Frankreichs Freundschaftsbesuch: Die Macrons in Deutschland
Veröffentlicht 25. Mai 2024Zuletzt aktualisiert 26. Mai 2024Der letzte Staatsbesuch eines französischen Präsidenten in Deutschland war im Jahr 2000, damals kam Jaques Chirac. Das ist sehr lange her für zwei Länder, die sich so eng verbunden fühlen. Doch die lange Pause hat politisch nichts zu bedeuten. Denn die Regierungschefs und Fachminister beider Länder treffen sich regelmäßig alle paar Monate. Auch Emmanuel Macron war während seiner Amtszeit als Präsident schon häufiger in Deutschland.
Bei einem Staatsbesuch steht auch gar nicht die Politik, sondern die Begegnung mit Land und Leuten im Vordergrund. Gastgeber ist nicht der Bundeskanzler, sondern der Bundespräsident. Stationen der Reise des Präsidentenpaars sind neben Berlin auch Dresden und Münster, wo Emmanuel Macron mit dem Internationalen Preis des Westfälischen Friedens ausgezeichnet werden soll.
Eigentlich sollten Emmanuel und Brigitte Macron im vergangenen Juli nach Deutschland kommen, der Präsident sagte damals aber wegen der Unruhen in Frankreich ab. Sehr viel ruhiger ist es für Macron auch jetzt nicht: Die Europawahl steht vor der Tür, und in Frankreich dürfte nach Umfragen der rechtspopulistische Rassemblement National von Marine Le Pen stärkste Partei werden.
Außerdem hat eine Umfrage für das Eurobarometer im Februar eine deutliche EU-Müdigkeit unter den Franzosen gezeigt. Demnach genießt zum Beispiel das Europaparlament von allen 27 EU-Nationen in Frankreich das geringste Ansehen - ausgerechnet in dem Land, in dem das Parlament tagt und das zusammen mit Deutschland als Motor der EU gilt.
Emmanuel Macron: "Europa kann sterben"
"Unser Europa kann sterben" - mit diesen aufrüttelnden Worten hatte Macron vor einem Monat an der Pariser Universität Sorbonne für mehr Souveränität und mehr gemeinsame Verteidigung für Europa geworben - simultan auf deutsch übersetzt.
Es ist nicht das erste Mal, dass Macron große europapolitische Visionen entwirft. Schon 2017 hatte er das getan und zum Beispiel einen europäischen Finanzminister gefordert. Damals war er in Berlin bei der christdemokratischen Bundeskanzlerin Angela Merkel abgeblitzt. Diesmal lobte Olaf Scholz auf X die "guten Impulse" der Rede für Europa, blieb aber konkrete Antworten schuldig.
Dabei geht es auch um unterschiedliche Mentalitäten, glaubt Marc Ringel, Direktor des Deutsch-Französischen Instituts im baden-württembergischen Ludwigsburg. Visionen seien "eine sehr französische Variante, die Sicht der Dinge zu erklären, die man so in Deutschland nicht finden würde", sagt er der DW. "Helmut Schmidt sagte: 'Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.' Das ist, glaube ich, die nüchterne deutsche Lesart."
Deutsche Bündnistreue, französische Autonomie
Aber auch in vielen Einzelfragen bestehen derzeit deutliche politische Meinungsunterschiede: Paris setzt eindeutig auf Kernkraft, Berlin hat die letzten Atommeiler trotz Energieknappheit abgeschaltet. Macron hat Bodentruppen im Ukraine-Krieg nicht ausgeschlossen, Scholz lehnt sie kategorisch ab. Sowohl die Pläne eines deutsch-französischen Kampfpanzers als auch die eines Kampfflugzeugs kommen nur schleppend voran. Macron will, dass Deutschland bei seinen Rüstungsplänen europäische, nicht zuletzt französische Firmen beauftragt, Deutschland kauft auch gern bei den Amerikanern ein.
"Verteidigung war schon immer ein schwieriges Thema zwischen Deutschland und Frankreich, weil wir an dieser Stelle unterschiedliche Sicherheitskulturen haben", sagt Marc Ringel. "Da haben wir auf deutscher Seite eine sehr enge Anlehnung an die NATO". Dagegen stehe "die strategische Autonomie, die Frankreich für sich in Anspruch nimmt".
Scholz auf französisch, Macron auf deutsch
Die deutsch-französischen Beziehungen seien so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr, klagte kürzlich Friedrich Merz, Chef der wichtigsten Oppositionspartei CDU. Merz sprach auch von einem "Zerwürfnis" zwischen Scholz und Macron in der Frage der Ukraine-Unterstützung. Bei einer gemeinsamen Konferenz dazu im März waren die Spannungen mit Händen zu greifen.
Scholz und Macron wollen aber zumindest nach außen zeigen, dass sie sich verstehen. In einem kurzen Video versuchen sie das jetzt auch in der Sprache des jeweils anderen. Macron liest auf der Plattform TikTok die Frage eines Bürgers vor, der von ihm wissen will, ob das deutsch-französische Paar noch aktuell sei. Anstelle von Macron antwortet Scholz - auf französisch: "Hallo, liebe Freunde, ich bestätige Euch, es lebe die französisch-deutsche Freundschaft!". Macron dann auf deutsch: "Danke, Olaf, ich stimme Dir sehr zu."
Reger Jugendaustausch zwischen Frankreich und Deutschland
Aber wie steht es um die deutsch-französische Freundschaft zwischen den Bürgern beider Länder, jenseits von Urlaubsreisen und Rotwein? Marc Ringel nennt eine Studie von Infratest vom März. "Die zeigt, dass die Zustimmung der Deutschen zu Frankreich als Partnerland ungebrochen hoch ist. Über 80 Prozent der Deutschen sagen, Frankreich ist ein verlässlicher Partner, weitaus mehr Zustimmung als zu allen anderen unserer Partner. Das gleiche haben wir gespiegelt in Frankreich."
Allerdings geht das Erlernen der Sprache des Nachbarn auf beiden Seiten des Rheins zurück. Der frühere französische Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing soll einmal resigniert gesagt haben: "On s'arrange avec l'anglais." (Man behilft sich mit Englisch.)
Englisch als lingua franca ist das eine, meint Ringel. Aber das abnehmende Sprachenlernen könne auch für eine Normalisierung der Beziehungen stehen: "Man schätzt sich gegenseitig, aber das Gegenüber ist so normal geworden, dass man sich vielleicht ein Stück weit weniger bemüht."
Gerade um den Jugendaustausch macht sich der Direktor des Deutsch-Französischen Instituts jedenfalls keine Sorgen: "Es ist ja nicht nur der Schulaustausch. Es gibt auch die Möglichkeit, Praktika zu machen, zum Beispiel beim französischen Freiwilligendienst. Es gibt eine ganze Menge Möglichkeiten, diesen Austausch zu machen, und das wird sehr rege genutzt."