USA: Abtreibung nicht mal für Gewaltopfer
25. April 2019Bei Resolutionen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen geht es normalerweise um die Nöte von Menschen in den Krisenregionen der Welt. In dieser Woche warf das Verhalten der USA ein Schlaglicht auf den Kampf der US-Regierung gegen Abtreibungen - im In- und Ausland.
Die US-Delegation stieß sich an dem von Deutschland eingebrachten Resolutionsentwurf, der sexuelle Gewalt in Konfliktgebieten verurteilen sollte. Washington drohte mit seinem Veto, mit dem es als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat Entscheidungen verhindern kann. Das Ergebnis der Diskussion war ein abgeschwächter Resolutionstext, in dem Angebote zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit für Vergewaltigungsopfer nicht mehr erwähnt wurden. Das Weiße Haus hatte das als implizite Unterstützung für Abtreibungen aufgefasst.
Scharfe Kritik
Europäische Vertreter bedienten sich - an diplomatischen Standards gemessen - harscher Worte. Frankreichs UN-Botschafter François Delattre sagte, die Änderung am Text sei "nicht hinnehmbar und untergrabe die Würde von Frauen".
Überrascht waren allerdings nur wenige über die Haltung der USA. Vizepräsident Mike Pence - ein konservativer Christ und vehementer Abtreibungsgegner - hat eine Reihe von politischen Richtungswechseln vorangetrieben.
Kein Geld aus den USA
Erst Ende März hatte das Weiße Haus die sogenannte "Mexico City Policy" im Detail erneut verschärft. Sie verweigert Nichtregierungsorganisationen (NGOs) weltweit staatliche US-Finanzmittel, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten oder darüber informieren .
Die Regelung trat erstmals 1984 unter dem republikanischen Präsidenten Ronald Reagan in Kraft. Seither haben demokratische Präsidenten die Regelung stets widerrufen und republikanische wieder eingesetzt. Donald Trump weitete sie kurz nach seinem Amtsantritt im Januar 2017 sogar aus. Seitdem fallen nicht nur NGOs unter diese Regel, sondern auch Gesundheitsorganisationen, die sich mit Familienplanung beschäftigen.
Die USA finanzieren weltweit Gesundheitsprogrammen mit rund 8,8 Milliarden US-Dollar (7,9 Milliarden Euro), die nun unter verschärften Bedingungen vergeben werden. Das Geld wird auch zum Kampf gegen HIV/Aids und Tuberkulose oder für Anti-Malaria-Programme eingesetzt.
Könnte das Grundsatzurteil kippen?
Abtreibung ist in den USA seit 1973 legal. Damals entschied der Oberste Gerichtshof in dem richtungsweisenden Verfahren Roe gegen Wade, dass Frauen ihre Schwangerschaft abbrechen dürfen, bis der Fötus lebensfähig wird. Derlei richterliche Grundsatzurteile haben im angelsächsischen Rechtssystem weit größere Bedeutung für die Rechtslage als in den meisten Ländern Kontinentaleuropas.
Nun aber, sagt Elizabeth Nash, stehe dieses Recht auf der Kippe: "Roe gegen Wade ist in Gefahr."
Nash beobachtet für das Guttmacher Institut die Entwicklungen in Politik und Rechtsprechung zur reproduktiven Gesundheit in den US-Bundesstaaten. "Nach unserer Meinung besteht das Potenzial, dass das Urteil untergraben oder komplett gekippt wird." Bereits in den ersten Monaten des Jahres 2019 hätten in 28 von 50 US-Bundesstaaten Abgeordnete Gesetze erwägt, die Abtreibungsrechte einschränken würden.
In Texas soll nach einem Gesetzesvorschlag Abtreibung als Mord angesehen werden. Texas ist ein Bundesstaat, der für Mord die Todesstrafe erlaubt. Vier Bundesstaaten - Kentucky, Mississippi, Ohio und North Dakota - wollen Abtreibungen nach der sechsten Schwangerschaftswoche verbieten. Zu diesem Zeitpunkt wissen Frauen oft noch gar nicht, dass sie schwanger sind. Die entsprechenden Gesetze sind in den vier Staaten bereits verabschiedet. Bisher können sie treten nicht in Kraft treten, da sie dem Urteil "Roe gegen Wade" zuwiderlaufen.
Klima der Angst
Auch Louisiana hat ähnliche Gesetze verabschiedet und setzt die Grenze bei 15 Wochen. Nach Angaben des Guttmacher Instituts plant der südliche Bundesstaat, Abtreibungen ganz zu verbieten, sollte die Entscheidung Roe gegen Wade gekippt werden. Die Zahl der Abtreibungskliniken ist von sieben im Jahr 2010 auf aktuell drei gesunken. Die Verbliebenen arbeiten unter angespannten Bedingungen.
"Wir haben regelmäßig Proteste vor unserer Klinik", sagt Kathleen Pittman, Verwaltungschefin der Hope Medical Group in Shreveport, Louisiana. "Die Protestierenden sind lauter geworden, und ihre verbalen Attacken persönlicher." Derzeit gibt es eine 24-stündige Wartefrist zwischen dem Beratungsgespräch zu einer Abtreibung und dem Eingriff, erklärt Pittman: "Das heißt, die Frauen müssen diese Schikane zweimal durchmachen."
Die Klinikleiterin sorgt sich, dass weitere Einschränkungen letztlich die Verwundbarsten treffen, beispielsweise wenn Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch in andere Bundesstaaten reisen müssten. "Die ärmsten Frauen leiden", sagt Pittman der Deutschen Welle. "Sie sind wegen finanzieller Engpässe nicht in der Lage, professionelle Hilfe aufzusuchen und die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass sie selbst versuchen abzutreiben." Oder eine illegale Abtreibung in Anspruch nehmen, was global gesehen die Ursache für elf Prozent der Müttersterblichkeit ist.
Aktiver Widerstand
Elizabeth Nash vom Guttmacher Institute bewertet es als Taktik, dass die Gesetze der Bundesstaaten die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von 1973 verletzen. Dies werde Rechtsstreitigkeiten Schwung verleihen, die sich durch die Instanzen schlängeln könnten und dem Obersten Gerichtshof letztlich die Möglichkeit gäben, Roe gegen Wade aufzuheben. Dies scheint gar nicht so unwahrscheinlich: Mit der Ernennung von Brett Kavanaugh zum Richter des Obersten Gerichtshof kippte das Verhältnis der neun Richter nach rechts.
Aber genauso wie Abtreibungsgegner durch Trump und Pence Aufwind bekommen haben, sind auch Aktivisten wieder erstarkt, die sich für die Selbstbestimmungsrechte von Frauen einsetzen. Die Staaten New York, Vermont und Virginia haben Gesetzentwürfe eingebracht, die das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche schützen. In Illinois haben die Demokraten ein Gesetz vorgeschlagen, welches den Zugang zu entsprechenden Dienstleistungen verbessern könnte.
Dennoch: Mit Blick auf die Zukunft dominieren die Sorgenfalten bei denen, denen die das Recht zum Schwangerschaftsabbruch befürworten. "Bezogen auf das beinahe vollständige Abtreibungsverbot haben wir ein beispielloses Handeln erlebt. Und wir werden noch mehr erleben", prophezeit Nash. "Das wird nicht nachlassen."