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Politik

Und dann beschimpft sie das Parlament...

Barbara Wesel
21. März 2019

Erst musste sie um Verlängerung für den Brexit bitten, dann legte ihr der EU-Ratspräsident die Daumenschrauben an. Es war ein weiterer schlimmer Tag für Theresa May. Und sie beschimpft im Gegenzug ihr eigenes Parlament.

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Großbritanien | Theresa May | Brexit
Bild: picture-alliance/dpa/empics/PA Wire/House of Commons

Was folgt bei Theresa May auf einen schlechten Tag? Die Antwort ist: Ein noch viel schlimmerer Tag. Und selbst im Moment der größten Krise, wo acht Tage vor dem offiziellen Brexit-Datum unklar ist, ob das Parlament endlich ihrem Deal zustimmt, ob sie ihn überhaupt noch einmal vorlegen darf, ob die EU ihr eine Verlängerung gewährt oder ob Großbritannien nächste Woche aus Versehen aus der EU hinausstürzt, antwortet May mit Trotz und zeigt mit dem Finger auf die Anderen.

Die Abgeordneten sind schuld!

Ihre kurze Rede an die Nation war mit Spannung erwartet worden. Aber Theresa May bot weder ihren Rücktritt an noch nahm sie Artikel 50 zurück, um damit den Brexit zu stoppen. Stattdessen beschimpfte sie das Parlament. Sie bedauere sehr, dass sie um eine Verlängerung bitten musste, erklärte sie. "Ich bin auf eurer Seite", beschwor die Premierministerin und meinte damit all jene Briten, die das endlose Gerede über den Brexit satt hätten, die internen Kämpfe und historische Streiterei über Verfahrensfragen.

"Die Abgeordneten sahen sich nicht in der Lage, mich zu unterstützen", klagte May, das Parlament habe die notwendige Entscheidung verweigert. "Ich hoffe leidenschaftlich, dass die Abgeordneten einen Weg finden, den Deal (das Austrittsabkommen mit der EU, d. Red,) zu unterstützen."

Hätte sie in Brüssel um eine längere Nachfrist bitten sollen? Nein, das würde die Spaltung des Landes nur weiter vertiefen. Ebenso wie ein zweites Referendum das Vertrauen in die Politik völlig erschüttern würde. "Ich glaube, das ist nicht, was ihr wollt", erklärte die Premierministerin kühn. Aber die Bürger werden nicht aufgerufen, diese Frage selbst zu beantworten.

"Wir müssen (mit dem Brexit) jetzt vorankommen", und das sei, was sie wirklich wolle. Eine Variation auf Mays ewiges Mantra: Ich werde den Brexit liefern. Nur dass ihr eben das nicht gelingen will.

Schwarzer-Peter-Spiel in London

Mit ihrer Rede am Mittwochabend schiebt Theresa May die Schuld an der chaotischen und gefährlichen Lage des Landes unverblümt auf die Abgeordneten im Unterhaus. Und wer sich bis hierhin vielleicht noch hätte überreden lassen, die Augen zuzukneifen und dem aus verschiedenen Gründen verhassten Brexit-Deal zuzustimmen, der dürfte sich jetzt nur noch empört abwenden.

Theresa May nach ihrem Brexit-Stateent in der Downing Street in London (Foto: Reuters/Pool/J. Brady)
Und... Abgang! Theresa May nach ihrem jüngsten Statement zum BrexitBild: Reuters/Pool/J. Brady

Schon am Mittag in der traditionellen Fragestunde im Unterhaus hatte May einen Vorgeschmack auf diese Strategie gegeben, und die Abgeordneten reagierten empört. Während Brexit-Hardliner Mark Francis schwor: "Wir werden nicht nachgeben", standen gemäßigte Konservative kurz vor dem Nervenzusammenbruch. 

"Ich habe mich nie mehr geschämt, ein Mitglied der konservativen Partei zu sein", klagte Dominic Grieve. Als früherer persönlicher Freund der Premierministerin sei er den Tränen nahe gewesen, sie jetzt in dieser beschädigten Verfassung zu sehen. Sie laufe "Zickzack über das Gelände", ohne einer Lösung der Probleme näher zu kommen.

Und bei der Opposition kam May nicht besser weg. Wie sei es möglich, fragte der Labour-Abgeordnete Hilary Benn, dass sie über den Austrittsvertrag so lange abstimmen lasse, bis das Ergebnis passt? Aber die Bürger bekämen kein zweites Referendum, um ihre wahre Meinung über den Brexit und seine Begleiterscheinungen zu äußern. Frustration und Ärger waren überwältigend, aber May ließ den Sturm über sich ergehen, als ob sie mit all dem nichts zu tun hätte.

EU legt May die Daumenschrauben an

Wenn die Premierministerin geglaubt hatte, sie könne drei Monate Verlängerung in Brüssel beantragen und die Bitte würde einfach erfüllt, dann hatte sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. EU-Ratspräsident Donald Tusk stellte die Zustimmung nur für den Fall in Aussicht, dass sie noch vor dem Austrittsdatum am 29. März den Deal durch das Parlament bringt. Die letzte Chance dafür hat May wohl am Mittwoch mit ihren Ausfällen gegen das Parlament beerdigt.

EU-Ratspräsident Donald Tusk (Foto: Reuters/T. Melville)
EU-Ratspräsident Tusk stellt "kurze Verlängerung" in Aussicht - unter BedingungenBild: Reuters/T. Melville

Außerdem ist sie jetzt in der absoluten strategischen Falle: Die harten Brexiteers riechen, dass sie einem Ausstieg ohne Vertrag mit der EU nahe sind - und das ist, was sie sich mehr als alles andere wünschen.

Gemäßigte Abgeordnete aber wollen sich mit dem Desaster nicht die Hände schmutzig machen, wohl wissend dass die Hardliner und bislang auch die nordirische DUP eine Mehrheit für May sowieso verhindern. Außerdem ist sie in der interessanten Lage, dass die eine Hälfte ihres Kabinetts mit Rücktritt gedroht hat, wenn sie eine längere Nachfrist fordert. Die andere Hälfte aber will abtreten, wenn sie nur eine kurze Verlängerung einplant.

In der Fragestunde hatte die Premierministerin übrigens angedeutet, sie würde selbst zurücktreten, wenn es zu einer Verlängerung über den Juni hinauskommen sollte. Das verstanden ihre Gegner gleich als Versprechen - und sie verdoppeln derzeit ihre Anstrengungen, May möglichst bald loszuwerden. Werfen jetzt ihre Minister noch das Handtuch, dann wäre sie tatsächlich am Ende.

Und wie geht es jetzt weiter mit dem Brexit?

Niemand wagt derzeit eine Prognose, wie dieses Pokerspiel mit höchsten Einsätzen ausgehen könnte. Theresa May muss jedenfalls ein weiteres quälendes Gipfeltreffen mit ihren europäischen Kollegen hinter sich bringen. Hat sie unter ihnen noch Freunde? Die Frustration und der Überdruss am britischen Benehmen scheinen überwältigend. Bundeskanzlerin Angela Merkel allerdings zeigt sich cool wie immer und verspricht, sie werde bis zum letzten Moment für einen geordneten Brexit kämpfen. Während der französische Außenminister Jean Yves Le Drian erklärte, er zweifle an den Meriten der britischen Strategie.

Britische Bobachter und Kommentatoren haben inzwischen alle Zurückhaltung fahren lassen. Chaos, Katastrophe, Schande, heilloses Durcheinander - das sind die meistbenutzten Begriffe. Und zunehmend beantworten Berichterstatter die Frage danach, wie es weiter gehen könne mit einem Schulterzucken: "Ich weiß es nicht."

Nur in einem sind sich alle einig: Dies ist die größte politische Krise des Landes seit dem Zweiten Weltkrieg. Und Theresa May ist nicht die richtige Frau im richtigen Job, um das Drama zu beenden. Wird Brüssel ihr einmal mehr eine helfende Hand reichen? Eine lange Gipfelnacht am Donnerstag in Brüssel wird es zeigen.