Geraubte Kunst gegen West-Mark
25. Juli 2014Im Februar 1978 standen beim Berliner Arzt Peter Garcke plötzlich Mitarbeiter der verschiedensten ostdeutschen Behörden vor der Tür: Sie durchsuchten Garckes Wohnung und räumten sie fast komplett aus. Denn was für Garckes Frau Rita nur "unsere Wohnungseinrichtung" war, stuften die Behörden als "einen umfangreichen Handel mit Antiquitäten, Goldwaren und Münzen" ein, wie ein Bericht des Untersuchungsausschusses zur DDR-Beutekunst von 1993 schildert. Der Sammler selbst kam hinter Gitter, ihm wurde eine Steuerschuld von ungefähr 2 Millionen Mark errechnet.
Für den sozialistischen Staat war der Handel mit enteigneter Kunst ein lukratives Geschäft. Vermutlich wurden um die 200 Menschen mit oft fingierten Vorwürfen erpresst und meist verhaftet, damit ihre Kunstschätze gegen West-Mark in den Westen verkauft werden konnten. Das brachte im Durchschnitt jedes Jahr 25 Millionen D-Mark in die DDR-Kasse.
Bis heute wurde kaum ein Kunstsammler von damals restituiert. Doch nun gibt es für die Erben der Enteigneten einen Hoffnungsschimmer: Wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtet, hat das Erfurter Angermuseum dem Sohn des Sammlers Heinz Dietel 23 Kunstgegenstände zurückgegeben.
Müll, Waffen und Kunst
Auch Heinz Dietel musste in einem fragwürdigen Steuerverfahren zahlreiche Kunstwerke an die DDR-Firma "Kunst und Antiquitäten" abtreten. Die 1973 gegründete K&A GmbH stand unter der Verantwortung des Ministeriums für Außenhandel. Die sogenannte Kommerzielle Koordinierung führte Alexander Schalck-Golodkowski, ein enger Vertrauter von Staats- und Parteichef Erich Honecker.
Ab 1970 nahm die Verschuldung des sozialistischen Staates von Jahr zu Jahr zu. 1989, im Jahr der Wende, drohte der finanzielle Kollaps für die DDR. Um Devisen in die ostdeutsche Kasse zu bringen, lagerte Schalck-Golodkowski westdeutschen Müll auf DDR-Deponien, handelte mit Waffen und ließ politische Häftlinge vom Westen freikaufen. Außerdem verhökerte er Kunst.
Laut Angaben des Spiegel, schaltete Schalck-Golodkowski dafür sogar seine Kollegen im Ministerium für Staatsicherheit, den Geheimdienst der DDR, ein. Eine Arbeitsgruppe, die Stasi-intern als die "Kunstfahnder" bekannt war, durchforstete die ganze DDR nach Kulturgütern.
Systematisch und im Sinne des Sozialismus
Dass das Ministerium für Staatsicherheit, die Finanzbehörden, die Steuerfahnder, alle tätig wurden zeige, wie lukrativ das Geschäft mit gestohlenen Kunstgegenständen war, erklärt der Rechtsanwalt Detlev Gudat.
Gudat übernahm 1987 einen der ersten DDR Kunstrestitutionsfälle, den Fall des Möbelrestaurators Werner Schwarz. Wie Gudat der DW berichtet, habe ihm der Bürgermeister von Westberlin, Eberhard Diepgen, damals gesagt: "Da haben sie ja offensichtlich in ein Wespennest gestochen."
Eine offizielle Rechtfertigung, um die Wohnungen der Sammler komplett leerzuräumen, hatte die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. "In der DDR war ohnehin der Staat Eigentümer. Privateigentum gab es natürlich, aber das Staatseigentum war höherrangig", erklärt Gudat. "Jeder Selbstständige - sofern es für die Partei opportun war - galt als Volksfeind."
Ein perfekter Ausflug
In Depots, wie dem Zentrallager in Mühlenbeck bei Berlin, wurden Kunstwerke, Porzellan, Münz- und Büchersammlungen, Schmuck und Teppiche aus den Privatbeständen der Enteigneten zum Verkauf gelagert. Über den "Massencharakter des Warenbestands" in Mühlenbeck klagte sogar der Minister für Kultur, dieser führe zu Schwierigkeiten bei der Inventarisierung.
Touristen, Diplomaten und westliche Antiquitätenhändler konnten zum Kunstkauf Busausflüge ins Lager machen. Die meisten Käufer waren Privatpersonen.
Viele kauften "containerweise" im großen Lager, sagt Nicolas Kemle, der Leiter des Heidelberger Instituts für Kunst und Recht. "Das war wunderbar für die Käufer", sagt der frühere Antiquitäten- und Kunsthändler, der jetzt Rechtsanwalt ist. "Wo das alles herkam, war eigentlich nicht ausfindig zu machen."
Restitutionsfragen ein "neuer Trend"
Die Frage nach der Herkunft eines Kunstgegenstandes, sei sowieso neu, erklärt der Antiquitätenexperte Kemle. "Das kam alles erst in den letzten Jahren auf", sagt er.
Das Umdenken sei vor allem durch Nazi-Raubkunst gekommen, die in den letzten Monaten mit dem Fall des Kunsterben Cornelius Gurlitt hohe Wellen geschlagen hat. "Die Restitution der von Nationalsozialisten enteigneten Kunstwerke beherrscht jetzt eigentlich die Restitutionsszene", so Kemle.
Eine anhaltende Pflicht
Deutsche Museen und Archive beschäftigen sich seither verstärkt mit Provenienzforschung. Die Erben von enteigneten DDR-Sammlern wie Heinz Dietel hätten also "Glück", wenn ihr Familienbesitz in Museen und nicht in Privatbesitz gelandet sei, sagt der Provenienzforscher Gilbert Lupfer, der die Abteilung Forschung und wissenschaftliche Kooperation an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden leitet.
Die Aufmerksamkeit für Kunstrestitution, die der Gurlitt Fall erregt hat, wird wohl auch auf DDR-Beutekunst überschwappen. Selbst der Koalitionsvertrag 2013 verweist darauf, dass neben NS-Kunstfällen, die Restitution von enteigneten DDR-Kunstgegenständen eine "noch nicht abgeschlossene Aufgabe" sei.
Auch Lupfer und Kemle sind sicher, dass sich die Provenienzforschung in Zukunft neben der Aufarbeitung von NS-Restitutionsfällen auch immer mehr mit DDR-Beutekunst befassen wird. Laut Lupfer soll nun die Madgeburger "Lost Art" Koordinationsstelle bald auch nach DDR-Beutekunst forschen.
"Dieser Zug rollt und wird immer größer", sagt Kemle. "Ich gehe davon aus, dass es jetzt interessant wird."