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Schlechte Ernte gefährdet Existenzen

3. Juli 2018

Der Hochsommer begann im April. Doch was Sonnenhungrige, Biergärtenbetreiber, Cabriofahrer, Freibadliebhaber und Grillfans freut, belastet Landwirte in Ostdeutschland massiv. Sie erleiden eine Missernte.

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Symbolbild: Ernteausfall in Mecklenburg-Vorpommern, Feldbrand
Bild: picture-alliance/dpa/P. Ending

"Ich war wie in Schockstarre als ich die lodernden Flammen am Horizont sah", gesteht Sarah Selig. Die junge Frau hatte sich extra Urlaub genommen, um ihren Eltern bei der Ernte zu helfen. "Es ist die schönste Zeit des Jahres für mich. Es macht einfach Spaß, aber jetzt ist die Lage sehr angespannt", gibt sie zu und fährt fort, über das gerade Erlebte zu reden.

Ernte als Abenteuer 

Ihr Bruder fuhr mit dem Mähdrescher durch das Gerstenfeld, um das Getreide zu dreschen. Und Selig folgte unmittelbar mit dem Traktor und der angehängten Egge, um die staubtrockenen Stoppeln sofort umzupflügen. Es sollte eine Vorsichtsmaßnahme sein gegen die drohende Brandgefahr, denn die anhaltende Trockenheit und aufkommender Wind bergen enorme Gefahren.

"In den Maschinenteilen des Mähdreschers sammeln sich Staub oder kleine Steinchen, die sich durch Reibung entzünden. Und auch in den heißen Motoren oder durch die Hitze am Auspuff können sich Funken bilden, die dann ein Strohfeuer entfachen", erklärt Sarah Selig. Zur Vorsorge hatte sie Wasserkanister und Feuerlöscher dabei. 

Am ersten Erntetag hatte die Familie noch Glück. Die Landwirtstochter nahm zunächst einen verbrannten Geruch wahr, worauf ihr Bruder das Erntegerät sofort stoppte, um es abzukühlen. Die Maschine wurde gereinigt und mit Wasser besprüht. 

Mehr dazu: Klimawandel verursacht Extremwetter: Lässt sich das beweisen?

Extreme Trockenheit in Ostdeutschland - Feld von Familie Klänhammer
Wassertanks und Feuerwehr sichern die Ernte auf dem Feld von Familie Klänhammer bei Penkun/ VorpommernBild: Sarah Selig

Am zweiten Tag passierte dann das Malheur: Das Feld stand in Flammen. "Es ist immerhin 25 Hektar groß. Wir wussten gar nicht, ob unser Grund betroffen war oder der des Nachbarn", erinnert sich Sarah Selig. Die Gegend um Penkun an der Grenze zu Polen ist flach. Die Menschen leben von Ackerbau und Viehzucht. Die Felder reichen soweit das Auge sehen kann.

Wie in Trance rannte sie zum Trecker, fuhr einfach los, was das Gefährt hergab, um den Bestand zu retten. Der Wind war ihr Feind, als sie mit der Egge Erdschneisen zog, um die Feuerbrunst einzudämmen, das Ausbreiten der Flammen zu verhindern.

Ein Erntehelfer war "Gott sei Dank", so Selig, zur Stelle, um mit Wasser aus einem Tankwagen zu löschen. Die herbeieilende Feuerwehr spritzte die Glut auf dem Acker ab. Doch eine Fläche von zwei Hektar Land war nicht mehr zu retten. Wenig später stand auch das abgeerntete Feld der Nachbarn in Flammen. Dass sie sich in Lebensgefahr begeben hatte, wurde Sarah Selig erst später klar.

Nicht nur Landwirte, sondern auch die Feuerwehren zwischen Schwerin und Greifswald sind in Alarmbereitsschaft. Immer mehr Anbauflächen geraten in Flammen. Feuer vernichten wertvolles Getreide während der Ernte, fertig gepresste Strohballen, die auf den Feldern zwischenlagern und sogar teure Landmaschinen.

Symbolbild: Ernteausfall in Mecklenburg-Vorpommern, Feldbrand
Zu spät für die Feuerwehr: Die Flammen haben das trockene Stroh entzündet, die Erde verbranntBild: picture-alliance/C. Leimig

Und so hat Sarah Selig nur einen Wunsch in diesen Tagen: "Ein kräftiger Landregen würde die Brandgefahr beim Getreide jetzt mindern. Mais und Zuckerrüben bräuchten dagegen schon größere Mengen Niederschlag, damit die Ernte überhaupt noch zu retten ist."

"Es soll noch wärmer werden. Trockener kann es nicht mehr werden"

Das sagt Bernd Klänhammer und richtet den Blick nach oben. Schon wieder so ein strahlend blauer Himmel. Der Feuerwehr ist er dankbar für den schnellen Einsatz, betont er. Und er sei froh, dass bei dem Brand auf dem Feld niemand zu Schaden kam.

Der Vater von Sarah Selig ist kein Typ, der sich beklagt. Aber diese Trockenheit macht dem 53-Jährigen doch zu schaffen. Mit der Wende 1990 hat er sich als Landwirt selbstständig gemacht, in Penkun, 180 Kilometer nordöstlich von Berlin. Seither beginnt sein Arbeitstag um 5:30 Uhr. An Tagen, an denen das Korn gedroschen wird, zählt jede Minute. Es sind Tage, an denen er die Feldarbeit erst um 22:30 Uhr einstellt.

Auch sein Bruder ist Landwirt, sein Vater hat Felder bestellt, zuerst in Eigenregie, dann im DDR-System. Zwei Tage etwa, schätzt Klänhammer, hat er nun Pause. Die Gerste ist abgeerntet, nun heißt es abwarten, bis der Raps Erntereife erreicht. Inzwischen wartet er die Maschinen und verhandelt mit potentiellen Abnehmern seines Getreides über Verkaufspreise. 

500 Hektar hat der Penkuner zu bestellen, umgerechnet fünf Quadratkilometer Fläche, dazu mästet seine Familie noch Schweine. Die Einfuhr der Ernte beschäftigt ihn - einerseits. Andererseits macht er sich Sorgen, weil die Ausbeute jetzt schon nicht für das Futter der Tiere reicht. 

Symbolbild: Ernteausfall in Mecklenburg-Vorpommern
Ein Gerstenfeld vor einem Jahr - damals hatten Dauerregen und kräftiger Hagelschlag die Ernte zerstörtBild: picture-alliance/E. Weingartner

Die Kosten erhöhen sich, wenn er Futter zukaufen muss. Gleichzeitig sinkt sein Einkommen, wenn er weniger Ertrag oder eine mindere Qualität auf dem Getreidemarkt anbietet.

Es ist das dritte Jahr infolge, in dem er und seine Kollegen mit Wetterextremen zu kämpfen haben. "Ich bin gläubiger Christ, glaube an den Bibelspruch von den sieben nassen und den sieben trockenen Jahren mehr als an extremen Klimawandel", gibt Klänhammer zu.

Flexibilität bei der Wahl der Getreidesorten ist gefragt

Letztes Jahr sind er und seine Kollegen regelrecht abgesoffen auf den Feldern. "Wir sind gar nicht auf die Äcker gekommen. Das kann uns auch dieses Jahr noch drohen", gibt der Mann aus Penkun zu bedenken. Aber seit Monaten ist das Land staubtrocken.

Klänhammer hat viel zu erzählen: fundiertes Wissen, selbst Erfahrenes. "Nach dem Regen im letzten Jahr haben wir Sorten zum Aussäen gewählt, die Nässe resistent und winterhart sind, jetzt müssen wir uns zusätzlich nach hitzebeständigen Sorten umschauen." Daneben macht die Düngereform seiner Zunft zu schaffen. "Wir sind gezwungen, wegen des hohen Nitratgehaltes im Grundwasser, weniger Gülle auszubringen. Dafür braucht es Sorten, die mit weniger Dünger die gleiche Qualität und guten Ertrag bringen." 

Mehr dazu: Weniger Nitrat im Trinkwasser mit digitaler Düngung?

ann es zuletzt regnete? Dazu fällt ihm gerade keine Antwort ein. Nur soviel: "So eine extreme Sonneneinstrahlung hatten wir noch nie." Er befürchtet, dass Zuckerrüben und Mais, für das Vieh notwendiges Futter, ohne Niederschläge verloren gehen.

Den Klimawandel-Theoretikern, glaubt er nicht. Dennoch hat er eine spürbare Erderwärmung in den letzten zehn Jahren festgestellt, die sich, insgesamt gesehen, sogar vorteilhaft auf die Erträge ausgewirkt hat: "Dieses Jahr stellt eine Ausnahme dar", glaubt er - hofft er: "Die Bestände sehen auf den ersten Blick sogar nicht schlecht aus. Doch die Pflanzen haben nicht genügend Kraft, sich voll zu entwickeln, weil das Wasser fehlt, um die Nährstoffe aus dem Boden in die Pflanzenspitze zu transportieren. Die Reifezeit verkürzt sich, die Ernte beginnt Wochen früher, doch die Halme bilden nicht so viele oder nur verkümmerte Körner aus." 

BdT Weizen
Gute Qualität oder schlechte? Auf den ersten Blick nicht leicht zu erkennenBild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt

Die Landwirte sprechen von Noternte. Im schlimmsten Fall vertrocknen die Pflanzen. Sie sterben. Schlecht ausgebildete Körner haben einen kleinen Mehlkörper und enthalten weniger Stärke, womit die Qualität sinkt. Proteine im Mehl sorgen für eine hohe Kleisterfähigkeit, wichtig bei der Brotherstellung.

"Gute Weizenqualitäten können nur in wenigen Regionen der Welt hergestellt werden, darunter in Deutschland", erklärt Ann-Kristin Hanell vom Bauernverband Mecklenburg-Vorpommern. Wenn aber die Landwirte eine schlechtere Qualität und weniger in absoluter Masse ernten, verkaufen sie das Getreide zu schlechten Preisen. Dann fehlt das Geld, um neues Saatgut zu kaufen.

Bauer Klänhammer hat 30 Prozent Ernteausfall allein bei der Gerste beziffert. Hätte es letztes Jahr nicht soviel geregnet, wäre die Ausbeute noch geringer, glaubt er: "Wenn aber jetzt die anderen Kulturen auch weniger Ertrag als erwartet bringen, wird es knapp." Er fürchtet um seine Existenz. 

Kein Wetterwechsel in Sicht 

"Mecklenburg-Vorpommern verbleibt unter Hochdruckeinfluss. Mit einer nördlichen Strömung wird warme Meeresluft herangeführt", beschreibt der Deutsche Wetterdienst (DWD) das Wetter im Nordosten Deutschlands auch für die weiteren Tage. Ungestörter Sonnenschein, niederschlagsfrei, sehr hohe Waldbrandgefahr, lauten weitere Vokabeln der Meteorologen.

Diese Angaben beunruhigen Sven Saeger zutiefst. Das Telefon des Sprechers beim Kreisbauernverband Uecker-Randow, zu dem auch Penkun gehört, steht nicht still. Abwechselnd führt er Gespräche mit dem Landwirtschaftsministerium in Schwerin und gibt Interviews. "Schon die Monate April und Mai waren so warm wie nie zuvor seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881", beschreibt Saeger die Lage. Mit 50 Prozent Ertragseinbußen rechnet der Nebenerwerbslandwirt für seine Zunft.

Das dritte schwierige Jahr in Folge bedroht Existenzen 

Viele Pflanzen leiden bei Sonne und ungewöhnlich sommerlichen Temperaturen um die 30 Grad Celsius unter Trockenstress. Die Oberkrume der frisch bearbeiteten Ackerflächen trocknet durch die starke Sonneneinstrahlung stark aus. Hafer, Gerste und Roggen sind derart geschädigt, dass sie nicht mehr zur Nahrungsmittelproduktion verwertet werden können. 

Extreme Trockenheit in Ostdeutschland - Feld von Familie Klänhammer
Der Trecker von Sarah Selig wirbelt Staub auf. Sie pflügt den Boden unmittelbar nach der Ernte - um Brände zu verhüten. Bild: Sarah Selig

Selbst als Tierfutter sind die mickrigen Körner ungeeignet. So landet das Getreide vielfach zur Energiegewinnung in Biogasanlagen. Auch für die Grünland-Ernte, Gras für das Vieh, hat Saeger keine guten Prognosen: "Der erste Schnitt brachte 50 Prozent weniger Ertrag als sonst. Und das Gras für den zweiten Schnitt wächst erst gar nicht, weil der Regen fehlt." Die Betriebe müssen Getreide kaufen, weil die eigenen Futterquellen versiegt sind.

Die Lage werde dramatisch, sollte es nicht bald regnen, so Saeger. "Wir kämpfen mit der Dürre, mit gefallenen Rohstoffpreisen, obwohl bei den geringeren Erträgen die Preise doch steigen müssten." Zwar erhöht der Einzelhandel die Preise für den Endverbraucher, doch am Weltmarkt sind die Weizenbestände derzeit nicht bedroht. 

Bis zu einem Drittel der Betriebe könnten es finanziell durch Eigenmittel nicht bis zur nächsten Ernte schaffen, rechnet Ann-Kristin Hanell vom Bauernverband Mecklenburg-Vorpommern vor. Der Verband fordert schnellstmögliche und unkomplizierte Hilfen.

Das Landwirtschaftsministerium im nordöstlichsten Bundesland hat sogar die Randstreifen zur Futtergewinnung freigegeben, obwohl auf diesen ökologischen "Vorrangflächen" die Natur sich ausbreiten soll, um die Artenvielfalt zu fördern und insbesondere Insekten anzulocken - eine kurzfristige Strategie, um die dritte Missernte infolge abzumildern. Doch auf den Ackerrainen sind die Halme nicht minder ausgedörrt.

Mehr dazu: Insektensterben: Machen Bienen und Käfer sich weltweit davon?

Hinzu kommt der Umstand, dass viele Landwirte den Grund nur gepachtet haben. Eigentümer ist häufig die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG). Das Unternehmen wurde nach der Wende vom Bund beauftragt, die ehemals volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen zu privatisieren. Nun bietet die BVVG den Landwirten die Stundung der Pachtbeträge an - bis zum 31. Dezember 2018. 

Extreme Trockenheit in Ostdeutschland - Feld von Familie Klänhammer
Felder von Bauer Klänhammer, soweit das Auge reicht. Große Flächen waren typisch für die DDR-Landwirtschaft. Bild: Sarah Selig

Eine Stundung hält Sven Saeger für nicht ausreichend. Er fordert, die Pacht ganz auszusetzen, damit die Landwirte liquide bleiben für den Einkauf neuen Saatguts. Außerdem hält er ein sofortiges Hilfsprogramm, eine "Dürrehilfe" für notwendig - Geld, das die Betroffenen nicht zurückzahlen müssen. Und dann greift Saeger schon wieder zum Telefonhörer.