Faktencheck: Wann sind Stimmzettel für die EU-Wahl ungültig?
7. Juni 2024Ungültige Wahlkreuze, gelochte und scheinbar ausgeschlossene Kandidaten: Desinformation rund um den Ablauf der EU-Wahlen vom 6. bis zum 9. Juni verunsichern viele Menschen in Europa.
Laut Tommaso Canetta, Koordinator für Faktenüberprüfung bei der Europäischen Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO), trägt die Verbreitung von Falschbehauptungen dazu bei, das Vertrauen in staatliche Institutionen zu unterminieren und die Wahlbeteiligung zu senken.
"Minderheiten, die extremistischen Gruppen angehören, gehen eher wählen und könnten dadurch ein stärkeres Gewicht bekommen", erklärt Canetta im DW-Gespräch.
Rund 360 Millionen Bürgerinnen und Bürger in 27 europäischen Ländern sind bei den diesjährigen Wahlen zum Europäischen Parlament wahlberechtigt. Die DW hat in ihrem Faktencheck vier falsche Behauptungen zum Wahlprozess aufgegriffen.
Wahlgeheimnis muss gewahrt bleiben
Behauptung: "Ohne Unterschrift ist der Stimmzettel ungültig".
DW-Faktencheck: Falsch.
"Wahlbetrug verhindern, Stimmzettel unterschreiben", heißt es auf einem vermeintlichen Plakat der AfD zur Europawahl (siehe Titelbild). Der Post "Wahlbetrug verhindern, Stimmzettel unterschreiben" kursierte in mehreren sozialen Netzwerken .
Der Aufruf ist irreführend, denn genau das Gegenteil ist der Fall. Wer auf seinem Stimmzettel unterschreibt, macht damit sein Votum ungültig.
Im Bundeswahlgesetz wird eine Unterschrift auf dem Stimmzettel zwar nicht ausdrücklich erwähnt. Allerdings heißt es dort, dass jeder Stimmzettel, der "einen Zusatz oder Vorbehalt enthält", ungültig ist.
Das Büro der Bundeswahlleiterin bestätigte : "Der Stimmzettel darf nicht unterschrieben werden. Durch das Unterschreiben des Stimmzettels durch die Wählerin oder den Wähler wird das Wahlgeheimnis gefährdet. Dies führt zur Ungültigkeit des gesamten Stimmzettels."
"Tipps" von AfD-Kritikern?
Bei der angeblichen "Warnung" könnte es sich um eine Strategie handeln, potenzielle Wähler der AfD in die Irre zu führen. Dafür sprechen mehrere Indizien: Erstens führt die auf dem vermeintlichen AfD-Wahlplakat angegebene URL für die Webseite der Partei "alternativefuer.de" ins Leere.
Außerdem finden sich auf den eigenen digitalen Kanälen der AfD zu dieser "Warnung" keinerlei Hinweise. Und aus den Profilen der User, die den Beitrag posteten, geht eine AfD-kritische Haltung beziehungsweise Ablehnung hervor.
Hilfe für sehbeeinträchtigte Wahlberechtigte
Behauptung: "Gelochte oder abgeschnittene Stimmzettel sind ungültig".
DW-Faktencheck: Falsch.
"So Leute, ich habe wohlweislich Briefwahl beantragt, und gestern die Unterlagen bekommen", schreibt eine Nutzerin auf Tiktok. "Wie ihr seht, von vorneherein ungültig", erklärt sie in ihrem Post.
Und schreibt weiter: "Es gibt ein internationales Gesetz, wonach amtliche Dokumente nicht beschädigt sein dürfen. Dazu zählt eine Lochung oder fehlende Ecken. Ausweise macht man ungültig, indem man die Ecken abschneidet."
Unter dem Post werden verschiedene Stimmzettel gezeigt. Die Wahlunterlagen, die dort zu sehen sind, haben allerdings nichts mit der aktuellen Europawahl zu tun. Sie wurden bei den Landtagswahlen am 14. März 2021 in Baden-Württemberg verwendet.
Die Behauptung, dass eine Lochung oder fehlende Ecken, einen Stimmzettel ungültig machen würden, ist falsch. Laut Definition der Bundeswahlleitung, in Deutschland zuständig für Information und Organisation von Wahlen, ist "eine Stimmzettelschablone ein Hilfsmittel, mit dem blinde und hochgradig sehbehinderte Wahlberechtigte den für die Wahlentscheidung wesentlichen Inhalt des Stimmzettels mit den Fingern lesen und im Wahllokal oder bei der Briefwahl eigenständig und geheim wählen können".
Grundlage für die Erstellung der Wahlunterlagen ist die Bundeswahlordnung . Dort ist festgelegt, dass "zur Verwendung von Stimmzettelschablonen die rechte obere Ecke des Stimmzettels gelocht oder abgeschnitten wird. Muster der Stimmzettel werden unverzüglich nach ihrer Fertigstellung den Blindenvereinen, die ihre Bereitschaft zur Herstellung von Stimmzettelschablonen erklärt haben, zur Verfügung gestellt."
Streit um Wahlkreuze
Behauptung: "Wenn auf dem Stimmzettel die Ränder des Kreises überschrieben sind, wird die Stimme als ungültig erklärt."
DW-Faktencheck: Irreführend.
In den sozialen Netzwerken kursieren Posts mit Wahlzetteln, die erklären, wie man das Wahlkreuz richtig zu setzen habe. Wenn die Ränder überschrieben seien, würde die Stimme als ungültig betrachtet, heißt es auf mehreren Einträgen bei Tiktok (siehe auch hier und hier).
Diese Behauptung ist falsch. Laut Europawahlgesetz Paragraph 16 ist ein Überschreiben des Kreises oder Kästchens kein Kriterium für die Gültigkeit der Stimmabgabe. Außerdem ist laut Bundeswahlleiterin ein Kreuz im vorgesehenen Kreis "nicht zwingend erforderlich".
"In der Regel werden auch andere Symbole (zum Beispiel Punkt, Haken, Doppelkreuz und ähnliches) als zulässig erachtet. Auch die Kennzeichnung außerhalb des dafür vorgesehenen Kreises macht eine Stimmabgabe nicht zwangsläufig ungültig, sofern deutlich erkennbar ist, welcher Wahlvorschlag gekennzeichnet wurde", heißt es auf der offiziellen Webseite.
Gefühlsäußerungen verboten
Ungültig ist ein Stimmzettel laut Bundeswahlleiterin nur, wenn "er den Willen der wählenden Person nicht zweifelsfrei erkennen lässt oder einen Zusatz oder Vorbehalt enthält".
Zu den "unzulässigen Zusätzen oder Vorbehalten" zählen laut Bundeswahlleiterin "allgemeine kritische Anmerkungen neben der Kennzeichnung, Erläuterungen zu den Gründen der Stimmabgabe, Meinungs- oder Gefühlsäußerungen bezogen auf die Wahl, Hinweise auf die Wählerin oder den Wähler."
Die Behauptung, dass Wahlleiter angewiesen würden, AfD-Stimmen für ungültig zu erklären, wenn die Kreuze den Kreis überschrieben, wurde bereits mehrfach vom Recherchenetzwerk Correctiv widerlegt, und zwar vor der Europawahl 2019 und im Rahmen der Bundestagswahl 2017"
Ausschluss aus Fraktion im EU-Parlament
Behauptung: "Die AfD ist von der Europawahl ausgeschlossen".
DW-Faktencheck: Falsch.
"Die AfD wird bei der Sch… Europawahl ausgeschlossen!!!! Da kann man mal sehen, wie sich die angeblichen Herrschaften und ihre möchtegern Deutschen vor Angst in die Hose machen!! Witzregierung und lächerlich peinliche Gesellschaft!!!". Dieser Post wurde am 24. Mai auf Facebook verbreitet.
Auch die bei Welt-TV verwendete Headline"AfD ist bei Europawahl nicht dabei" suggeriert den Ausschluss der Partei bei den Wahlen zum EU-Parlament am 9. Juni.
In Wirklichkeit geht es um den am 23. Mai verfügten Ausschluss der AfD aus der Fraktion Identität und Demokratie (ID) im Europaparlament und damit um die Distanzierung der ID Fraktion von der in Teilen rechtsextremistischen deutschen Partei.
Die ID ist ein Parteienbündnis rechtspopulistischer und nationalistischer Parteien im EU-Parlament. Zu der Fraktion gehören unter anderem die Partei der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen, "Rassemblement National" und die italienische "Lega".
Die AfD bedauerte den Ausschluss in einer Pressemitteilung vom 23. Mai dieses Jahres. "Wir haben die Entscheidung der ID-Fraktion zur Kenntnis genommen", heißt es dort. "Dennoch sehen wir optimistisch auf den Wahlabend und die darauffolgenden Tage".
Fazit: Die AfD ist nicht von den EU-Wahlen ausgeschlossen. Dies gilt auch für ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah. Diesem sind zwar von seiner eigenen Partei alle öffentlichen Auftritte im Wahlkampf verboten worden. Er bleibt jedoch an Platz 1, da die gesetzliche Frist für eine Änderung der Kandidatenlisten zur Europawahl bereits am 18. März ausgelaufen ist.