Fatih Akin: "'The Cut' verarbeitet Trauma"
5. September 2014Im Wettbewerb um den Goldenen Löwen war "The Cut" erstmals vor Publikum gezeigt worden. Zunächst der Weltpresse, dann, in einer abendlichen Gala, Gästen aus Kultur, Politik und Wirtschaft. Die Damen in langen Abendkleidern, die Herren in Smoking - doch das, was sie sich dann über zwei Stunden auf der Leinwand ansehen durften, das passte so gar nicht zum festlichen Rahmen.
Grausame Szenen
"The Cut" gibt einen Einblick in ein düsteres Kapitel türkisch-armenischer Historie. Vor dem Hintergrund des Genozids an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs, dem hunderttausende Menschen zum Opfer fielen, erzählt Akin die Geschichte eines verzweifelten armenischen Vaters auf der Suche nach seinen Töchtern. Der Film spart nicht mit grausamen Szenen, mit deutlichen Verweisen auf die Schuld der mordenden türkischen Soldaten.
Nach der Premiere fielen die Reaktionen des Publikums nicht gerade enthusiastisch aus. Während sich die Fachpresse überwiegend enttäuscht zeigte, stieß der Film am Abend beim geladenen Publikum auch auf positive Resonanz. Manche Zuschauer zeigten sich erschüttert von den auf der Leinwand gezeigten Szenen.
In den Tagen nach der Premiere ist Fatih Akin von einem Termin zum anderen gehetzt, hat viele Interviews gegeben. Wie hat er die letzten Tage erlebt, vor allem die ersten Reaktionen türkischer Medienvertreter?
Ein politisch wichtiger Film
"Positiv", sagt Akin in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Bei türkischen Kolumnisten habe er zum Teil großen Enthusiasmus gespürt. Akin unterscheidet: "Die Kolumnisten haben großen Einfluss in der Türkei, die setzen sich nicht so mit der Kinematographie auseinander, es sind keine klassischen Filmkritiker, es sind politische Kolumnisten aus den verschiedensten Lagern." Im Gespräch mit dem Regisseur wird eines deutlich: Die Aufnahme bei der Kritik, die Frage nach dem ästhetischen Wert des Films, ist eine Sache. Die andere ist, und das erscheint dem Regisseur derzeit wichtiger, das Thema des Films.
In der Türkei ist der Genozid an den Armeniern noch heute ein Tabu. Und so überrascht der Optimismus Akins, der keinen Zweifel hegt, dass sein Film demnächst auch in der Türkei zu sehen ist. "Der Tenor (der Kolumnisten, Anmerk. der Red.) ist gleich: Dieser Film kann ohne Bedenken in der Türkei gezeigt werden, er sollte in der Türkei gezeigt werden", so Akin über die Reaktion türkischer Journalisten. Darüber habe er sich sehr gefreut: "Das ist mein größter Traum, dass der Film in der Türkei regulär in die Kinos kommt."
Identifikation angestrebt
Ihm sei es in "The Cut" vor allem um zwei Dinge gegangen: "Mir war wichtig, dass der türkische Zuschauer, der den Film sieht, sich komplett mit der Hauptfigur, die ja Armenier ist, identifizieren kann." Dies sei für ihn allererstes und wichtigstes Ziel gewesen. "Das zweite Ziel war es, dass der Armenier, der den Film sieht, sich natürlich auch mit dem armenischen Helden identifiziert und den Film annimmt." Dies vor allem, weil es der Film eines türkischstämmigen Regisseurs ist. Fatin Akins Eltern wanderten Mitte der 1960er Jahre nach Deutschland ein, er selbst wurde 1973 in Hamburg geboren.
"Der Film versucht ein Trauma zu verarbeiten", sagt Akin und kommt ins Philosophieren: "Was machen wir als Individuum, wenn wir ein Trauma haben? Wir gehen zum Psychiater und setzen uns auf die Couch und machen eine Analyse und reflektieren unser Trauma." Mit etwas Glück sei man dann befreit von diesem Trauma und könne besser damit umgehen. Sein Film sei ein Angebot an ein breites Publikum, das Trauma des Genozids an den Armeniern zu verarbeiten: "Was für das Individuum geht, das gilt auch für ein Kollektiv."
Unterstützung erhielt Akin dabei von Armeniern im Publikum. Nach der Galavorstellung meinten einige, es sei wichtig, dass das Thema endlich einmal behandelt worden ist. Und Akins armenischer Darsteller Simon Abkarian sagte bei der Pressekonferenz: "Dies ist der Film, auf den wir Armenier gewartet haben".
Wie soll man Völkermord auf die Leinwand bringen?
Und wie geht der Regisseur mit den Einwänden der Kritik um, der Film habe dramaturgische Schwächen, könne sich nicht recht entscheiden zwischen historisch-politischem Drama und Genrefilm? Er glaube nicht, dass man sein Werk nur als einen politischen Film über den Genozid an den Armeniern einordnen sollte: "Ich weiß eigentlich nicht, was Völkermord ist", meint Akin, "Was ist das Genre dafür? Was sind die Mittel? Kann ein Film dem überhaupt gerecht werden?" Wenn man nur etwas über den Völkermord erfahren wolle, dann müsse man wohl eher einen Dokumentarfilm drehen.
Er habe eine Geschichte erzählt, die während des Völkermordes beginnt, die aber auch "eine Tragödie, ein Abenteuer, ein Western, ein Drama, ein Epos" ist. Das habe er von Anfang an angestrebt: "Ich musste eine Geschichte erzählen, eine Allerweltsgeschichte, eine einfache Geschichte." Er habe sich ganz bewusst dafür entschieden, ein Einzelschicksal zu erzählen, "so kinematografisch und konventionell wie möglich". Dieser populäre Ansatz wird dem Film "The Cut" beim Kinostart helfen - in Deutschland zumindest.
Größter Wunsch: Kinoeinsatz in der Türkei
Ob das in der Türkei aber auch der Fall sein wird? Hat er keine Angst vor Drohungen nationalistischer Kreise? Schon einmal ist der Filmemacher bedroht worden, als er ein Projekt über den ermordeten armenischen Schriftsteller Hrant Dink plante. Das musste er schließlich aufgeben. Doch darüber denkt er nicht nach, wenn es um "The Cut" geht und einen möglichen Kinoeinsatz im Land seiner Eltern: "Warum soll ich mich fürchten?" fragt er, "Das ist das, was ich am meisten will." Doch so ganz sicher ist er sich dann doch nicht und räumt ein, dass sich die türkischen Kinobesitzer, die "The Cut" irgendwann vielleicht einmal zeigen, in einer schwierigen Lage befinden.