71. Filmfestspiele in Venedig
27. August 2014Fatih Akins neuer Film dürfte für Diskussionen sorgen. In "The Cut" hat sich der in Hamburg lebende Regisseur mit türkischen Wurzeln einem heiklen Thema zugewandt: Dem Mord an hundertausenden Armeniern zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Akin erzählt in seinem Film die Geschichte eines jungen Handwerkers, der während der Massaker an den Armenieren von seiner Familie getrennt wird und sich danach auf die Suche nach seinen Töchtern macht. In der Türkei wird auch heute noch - im Gegensatz zur internationalen Geschichtsforschung - nicht von einem Genozid an den Armeniern gesprochen.
Fatih Akins neuestes Projekt musste abgeblasen werden
Für einen Film wie "The Cut" sei die Türkei bereit, sagte Akin in einem Interview vor drei Wochen noch optimistisch einer türkisch-armenischen Wochenzeitung. Doch sicher sein kann er sich da nicht. Ein geplantes Filmprojekt über die Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink musste der Regisseur absagen, weil er keinen türkischen Hauptdarsteller finden konnte. Das fertige Drehbuch sei von allen angefragten Schauspielern als "zu drastisch" empfunden worden, so Akin. Er habe niemanden in Gefahr bringen wollen: "Deshalb musste ich das Vorhaben aufgeben."
"The Cut" ist nun nur einer von mehreren politischen Beiträgen unter den 20 Filmen des Wettbewerbs um den Goldenen und die Silbernen Löwen in Venedig (27. August bis 6.September). Im französischen Film "Loin des hommes" wird der Algerien-Krieg thematisiert. Die amerikanische Produktion "Good Kill" widmet sich der modernen Kriegsführung mit Drohnen. Und in der US-Produktion "99 Homes" geht es um Immobilien-Spekulationen und die Folgen für die einfachen Menschen.
Viele internationale Co-Produktionen
Festivalchef Alberto Barbera und sein Team haben sich in diesem Jahr auf Produktionen aus Europa konzentriert. Das neben Cannes und Berlin renommierteste und zudem älteste Filmfestival der Welt hat zahlreiche Beiträge aus Frankreich und Gastgeberland Italien im Programm. Doch auch Filme aus Schweden, der Türkei und internationale Co-Produktionen mit breiter europäischer Finanzierung bewerben sich um die Preise. Deutsche Gelder stecken auch im neuen Film des schwedischen Regisseurs Roy Andersson, der für seinen satirisch-surrealen Blick auf das Weltgeschehen bekannt ist.
Eine türkisch-deutsche Co-Produktion ist der Film "Sivas" von Kaan Müjdeci, der in Deutschland lebt und arbeitet. Er erzählt die Geschichte eines elfjährigen Jungen und eines Straßenhundes aus der tiefsten anatolischen Provinz. Neben politischen Themen fallen im diesjährigen Programm mehrere Filme mit stark melodramatisch geprägten Geschichten auf. Hollywood-Star Al Pacino spielt in "Manglehorn" einen Mann, der nicht über eine verflossene Liebe hinwegkommt. Der italienische Film "Hungry Hearts" erzählt von einem Liebespaar in New York, dessen Beziehung durch dramatische Umstände auf die Probe gestellt wird.
Blick auf Kinonationen Iran und Russland
Vom Publikum mit Spannung erwartet werden auch Filme aus dem Iran und Russland. Gerade das kennzeichnet ein großes internationales Festival - dass es Ländern eine Chance gibt sich vor der Weltpresse zu präsentieren, die normalerweise im alltäglichen Kinoangebot nur selten zu sehen sind. Der iranische Film "Ghesseha" von Regisseurin Rakhshān Bani-E‘temād bietet ein breites Panorama der modernen Gesellschaft im Iran. Russlands Altmeister Andrei Konchalovsky blickt in die tiefe russische Provinz und erzählt von Menschen, die weit abgeschieden von der "modernen Zivilisation" zu recht kommen müssen.
Eröffnet werden die Filmfestspiele hingegen von einer Komödie. Der mexikanische Regiestar Alejandro González Iñárritu zeigt seinen Film "Birdman", in dem Ex-Batman Star Michael Keaton einen abgehalfterten Filmstar spielt, der um ein würdiges Karriereende ringt. Ein Film über das Filmemachen und die Welt des Kinos - das Thema ist beileibe nicht neu, aber - falls es gelingt - immer sehenswert. Vor allem zu Beginn eines so großen Festivals. Auch Regieexzentriker Abel Ferrara schickt einen Film über das Filmemachen ins Löwenrennen: "Pasolini" erzählt von den letzten 24 Stunden im Leben des italienischen Filmregisseurs Pier Paolo Pasolini vor dessen Ermordung.
Ein Filmkomponist an der Spitze der Jury
Wer am Ende des Festivals den Goldenen Löwen in den Händen halten darf, darüber entscheidet die prominent besetzte Jury mit dem französischen Filmkomponisten Alexandre Desplat an der Spitze. Der kann sich dabei auch auf den Rat zweier deutschsprachiger Regisseure stützen. Die Österreicherin Jessica Haussner wurde ebenso in die Jury berufen wie ihr deutscher Kollege Philip Gröning.
Der hatte im vergangenen Jahr in Venedig für seinen Film "Die Frau des Polizisten" überraschend den Spezialpreis der Jury erhalten - und darf nun mit entscheiden, wer die Löwen-Sieger in diesem Jahr sind. Gröning zeigte sich kurz vor Festivalbeginn überzeugt, dass Festivalpreise karrierefördernd sein können: "Aus meiner Biografie als Regisseur weiß ich: Die Möglichkeit weiter zu arbeiten, hängt manchmal entscheidend von Preisen ab.