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Politik

"Belarussische Justiz ist eine Schande"

Iurii Sheiko
24. Juni 2021

In Belarus beginnt der Prozess gegen den Blogger Sergej Tichanowski. Die DW hat mit dem Europaabgeordneten Radoslaw Sikorski gesprochen, der die Patenschaft für den politischen Gefangenen übernommen hat.

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Proteste vor dem Gefängnis des inhaftierten Sergei Tichanowski
Unterstützer gratulieren Sergej Tichanowski vor dem Gefängnis in Minsk zum GeburtstagBild: Getty Images/AFP/S. Gapon

In einer Untersuchungshaftanstalt in der belarussischen Stadt Gomel beginnt am 24. Juni hinter verschlossenen Türen ein Prozess gegen Sergej Tichanowski und weitere Oppositionelle. Die belarussischen Behörden werfen ihnen vor, während der Präsidentschaftswahlen am 9. August vergangenen Jahres Massenunruhen geplant und organisiert zu haben.

Im Mai 2020 hatte der Blogger Tichanowski angekündigt, sich für das Präsidentenamt zu bewerben. Doch er wurde unter Arrest gestellt und nicht als Kandidat zugelassen. Daraufhin kandidierte seine Frau Swetlana Tichanowskaja. Sie wurde zum Symbol der Proteste gegen das Wahlergebnis, dem zufolge Machthaber Alexander Lukaschenko zum Sieger erklärt wurde. Auch die Europäische Union hält das Wahlergebnis für manipuliert.

Die DW hat mit dem polnischen Europaabgeordneten Radoslaw Sikorski, der im Juli 2020 die Patenschaft für Sergej Tichanowski übernommen hat, darüber gesprochen, wie europäische Politiker belarussischen politischen Gefangenen helfen können.

Deutsche Welle: Herr Sikorski, nun beginnt der Prozess gegen Sergej Tichanowski. Was können Sie dazu sagen?

Eadoslaw Sikorski, Polens ehemaliger Außenminister
Radoslaw Sikorski unterstützt die Opposition in BelarusBild: picture-alliance/PAP/T. Zmijewski

Radoslaw Sikorski: Die belarussische Justiz ist eine Schande. Das einzige Verbrechen von Sergej Tichanowski bestand darin, zu versuchen, sich wie ein Bürger in einem normalen Land zu benehmen und politische Ambitionen zu verfolgen. Er versuchte, für das Amt des Präsidenten von Belarus gewählt zu werden. Und deshalb hat sich der Diktator von Belarus dafür entschieden, ihn dazu zu benutzen, den Rest der Gesellschaft einzuschüchtern. Ich drücke ihm die Daumen, aber ich glaube nicht an die Gerechtigkeit eines belarussischen Gerichts.

Dieser Prozess wird in einer Untersuchungshaftanstalt, einer Art Gefängnis, hinter verschlossenen Türen geführt. Das ist sehr ungewöhnlich. Was sind die Gründe für diese Maßnahmen?

Solche Maßnahmen werden ergriffen, weil Lukaschenko sicher sein will, dass das Gericht gehorcht und ein Urteil fällt, das er anordnet. Mit echter Justiz hat das nichts zu tun. Es hat mit einem verzweifelten Diktator zu tun, der versucht, an der Macht zu bleiben.

Warum haben Sie die Patenschaft für Sergej Tichanowski übernommen?

Ich war Teilnehmer der Solidarność-Bewegung im Jahr 1981, als in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde. Damals schien, als hätte das Regime die Kontrolle wiedererlangt, und alle Hoffnung war verloren. Doch dann war Polen acht Jahre später ein freies Land, eine Demokratie auf dem Weg in die EU und andere westliche Institutionen.

Belarus erlebt einen dunklen Moment, aber es ist ein Moment des Wiedererwachens des belarussischen Volkes als pro-europäisches Volk. Es fordert Demokratie und engere Beziehungen zur Europäischen Union. Diejenigen, die heute unterdrückt werden, werden in Zukunft Helden des Kampfes sein. Dessen bin ich mir sicher. Deshalb lautet meine Botschaft an Sergej Tichanowski, seine Leidensgenossen und die Familien all der Unterdrückten, die Hoffnung nicht aufzugeben. Früher oder später fällt jede Diktatur. Belarus wird eines Tages ein freies und angesehenes Mitglied der Europäischen Völkerfamilie sein. Zhive Belarus! (Es lebe Belarus!)

Aber warum haben Sie die politische Patenschaft gerade für Sergej Tichanowski übernommen?

Ich habe mich für ihn entschieden, weil die belarussische Opposition mich darum gebeten hat. Ich war bei den vorherigen Wahlen, nach denen Lukaschenko auch seine Konkurrenten inhaftieren ließ, Außenminister. Wir hatten versucht, Lukaschenko zu einem besseren Verhalten zu bewegen.

Es gab eine Zeit, in der es in Belarus nicht einmal mehr politische Gefangene gab. Zu dieser Zeit entwickelte sich die Zusammenarbeit zwischen Belarus und der EU. Jetzt haben wir ziemlich harte Sanktionen wegen der Repressionen und der Entführung des Ryanair-Flugzeugs verhängt. Ich denke, wir sollten die Hilfeleistungen für belarussische Demokraten jedes Mal verdoppeln, wenn Lukaschenko jemanden in der EU ermordet, entführt oder die Repressionen in Belarus verschärft.

Haben Sie mit polnischen oder anderen europäischen Diplomaten darüber gesprochen, ob man versuchen könnte, Tichanowski zu besuchen oder dem Prozess beizuwohnen? Wie konnten Sie Sergej bisher helfen?

Im Europäischen Parlament versuchen wir, auf das Schicksal politischer Gefangener in Belarus aufmerksam zu machen. Daher habe ich Fotos gepostet, mit dem Bild Sergej Tichanowskis auf einem T-Shirt. Wir haben für Entschlüsse gestimmt, die die politischen Repressionen verurteilen, aber auch Briefe an den Hohen Vertreter der EU für Außenpolitik geschrieben. Er antwortete, dass EU-Diplomaten die Prozesse vor Gerichten in Belarus so weit wie möglich verfolgen.

Swetlana Tichanowskaja mit einem Bild des inhaftierten Politikers Mikalaj Statkewitsch bei der Verleihung des Sacharow-Preises im EU-Parlament in Brüssel
Swetlana Tichanowskaja mit einem Bild des inhaftierten Politikers Mikalaj Statkewitsch bei der Verleihung des Sacharow-Preises im EU-Parlament in BrüsselBild: John Thys/Reuters

Aber wir sind nicht sicher, ob es ihnen gelingen wird, das Thema im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit zu halten und den diplomatischen Druck auf Belarus zu erhöhen. 

Haben Sie versucht, Sergej Tichanowski zu schreiben? Haben Sie Kontakt zu seiner Frau Swetlana?

Ich habe sporadisch Kontakt zu Swetlana Tichanowskaja. Sie trägt natürlich die Last, den Kampf im Namen ihres Mannes zu führen. Vor kurzem war sie in Polen. Sie hat auch schon vor dem Europäischen Parlament gesprochen und sie verbreitet ihre Botschaften in den sozialen Medien. Die Europäische Stiftung für Demokratie, an deren Gründung ich mitgewirkt habe, hat, soweit ich weiß, auch Belarus zu ihrer Priorität erklärt. Es ist begrenzt, was wir tun können, aber wir tun das, was wir können.

Was können Sie über Swetlana Tichanowskaja sagen?

Nun, die belarussische Bewegung für faire Wahlen und Demokratie hat jetzt ein Gesicht, und es ist das sympathische Gesicht von Swetlana Tichanowskaja. Belarus hat mit ihr jetzt eine international anerkannte Sprecherin und ein Symbol.

Radoslaw Sikorski ist ein polnischer Journalist und Politiker. Er war von Oktober 2005 bis Februar 2007 Verteidigungsminister und von November 2007 bis September 2014 Außenminister der polnischen Regierung. Zwischen September 2014 und Juni 2015 hatte er das Amt des Sejmmarschalls inne, das höchste Amt im polnischen Parlament. 2019 wurde er ins Europäische Parlament gewählt.

Das Gespräch führte Iurii Sheiko.