Digitaler Schub durch Corona
20. April 2020Millionen Deutsche arbeiten von zu Hause aus, treffen sich in Videokonferenzen und nutzen plötzlich digitale Plattformen. Was noch vor Wochen unvorstellbar war, ist in der Corona-Krise schnell zur neuen Normalität geworden. Doch das ist nicht das ganze Bild. Denn noch immer setzen viele Unternehmen auf althergebrachte analoge Abläufe. Und auch mehr als einen Monat, nachdem die Corona-Pandemie mit voller Härte Deutschland erreicht hat, übermitteln viele Gesundheitsämter in Deutschland die Zahl neuer Infektionen und Todesfälle mit dem Fax-Gerät ins Berliner Robert-Koch-Institut.
Digitales Arbeiten zur Krisenbewältigung
Trotzdem kommen immer mehr Unternehmen und ihre Mitarbeiter auf den Geschmack, wenn es um die Arbeit aus dem Homeoffice geht. "Vor allem Branchen, die bislang nicht zu den Digitalisierungsvorreitern gezählt haben, haben jetzt die Möglichkeit, die 'tief hängenden digitalen Früchte' zu ernten und so mithilfe von digitalen Lösungen schnell zu guten Ergebnissen zu kommen", sagt Nils Britze im Gespräch mit der DW. Er leitet beim Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche, Bitkom, den Bereich für digitale Geschäftsprozesse.
"Digitale Technologien haben aktuell und grundsätzlich enormes Potenzial. Und gerade jetzt sind das Lösungen, die das gesellschaftliche Leben aufrechterhalten, angefangen beim Online-Shopping bis hin zum digitalen Bürgeramt und zum Bildungsbereich, Stichwort: virtuelles Klassenzimmer."
Zukunftsvision papierloses Büro
Natürlich gibt es große Unterschiede bei der Digitalisierung der deutschen Wirtschaft. Größere Unternehmen sind da meistens schon weiter als kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU), bestätigt Britze. Noch immer seien viele Firmen genauso wie Teile des Bildungssystems und der Verwaltung papierbasiert, vertrauten auf Briefpost, dem Faxgerät und den Versand von Broschüren. Doch durch die Corona-Krise seien viele Entscheider aufgewacht.
Sogar kleinere Firmen, die abgesehen von Emails vorher kaum digital gearbeitet haben, können jetzt schnell auf den digitalen Zug aufspringen, so Britze. "Mithilfe von Cloud-Technologie kann jeder Unternehmer innerhalb von ein paar Stunden eine digitale Lösung zum digitalen Unterschreiben, zum gemeinsamen Bearbeiten von Dokumenten, oder für Videokonferenzen einrichten."
Neue Führungskultur gefragt
Hätte man dafür wie früher in die IT-Infrastruktur innerhalb der Firma mit Rechnern und Servern investieren müssen, wäre das nicht zu stemmen gewesen, so Britze. "Das ist ja eigentlich fast ein Wunder, wie schnell Unternehmen da nachbessern konnten."
Allein digitale Tools für alte Arbeitsabläufe zu nutzen, reiche allerdings nicht aus, meint Britze. "Man muss Prozesse hinterfragen, anders aufstellen, Prozesse anpassen, um den vollen Nutzen digitaler Technologie zu bekommen."
Bei der Digitalisierung müsse man eben neue Wege beschreiten und könne nicht einfach so weitermachen wie bisher. "Wenn sie einen schlechten analogen Prozess digitalisieren, dann haben Sie am Ende einen schlechten digitalen Prozess", unterstreicht der Experte für digitale Geschäftsprozesse.
Dazu kommt, dass auch Chefs umdenken müssen. "Wenn sich Führungskräfte und Mitarbeiter nicht täglich persönlich sehen, ist natürlich ein gewisses Vertrauen absolute Grundlage für das produktive Zusammenarbeiten. Und Führungskräfte müssen sich über diese Herausforderung auch ein Stück weit Gedanken machen und überlegen, wie sie ihre Mitarbeiter produktiv an Bord behalten."
Sechsmal mehr Homeoffice-Nutzer in den USA
Kate Lister von der Beratungsfirma Global Workplace Analytics, die derzeit eine Umfrage über die Beteiligung von digitalen Heimarbeitern durchführt, sagt voraus, dass 30 Prozent der Menschen in den USA künftig mehrere Tage pro Woche von zu Hause aus arbeiten werden.
Gegenüber dem Technologie-Blog Recode sagte Lister, dass es da einen gewaltigen Nachholbedarf gebe. Während vor der Corona-Krise in den USA nur knapp fünf Prozent der Arbeitnehmer aus dem Home Office gearbeitet haben, ist dieser Anteil durch die Corona-Krise auf mehr als 30 Prozent nach oben geschnellt, ergab eine aktuelle Studie der US-Hochschule MIT.
Und damit ist fürs Erste auch der maximal mögliche Anteil von Mitarbeitern im Home Office in den USA erreicht, rechnete die University of Chicago vor.
Auch Bitkom-Experte Britze ist zuversichtlich, dass man nach der Corona-Krise das Rad der Digitalisierung nicht mehr zurückdrehen kann. " Diese Entwicklung wird sich verstetigen. Und es wäre natürlich wünschenswert, wenn Deutschland zum digitalen Überflieger werden würde. Am Ende haben wir das selbst in der Hand."