger Sicht mehr als fragwürdig. Die neue Publikation von Ralf Blum, Helge Heidemeyer und Arno Polzin, alle drei Mitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde in Berlin, ist ein "Meilenstein der Forschung", betont Uwe Hartmann. Sie soll eine erste Orientierungshilfe sein - für Wissenschaftler und Provenienzforscher, aber auch für Privatleute, die dem Entzug ihres Familieneigentums durch die Stasi nachgehen wollen.
Restitutionen, wie bei der NS-Raubkunst wird es aber vermutlich kaum geben, vermutete Uwe Hartmann. Dafür sei die Beweislage häufig zu dünn. Viele der damaligen Stasi-Unterlagen sind nach dem Fall der Mauer geschreddert oder anders vernichtet worden. Oder es gab nur mündliche Absprachen.
Die Inventarlisten der Stasi-Unterlagen-Behörde stehen ab sofort als kostenloser Download im Internet zur Verfügung und können auch im Ausland eingesehen werden.