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Film

"Courage" - Doku über Proteste in Belarus

Torsten Landsberg | Scott Roxborough
11. Juni 2021

Im Herbst 2020 gingen in Belarus Tausende für die Demokratie auf die Straße. Aliaksei Paluyans Dokumentarfilm "Courage" läuft nun auf der Berlinale.

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Soldaten stehen mit Schilden vor einem Gebäude. Szene aus "Courage" von Aliaksei Paluyan
Szene aus "Courage" von Aliaksei PaluyanBild: Living Pictures Production

Doku über Belarus-Proteste

Als im Spätsommer und Herbst 2020 in Belarus mehr als hunderttausend Menschen gegen die Präsidentschaft von Alexander Lukaschenko auf die Straße gehen, schließen sich auch die drei Theaterleute Maryna, Pavel und Denis dem friedlichen Protest an. Der Regisseur Aliaksei Paluyan hat sie für seinen Dokumentarfilm "Courage" begleitet, der nun bei den 71. Filmfestspielen von Berlin gezeigt wird. 

Schon 15 Jahre zuvor hatten Maryna, Pavel und Denis das Staatstheater Minsk verlassen, um am damals neu gegründeten Belarus Free Theatre zu spielen. Im aktuellen Stück, an dem sie während des Drehs zu "Courage" arbeiten, geht es um Oppositionelle, die plötzlich verschwinden. Keine Fiktion, sondern die Realität in der ehemaligen Sowjetrepublik.

Aliaksei Paluyan, belarusischer Regisseur
Der Regisseur Aliaksei Paluyan dokumentierte die Proteste in BelarusBild: privat

Letzte Diktatur Europas

Kunstfreiheit, Meinungsfreiheit oder freie Rede werden unterdrückt, Oppositionelle vertrieben, eingeschüchtert, gefoltert und weggesperrt. Belarus gilt heute als letzte Diktatur Europas. Seit den Dreharbeiten hat sich die Situation im Land noch einmal zugespitzt. Die Zwangslandung eines Passagierflugzeugs, um einen oppositionellen Blogger zu verhaften, ist nur die Spitze des Eisbergs.

"Die Nachrichten übertreffen den menschlichen Verstand", sagt Aliaksei Paluyan im Gespräch mit der DW. Er berichtet von in der Haft Getöteten, deren Leichname den Familien verstümmelt übergeben würden. Die Schraube der Gewalt werde seitens des Machtapparats von Lukaschenko immer weiter angezogen. "Man denkt: Das kann nicht passieren im 21. Jahrhundert." Auf einer Pressekonferenz während der Berlinale fügt er hinzu: "Die Situation ist Alarmstufe rot." Und sagt im Anschluss: "Es ist Zeit, zu schreien, nicht mehr allein zu sprechen."

Seine drei Protagonisten sind nach dem Dreh ins Exil nach Kiew geflohen, erzählt der Regisseur. Ein Schicksal, das sie mit vielen Künstlerinnen und Künstlern sowie Oppositionellen teilen. Auch die vor der Präsidentschaftswahl im August 2020 bedrohte Gegenkandidatin Swetlana Tichanowskaja hat das Land später verlassen. Sie nahm ebenfalls an der Pressekonferenz und der anschließenden Podiumsdiskussion zur Dokumentation "Courage" teil, genau wie die belarussische Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch.

Tichanowskaja: Ich habe nicht das Recht aufzugeben

Die oppositionelle Politikerin ermutigte die Öffentlichkeit, Briefe an die politischen Gefangenen in Belarus zu schreiben, denn solche Briefe würden den Mut geben, einen Tag oder eine Woche länger stark zu bleiben, während "Belarus in Geiselhaft" genommen würde.

Tichanowskaja forderte außerdem von der Europäischen Union schnellere und entschlossenere Sanktionen gegen das belarussische Regime. Auch die Oppositionspolitikerin muss sich inzwischen aus dem Exil für ihr Land einsetzen.

Exil kostet Gespür

"Das sind die Konsequenzen, die du tragen musst", sagt Filmemacher Paluyan im DW-Gespräch, der 2012 nach Deutschland kam, um an der Kunsthochschule Kassel Film- und Fernsehregie zu studieren. Seit September 2020 war er selbst nicht mehr in Belarus. Die Flucht ins Exil sei die einzige Möglichkeit, seine Arbeit fortzusetzen. "Aber im Exil verliert man die Nähe und das Gespür für den Nerv des Landes", sagt der Regisseur. Er habe Schuldgefühle deswegen, sieht seine Aufgabe aber darin, Belarus in die westliche Öffentlichkeit zu bringen. 

Denis, einer seiner Protagonisten, beschloss, "Verrat an der Kunst" zu begehen: Noch in Belarus, zog er sich von der Theaterbühne zurück, um seine Familie zu schützen. "Man kann nicht kreativ sein, wenn man ständig in Angst lebt", erklärt Aliaksei Paluyan.

Er wisse nicht, warum er selbst während des Drehs von "Courage" nicht verhaftet worden sei. Es ist seine Überzeugung, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis sich die Demokratiebewegung durchsetzen werde.

Alexijewitsch sieht Künste in der Verantwortung

Im Rahmen der Podiumsdiskussion in Berlin äußerte sich auch Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewtisch. Sie wies auf die Verantwortung der Kunstschaffenden hin, die in der Vergangenheit zu lange geschwiegen hätten. Die aktuelle Demokratiebewegung in Belarus hält sie für etwas Neues: "Es ist eine Revolution, die von Frauen getragen wird. Das bedeutet, es ist eine Revolution ohne Gewalt." Das ganze politische System basiere auf Gewalt, so Alexijewitsch, es erziehe die Bürger zur Gewalt. "Aber das wollen die Menschen nicht mehr." 

Dennoch sorgt sich Filmemacher Paluyan um die Zukunft seines Heimatlandes, wie er der DW im Interview berichtet: "Es dauert länger zusammenzuwachsen, als zu spalten." Paluyan hofft auf die westliche Öffentlichkeit und die internationale Politik, die zu lange tatenlos zugesehen habe. "Die Menschen in Belarus fühlen sich im Stich gelassen", sagt er. "Courage" soll dazu beitragen, dass die öffentliche Diskussion nicht abreißt: "Ich will laut mit diesem Film sprechen."