Arbeiten in Zeiten des Klimawandels
24. Juli 2020Für Uwe Wötzel ist die Sache klar: "Auf einem toten Planeten gibt es keine gute Arbeit", fasst der Referent für Umweltpolitik bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die Position seiner Gewerkschaft zum Thema Klimawandel zusammen.
Dass sich ver.di für mehr Klimaschutz einsetzt, verwundert nicht. Schließlich vertritt die Gewerkschaft viele Arbeitende, die von Extremwetter besonders stark betroffen sind. "Für Busfahrerinnen, Straßenbahnfahrer oder Angestellte in der Postzustellung sind die Hitzeperioden, die wir in den vergangenen Jahren hatten, eine große Belastung", sagt Wötzel. Hier müsse dringend für Entlastung gesorgt werden - durch klimatisierte Fahrzeuge, häufigere Pausen oder Verlagerung der Arbeit in kühlere Tageszeiten.
Streitpunkt Hitzegeld
Denn "hitzefrei" gibt es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht. Zwar dürfen Arbeitsräume laut Arbeitsschutzgesetzen nicht wärmer als 26 Grad Celsius sein. Ab 35 Grad müssen Arbeitende die Arbeitsstätte verlassen - es sei denn, die Arbeitgeberseite ergreift Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Gesundheit der Arbeitenden nicht gefährdet wird, heißt es.
Gewerkschaften fordern, in besonders von Extremwetter betroffenen Brachen, wie dem Baugewerbe, an extrem heißen Tagen ein Ausfallgeld zu zahlen. Arbeitgeberverbände lehnen dies ab. Aber auch generell müssten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mögliche Gefährdungen, die durch die Folgen des Klimawandels drohten, systematisch erfassen, fordert Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund im Gespräch mit der DW. "Daraus müssen Schutzmaßnahmen abgeleitet werden, die dann regelmäßig kontrolliert und angepasst werden. Das ist leider noch immer kein Standard in den Unternehmen." Wenn etwa Verkehrswege nach Stürmen, Bränden oder Starkregen beeinträchtigt seien, böte sich Arbeit im Homeoffice an.
Homeoffice: "Heimvorteil" fürs Klima
Homeoffice hat in Corona-Zeiten Hochkonjunktur. Laut Angaben des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft arbeitete jeder vierte Beschäftigte in der ersten Aprilwoche 2020 im Homeoffice. Zwar lehnen Arbeitgeberverbände ein Recht auf Homeoffice ab. Dennoch gaben in einer Umfrage desFraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation 42 Prozent der knapp 500 befragten Betriebe an, ihre Angebot für die Arbeit im Homeoffice ausweiten zu wollen. Ähnliche Ergebnisse erbrachte eine Umfrage des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung: Hier gaben mehr als die Hälfte der Unternehmen an, ihre Beschäftigten auch in Zukunft stärker von zu Hause arbeiten zu lassen.
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Für den Klimaschutz ist das eine gute Nachricht, wie eine Studie des arbeitgebernahen Instituts für angewandte Arbeitswissenschaften (ifaa) zeigt. Wenn zehn Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland, die sonst mit dem Auto zur Arbeit fahren, einen Tag pro Woche von zu Hause aus arbeiteten, würden jährlich gut 853.000 Tonnen CO2 eingespart, so das Ergebnis.
Wie viel CO2 durch die Einschränkungen vom 23.3.2020 bis 19.4.2020 eingespart wurde, wird das Umweltbundesamt (UBA) erst Ende des Jahres errechnen. Untersuchungen in einigen Bundesländern zeigen jedoch bereits, so das UBA, dass der Straßenverkehr in den Städten um 30 bis 50 Prozent zurückging und damit auch die Stickstoffdioxid-Konzentrationen (NO2) an verkehrsnahen Messstationen - und zwar um 15 bis 40 Prozent. Mancherorts wurden die niedrigsten NO2-Konzentrationen seit Messbeginn festgestellt.
Digitalisierung hilft in Hitzephasen
Gleitzeiten oder Homeoffice seien auch vor der Corona-Krise in Hitzeperioden bereits vielfach gelebte Praxis gewesen, betont Alexander Felsch von der Landesvereinigung der Unternehmerverbände in Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland.
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Und produzierende Unternehmen profitierten bei Hitze durch die Digitalisierung, sagt Felsch, der für Wirtschafts- und Umweltpolitik zuständig ist. "Immer mehr Maschinen werden nicht mehr permanent vor Ort bedient, sondern lassen sich per App steuern. Wenn die Temperatur in der Produktionshalle zu hoch wird, kann der Maschinenführer zwischenzeitlich in einen kühleren Raum wechseln."
Wenig Eile bei Gebäude-Nachrüstungen
Es gibt auch Firmengebäude, die dem Klimawandel bereits Rechnung tragen. Etwa das "thyssenkrupp Quartier" in Essen. Ein Prestige-Neubau: beheizt und gekühlt durch Geothermie, mit Sonnenschutz an den Fassaden und nachhaltiger Regenwasser-Bewirtschaftung, dazu einem See und Freiflächen, die für ein gutes Mikroklima auf dem Gelände sorgen.
Meistens aber erfolge die Anpassung von Gebäuden eher in einem "kontinuierlichen Prozess", erzählt Alexander Felsch. Was soviel heißt wie: Neue Thermofenster kommen erst dann, wenn die alten Fenster ausgetauscht werden müssen.
Auch Regen verursacht immer häufiger Probleme, etwa dann, wenn Tiefgaragen oder Keller bei Starkregen überflutet werden. Die unterirdische Infrastruktur in Deutschland ist vielfach nicht für vermehrten Starkregen ausgelegt, erläutert Frank Jansen vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI). "Die Abwasserkanäle sind oftmals zu klein dimensioniert für die enormen Wassermassen, die dann innerhalb kurzer Zeit entstehen." Zwar gebe es technische Möglichkeiten, das Wasser auch anderweitig abzuleiten, aber das bedeute zusätzliche Kosten, die sich erst auf lange Sicht rechneten.
Kein Masterplan für den Klimawandel
Solche Kosten mögen Unternehmen für ihre neue Firmenzentrale zwar in Kauf nehmen. Investoren, deren Geschäftsmodell darauf basiert, Bürogebäude zu errichten, um sie wieder zu verkaufen, aber vermutlich eher nicht. Und von ihnen gibt es viele.
Fazit: Umfassende Masterpläne zur Anpassung an den Klimawandel gibt es in der Arbeitswelt nur selten. Olaf Eisele, beim ifaa mit dem Thema Unternehmensexzellenz betraut, bestätigt diesen Eindruck. "Generell haben viele Unternehmen, gerade die kleinen und mittelständischen, großen Nachholbedarf beim Thema Risikomanagement." Und zu den Risiken zählten auch Folgen des Klimawandels.
Wie wenig der Klimawandel als Unternehmensrisiko wahrgenommen wird, zeigt das Riskikobarometer der Allianz-Gruppe aus dem Herbst des vergangenen Jahres. Weltweit landete der Klimawandel auf Rang sieben der als besonders kritisch erachteten Risiken für das Jahr 2020. Pandemien übrigens sahen die mehr als 2700 befragten Unternehmen aus 102 Nationen als das geringste der abgefragten Risiken an.
Grüne Dächer halten Gebäude kühler
Und die öffentliche Hand? Auch Bund, Städte und Bundesländer sind große Arbeitgeber. Eigentümer der Immobilien des Landes Nordrhein-Westfalen ist der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW). Hier heißt es auf Anfrage der DW: "Eine allgemeinverbindliche Richtlinie, die anlässlich des Klimawandels veränderte Vorgehensweisen beim Bau und Betrieb von Gebäuden vorschreibt, gibt es nicht. […] weil das Portfolio aus sehr unterschiedlichen Gebäuden besteht."
Bei der Planung habe man aber die klimatischen Rahmenbedingungen der Zukunft im Blick, versichert der BLB NRW. So wolle man künftig etwa das Thema Dachbegrünung stärker in den Fokus nehmen. Begrünte Dächer tragen durch Verdunstungskälte zum Abkühlung von Gebäuden bei - ähnlich wie Schweiß auf der Haut.
Feuerwehreinsatz schlägt Bürojob
Künftig könnte sich auch ein Waldbrand in Brandenburg oder der Lüneburger Heide auf ein Unternehmen in München auswirken. Nämlich dann, wenn Großbrände in dünn besiedelten Gebieten ausbrechen, mit denen die Feuerwehren vor Ort überfordert sind, und Einsatzkräfte aus weiter entfernten Städten aushelfen müssen. Und Großbrände werden vermutlich in Zukunft häufiger, meint Karl-Heinz Knorr, Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbands. "Wir müssen uns auf tage- oder sogar wochenlange Löscheinsätze vorbereiten und das heißt, dass Arbeitgeber öfter und länger auf diejenigen aus ihrer Belegschaft verzichten müssen, die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren sind."
Zwar gibt es für den Ausfall der Arbeitskräfte Geld von den Kommunen. Doch bedenkt man, dass die Feuerwehr in Deutschland zu 90 Prozent aus ehrenamtlichen Mitgliedern besteht - von rund einer Million Einsatzkräften sind das mehr als 900.000 Freiwillige - wird die mögliche Dimension deutlich.
Ein Anhalten der Corona-Krise dürfte überregionale Großeinsätze noch aufwändiger machen, weil auch bei diesen die Abstands- und Schutzregeln einzuhalten seien, sagt Knorr.
Und nicht nur bei Großbränden wird die Feuerwehr gerufen, auch bei Überflutungen, starken Schneefällen oder Sturmschäden rückt sie an - der ganzen Bandbreite von Extremwetter. Und Extremwetter wird allen Prognosen nach durch den Klimawandel zunehmen.