Donald Trumps Basis der Abtreibungsgegner
11. Oktober 2020Freitagmorgen, 9.30 Uhr, am Rand einer viel befahrenen Straße in Indianapolis, Indiana im Mittleren Westen der USA. Bei dem Lärm der vorbeidonnernden Laster ist es schwer, sich zu unterhalten. Aber die College-Studenten, die sich am Gehweg positionieren, sind vorbereitet. Jeder von ihnen hält ein großes Plakat, sodass sie für ihre Sache eintreten können, ohne ein Wort sagen zu müssen.
Die Frauen und Männer Anfang 20 protestieren an diesem sonnigen Vormittag vor einer Klinik der Organisation Planned Parenthood. Sie versuchen Frauen davon abzubringen, eine Abtreibung durchführen zu lassen. Auf ihren Schildern stehen Botschaften wie "Lasst uns kleine Leben lieben" oder "Lebensschutz ist Frauenschutz". Ein sehr drastisches Plakat zeigt ein Bild eines abgetriebenen Fötus.
Sie demonstriere vor Abtreibungskliniken, seitdem sie "so groß" war, sagt Christine Manring lachend und hält die Hand tief über den Boden. Es sei für die heute 21-Jährige und ihre neun Geschwister so etwas wie eine Familientradition gewesen. Ungefähr einmal pro Monat hätten ihre Eltern sie zu Protesten mitgenommen. Seitdem sie 14 ist, verteilt Manring Flyer.
Sie studiert in Indianapolis Krankenpflege und ist Mitglied des landesweiten Verbands "Students for Life", in dem sich Schüler und Studenten gegen Abtreibungen engagieren. Sie ist leidenschaftlich bei der Sache. "Abtreibung ist der größte Genozid in der menschlichen Geschichte", sagt Manring der Deutschen Welle. "Jeder sollte das stoppen wollen."
Evangelikale für Trump entscheidend
Christine Manring und viele ihrer Mitdemonstranten sind Evangelikale, eine Untergruppe protestantischer Christen, die extrem konservative politische Ansichten haben. Ungefähr 15 Prozent der US-Bevölkerung sind weiße Evangelikale. Ihre Wahlbeteiligung ist hoch. Laut den Nachwahlbefragungen der Vereinigung National Election Pool machten sie bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 mehr als ein Viertel aller Wähler aus - und die überwältigende Mehrheit von ihnen stimmte für die Republikaner ab.
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Donald Trump, der zum dritten Mal verheiratet ist und öffentlich darüber geredet hat Frauen zu begrapschen, mag nicht wie jemand wirken, der evangelikalen Werten entspricht. Aber nach Ansicht vieler seiner Anhänger hat kein US-Präsident zuvor die Abtreibungsgegner so stark unterstützt. Und das ist es, was für viele der Evangelikalen zählt, die ihre Wahlentscheidung nur von dem einen Thema abhängig machen. Sie schätzen es, dass Trump 2020 der erste Präsident war, der persönlich bei der jährlichen Anti-Abtreibungsdemonstration "Marsch für das Leben" gesprochen hat. Zwei Jahre zuvor schickte er eine Videobotschaft.
Die meisten Evangelikalen sind der Meinung, dass die Bibel wörtlich genommen werden soll. 63 Prozent von ihnen lesen nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center mindestens einmal pro Woche in der Bibel. Sie glauben, dass das menschliche Leben mit der Befruchtung beginnt. In Bezug auf das fünfte der Zehn Gebote - "Du sollst nicht töten" - lehnen sie Abtreibungen kategorisch ab. Deswegen steht es für die meisten Evangelikalen völlig außer Frage jemand anderen als einen strikten Abtreibungsgegner als Präsidentschaftskandidat zu unterstützen.
"Es gibt vieles, das ich an Donald Trump nicht mag oder dem ich nicht zustimme", sagt Manring. Wegen seiner Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen will sie trotzdem dieses Jahr für ihn stimmen - und der Präsident zählt auf die Unterstützung von Menschen wie ihr.
"Die Stimmen der Evangelikalen sind für Trumps Wiederwahl entscheidend", sagt Laura Wilson, Assistenzprofessorin für Politikwissenschaft an der Universität Indianapolis. "Konservative Christen sind ein wesentlicher Teil seiner Basis. Und sie konzentrieren sich auf Abtreibung."
Für Konservative in Indiana ist Trumps Vizepräsident Mike Pence ein weiterer Bonus. Pence ist selbst Evangelikaler. Er wurde in der Stadt Columbus geboren und großgezogen. Von 2013 bis 2016 war er Gouverneur des Bundesstaats. Während dieser Zeit unterschrieb er mehrere Gesetzentwürfe, die darauf abzielten, Abtreibungen einzuschränken.
Abtreibungen "um jeden Preis" verbieten
Doch nicht nur Evangelikale vertreten diese Haltung. Mary Carmen Zakrajsek hat sich dem Protest vor der Klinik von Planned Parenthood angeschlossen. Sie hält ein Schild, auf dem auf Englisch und Spanisch "Bete, um Abtreibungen ein Ende zu setzen" steht. Sie ist gläubige Katholikin und Präsidentin der "Students for Life"-Gruppe an der Marian Universität, einer privaten römisch-katholischen Universität in Indianapolis.
Zakrajsek studiert Politikwissenschaft. Sie bezeichnet Abtreibungen als "gewaltsames und eindringendes Verfahren" und "Töten eines unschuldigen menschlichen Wesens vor ihrer oder seiner Geburt".
Studien zeigen, dass Frauen größeren Sicherheitsrisiken ausgesetzt sind, wenn Abtreibungen verboten sind, weil sie sich der Behandlung in einer nicht sterilen Umgebung unterziehen oder weil der Abbruch von jemandem vorgenommen wird, der nicht adäquat ausgebildet ist. Aber auch solche Informationen stimmen Zakrajsek nicht um.
"Nur weil Menschen Wege finden, wenn es illegal ist, heißt das nicht, dass wir es weiter erlauben sollten", sagt sie. "Nur weil einige Leute Opioide konsumieren, heißt es nicht, dass ich ihnen dafür Nadeln oder einen sicheren Ort zur Verfügung stellen sollte."
Manring stimmt dem zu und ergänzt, Abtreibungen sollten um jeden Preis verboten werden. "Ja, Frauen werden bei illegalen Schwangerschaftsabbrüchen stärker verletzt werden, aber insgesamt wird es weniger Abtreibungen geben", behauptet sie.
Das oberste Ziel der Menschen, die sich an diesem Morgen vor der Klinik versammelt haben, ist es, Frauen davon abzubringen, ihre Schwangerschaft zu beenden. Manring und Emily Stumpo, Koordinatorin der Organisation "Students for Life" in Indiana, sind sich einig, dass es bei dieser Klinik schwierig ist, mit Frauen ins Gespräch zu kommen. Als Aktivistinnen dürfen sich nicht über die Zufahrt hinaus nähern. Das Gebäude und der Parkplatz sind aber weiter von der Straße zurückgesetzt.
In letzter Minute beeinflussen
An anderen Orten sei der Protest einfacher, sagt sie. Wie bei einer Planned-Parenthood-Klinik in Detroit, wo ihr Bruder ein aktives Mitglied der sogenannten "Lebenschutz"-Bewegung ist. Dort führen Aktivisten Beratungen auf dem Gehweg durch, wie sie es nennen. Sie folgen den Frauen auf der Straße von ihren geparkten Autos bis zur Tür der Klinik und reden dabei auf sie ein.
Genau wegen solcher Situationen hat Planned Parenthood eine Art Geleitschutz eingeführt, da es für viele der Betroffenen ein schwieriger Tag ist. Freiwillige begleiten die Frauen auf dem kurzen Weg, damit die Aktivisten sie nicht belästigen können. Als Erkennungszeichen tragen sie pinke Westen.
Doch wie Manring und Stumpo verraten, wenden die Anti-Abtreibungs-Aktivisten vor solchen Kliniken einen Trick an: Sie ziehen ebenfalls pinke Westen über. So hoffen sie, die Frauen auf dem Weg in die Klinik abzupassen und sie zu überzeugen, die Abtreibung nicht vornehmen zu lassen.
"Die Leute sagen, wenn sich Frauen für eine Abtreibung entscheiden, ist es das Beste für sie", sagt Manring. "Aber ich glaube, das ist eine Lüge. Ich glaube, es schadet den Frauen."
Adaption: Uta Steinwehr