EU-Gipfel: Kommt Godot noch?
21. März 2019Wie viele reguläre EU-Gipfel standen schon im Zeichen des Brexit, Treffen, bei denen es eigentlich noch um viele andere Themen gehen sollte? Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel sagte genervt, das Ganze komme ihm langsam vor wie das "Warten auf Godot".
Godot kam bekanntlich nie, doch ein geregelter Brexit kann sich nicht ewig Zeit lassen. Genauer gesagt, am 29. März ist eigentlich Schluss. Wenn es dann immer noch keine Einigung gibt, verlässt das Land die EU ohne Nachfolgeregelung. Bis auf einige radikale Parteifreunde von Theresa Mays Konservativen will das niemand, auch auf EU-Seite nicht.
Weil die Zeit knapp wird, hat May jetzt eine kurze Fristverlängerung bis Ende Juni beantragt. Die werde dem britischen Parlament "Zeit geben, eine endgültige Wahl zu treffen, die das Ergebnis des Referendums erfüllt", sagte sie bei ihrer Ankunft in Brüssel.
Bereits dies würde schwierige verfassungsmäßige und politische Fragen aufwerfen. Denn kurz zuvor, Ende Mai, finden Europawahlen statt. Wäre Großbritannien dann noch Mitglied, wenn auch nur wenige Wochen, müssten, streng genommen, die Briten dann mit abstimmen dürfen. Doch "es wäre absurd, wenn ein Land hier an der Wahl teilnimmt und gleichzeitig die EU verlassen möchte", gibt der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz zu bedenken. Deshalb zeichnet sich jetzt ab, dass die übrigen 27 Regierungschefs eine Verschiebung zwar zulassen, aber nur bis zum 22. Mai, also kurz vor der Wahl. So steht es jedenfalls im Entwurf für das Abschlussdokument, das aber zur Stunde noch diskutiert wird.
"Nicht alle paar Monate Fristen verlängern"
Aber selbst diese kurze Fristverlängerung ist an die Bedingung geknüpft, dass das britische Unterhaus kommende Woche ja zum Austritts-Vertrag sagt. "Eine Verschiebung ergibt nur dann wirklich Sinn, wenn sie auch dazu führt, dass die offenen Fragen geklärt werden können", sagte Kurz.
Bisher aber hat das britische Parlament den Vertrag, wie ihn Theresa May ausgehandelt hat, schon zweimal mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Schlimmer noch, May hat sich mit ihrer Rede vom Mittwochabend, als sie das Parlament scharf angriff, keine Freunde ausgerechnet bei denen gemacht, von deren Zustimmung sie abhängt. Es sieht also nicht gut aus.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach vom Brexit als von einem "Ereignis von historischer Bedeutung", bei dem man "behutsam vorgehen" und "bis zur letzten Stunde…alles daransetzen" müsse, "einen geordneten Austritt hinzubekommen".
Bis zur letzten Stunde kann aber nach den Worten des irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar nicht heißen, "dass wir alle paar Monate Entscheidungen aufschieben und Fristen verlängern". Er und andere haben die Nase voll vom ewigen Hin und Her. Und in einem Punkt, den Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron formulierte, scheinen sich ebenfalls alle anderen 27 Regierungen einig zu sein: "Man kann nicht neu verhandeln." Die Briten sollen keine weiteren Zugeständnisse bekommen.
Lehnt das Parlament in London den Vertrag erneut ab, droht ein ungeordneter Brexit. Um ihn in allerletzter Minute zu verhindern, könnte es am Donnerstag, einen Tag vor dem Austrittsdatum, noch einen Krisengipfel mit der EU geben. Der könnte wiederum eine Verschiebung des Austritts beschließen.
Möglich wäre auch, dass May bei einer dritten Abstimmungsniederlage zurücktritt, dann käme es auf den Nachfolger an; Hardliner wie Boris Johnson stehen schon bereit. Ein Ausweg könnte auch ein weiteres Brexit-Referendum sein. Oder die britische Regierung nimmt den Brexit-Antrag zurück. Schon mehr als eine Million Briten fordern genau das in einer Petition. Doch jede dieser Möglichkeiten ist politisch riskant.
Es gibt noch andere Themen
Bei aller Rücksichtnahme auf die Briten betont auch Angela Merkel, dass die Welt sich weiterdreht und es noch andere Themen gibt: "Die EU der 27 muss auch an ihre Zukunft denken." In einer gemeinsamen Initiative mit Macron will sie zum Beispiel eine gemeinsame Strategie im Umgang mit China und eine gemeinsame europäische Industriepolitik entwickeln.
Die Haltung der EU gegenüber China hat sich in den vergangenen Monaten deutlich verhärtet. Man will vermeiden, dass sich China zu viel Einfluss auf europäische Märkte, wertvolle Technologieunternehmen und kritische Infrastruktur verschafft, ohne entsprechende Gegenleistungen zu bringen. Vor allem Macron, der im eigenen Land durch die Gelbwesten-Bewegung stark unter Druck ist, verbreitet immer wieder die Botschaft, die EU solle Schutzmacht sein. Gerade vor der Europawahl, bei der der Nationalismus auf dem Vormarsch ist, will er damit zeigen, dass Europa in einer unsicheren Welt der beste Garant für seine Bürger ist.