Griechenland: "Im Supermarkt fühle ich mich arm"
2. November 2023"Mit dem Geld, das ich heute im Supermarkt ausgebe, um die Familie drei Tage lang zu ernähren, konnte ich letztes Jahr genug für eine ganze Woche einkaufen." Anna Petropoulou ist frustriert. Jeder Gang zum Supermarkt bringt für die Griechin eine neue, unangenehme Überraschung mit sich. Die 49-jährige erwerbstätige Mutter von drei Kindern verdient - zusammen mit ihrem Mann - relativ gut für griechische Verhältnisse. Die Familie besitzt sogar eine Eigentumswohnung. Aber seitdem die Lebensmittel und der Sprit so viel teurer geworden sind, müssen sie schon wieder überall sparen - als ob die Krise von 2010 wieder da wäre.
Eine Packung Kaffee (500 g) kostet mindestens zwei Euro mehr als vor einem Jahr, Milch und Joghurt sind über 50 Prozent teurer, die meisten Brotsorten 30 Prozent und die Eier 28 Prozent. Sogar Feta, der griechische Volkskäse, kostet mittlerweile über zwölf Euro das Kilo, drei bis vier Euro mehr als noch vor einem halben Jahr. "Im Supermarkt fühle ich mich arm", sagt Petropoulou. Sie findet, Premierminister Kyriakos Mitsotakis mache einen guten Job, aber wenn sie seine Parolen von der griechischen Erfolgsstory im Fernsehen hört, wird sie wütend. "Anscheinend lebe ich in einem anderen Land", meint sie.
"Zweifellos eine Erfolgsgeschichte"
Mitsotakis dagegen ist vom Wirtschaftserfolg seines Landes überzeugt: "Griechenland ist heute eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften in Europa, mit steigender Beschäftigung, geringeren Ungleichheiten und verbesserten öffentlichen Finanzen", sagte er vergangene Woche (26.10.2023) beim Treffen des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) in Athen zu EZB-Chefin Christine Lagarde. "Unser Verbleib im Euro war nicht einfach, aber Griechenland ist zweifellos eine Erfolgsgeschichte", erklärte Mitsotakis. Lagarde hatte Griechenland zuvor ausdrücklich gelobt. Im Vergleich zu anderen Ländern schneide das Land gut ab, sagte sie in Athen. 2010 war Griechenland infolge der Finanzkrise auf Ramschniveau heruntergestuft worden. In letzter Zeit hatten mehrere Ratingagenturen das Land wieder als anlagewürdig bewertet.
Von dieser Erfolgsgeschichte hat Anna Petropoulou wenig. Sie hat eine Ewigkeit auf eine Lohnerhöhung gewartet, und seitdem sie endlich ein bisschen mehr Geld verdient, wird das von der enormen Teuerungsrate aufgefressen. Nach den Zahlen des griechischen Statistikamtes ELSTAT lag die Teuerungsrate bei Lebensmitteln im September 2023 bei 9,4 Prozent. Und laut Eurostat stieg die Inflation in Griechenland im Oktober 2023 um 3,9 Prozent an, mehr als in der Eurozone insgesamt.
Der Teufelskreis im Wochenmarkt
Für Katerina Kefala, alleinerziehende Lehrerin, ist das Einkaufen zu einem Horrortrip geworden: "Früher habe ich immer Gemüse und Obst vom Wochenmarkt gekauft weil dort alles günstiger ist und die Qualität stimmt. Aber jetzt gibt es sogar beim Wochenmarkt Luxuspreise", beschwert sie sich. Und das, obwohl die griechische Bezeichnung für Wochenmarkt "Laiki" wörtlich "Für das Volk" heißt.
Die Statistik gibt Kefala Recht. Beim Gemüse lag die Teuerungsrate im September 2023 bei 17,7 Prozent, beim Obst bei 13,9 Prozent. Kefala verdient knapp 1100 Euro im Monat, und mit einer baldigen Gehaltserhöhung kann sie nicht rechnen. Bei ihr reicht das Geld hinten und vorne nicht.
Aber auch die Händler auf dem Wochenmarkt beschweren sich. Der Sommer war viel zu heiß und im September stand das halbe Land infolge von heftigen Regenfällen unter Wasser. Darunter litten sowohl die Qualität als auch die Quantität der Ernte, viele Gemüse- und Obstsorten wurden knapp, die Preise explodierten. Hinzu kam der mit zwei Euro pro Liter hohe Benzinpreis. Die Kunden können sich die erhöhten Preise nicht leisten und kaufen immer weniger. Die Händler ihrerseits können sich nicht leisten, die Preise weiter zu erhöhen und sehen ihren Gewinn gefährlich schrumpfen. Ein Teufelskreis.
Steigende Einnahmen der Supermärkte
Die Supermarkt-Ketten dagegen verzeichnen steigende Einnahmen, obwohl die Kunden zunehmend zu preiswerteren Marken greifen. Aber den Bedarf an Produkten des täglichen Lebens wie Hygieneartikel oder Waschmittel können sie nicht verringern.
Katerina Kefala ist ständig auf der Jagd nach allen möglichen Sonderangeboten, aber oft findet sie auch diese Produkte viel zu teuer oder von sehr niedriger Qualität. "Früher war ich kein Organisationstalent, aber jetzt bin ich gezwungen, alles genau zu planen", sagt sie. Mittlerweile schafft sie es, ihre Einkäufe so zu verteilen, dass sie nicht in einem Monat sowohl neue Wasch- und Reinigungsmittel als auch Olivenöl kaufen muss. Das würde ihre Haushaltskasse sprengen.
Olivenöl als Luxusartikel
Am schlimmsten ist die Preisentwicklung beim Olivenöl. In Griechenland ist es ein Grundnahrungsmittel, fast alles wird damit zubereitet. Seit ein paar Monaten ist Olivenöl zu einem Luxusartikel geworden, die Preise steigen von Woche zu Woche. Ein Liter durchschnittliches Olivenöl, das vor einem Jahr für knapp fünf Euro erhältlich war, kostet jetzt 10,60 Euro oder sogar für 11,60 Euro, je nach Supermarkt.
Es handelt sich um Olivenöl aus der Ernte des Jahres 2022 und nicht aus der diesjährigen Ernte, die schlecht ausfallen soll. Man rechnet also mit neuen Preiserhöhungen, bis zu 15 Euro pro Liter wird dann das Öl kosten. Ein durchschnittlicher vierköpfiges Haushalt in Griechenland verbraucht 60 Liter Olivenöl im Jahr.
Der "Haushaltskorb"
Es war also zu erwarten, dass die größte Sorge der griechischen Bevölkerung in allen Umfragen die Preiserhöhungen sind. Fast neun von zehn Befragten gaben in der neuesten Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Pulse (am 31.10.2023) an, dass sie "sehr" (63 Prozent) und "ziemlich" (23 Prozent) besorgt sind über die hohen Kosten der Einkäufe. Auf die Frage, welche Ausgabenkategorie ihrer Familie sie heute am meisten beunruhigt, nannte knapp die Hälfte Lebensmittel.
Diese Sorge ist der Regierung längst bekannt. Sie versucht seit einem Jahr dagegen zu steuern, mit mäßigem Erfolg, wie die jetzige Teuerungsrate zeigt.
Um den Konsumenten zu helfen, führte sie vor einem Jahr den "Haushaltskorb" ein. Dabei handelt es sich um eine Liste mit grundlegenden Artikeln wie Reis, Milch, Joghurt, Spaghetti, Hülsenfrüchte, Mehl, Toilettenpapier, Seife und ähnliches. Diese Liste mit 50 Produkten wird vom Wirtschaftsministerium jede Woche neu zusammengestellt und an jeden Supermarkt gesandt. Die Geschäfte müssen dann für jedes dieser Produkte den niedrigsten Preis angeben und ihn für die Verbraucher sichtbar markieren.
Verpflichtend ist diese Maßnahme für alle Supermarktketten mit einem Umsatz von mehr als 90 Millionen Euro, für die anderen ist sie optional.