EU-Gipfel heißt Gast aus Amerika willkommen
25. März 2021Der Stargast des Video-Gipfels am ist an diesem Donnerstag sicher der Mann, den viele der EU-Politiker noch aus seiner Zeit als zweiter Mann hinter US-Präsident Barack Obama kennen. Joe Biden, jetzt selbst zum Präsidenten aufgerückt, wird um 20:45 Uhr aus Washington zugeschaltet, um eine Rede zur internationalen Zusammenarbeit mit der EU gegenüber China und Russland zu halten. Er freue sich sehr, dass Biden zugesagt habe, teilte der Gastgeber des EU-Gipfels, Ratspräsident Charles Michel mit. Die meisten anderen Staats- und Regierungschefs und -chefinnen freuen sich wohl auch.
Bundeskanzlerin Angela Merkel geht nicht davon aus, dass der Präsident das Thema "Nord Stream 2" ansprechen wird. Biden lehnt wie sein Vorgänger Donald Trump die zweite direkte Gasleitung von Russland nach Deutschland ab. Merkel hält trotz heftiger Kritik auch aus Europa an ihr fest. Ein möglicher Streit darum wird von deutschen Regierungsbeamten im Vorfeld des Gipfels heruntergespielt.
Man freue sich auf die "Wiederbelebung der transatlantischen Bande", heißt es von der EU in Brüssel. Die hatte bereits der amerikanische Außenminister Antony Blinken am Mittwoch persönlich mit Ursula von der Leyen in Brüssel besprochen. US-Präsident Donald Trump, der die EU für überflüssig hielt, wurde nie zu einem Gipfel eingeladen. Diese Ehre wurde aber Barack Obama und auch dessen Vorgänger George W. Bush zuteil.
Mangelware Impfstoff
Ein langes Gespräch mit Joe Biden ist nicht vorgesehen. Vielleicht werden ihn die Gipfelteilnehmer fragen, ob die USA nicht auch Impfstoff in die EU liefern könnten. Denn die Versorgung mit Impfstoff ist das eigentlich brennende Thema des Gipfels, der wegen der steigenden Infektionszahlen in fast ganz Europa nur als Video-Schalte stattfinden wird. Die USA, die bislang kaum Impfstoff exportiert haben, sind aller Voraussicht nach bereits im Mai mit der Impfung ihrer Bevölkerung durch. Danach sollten eigentlich Exporte möglich sein.
In der EU laufen die Impfungen immer noch zu langsam, beklagen viele Staats- und Regierungschefs. Das liege vor allem an der Nichterfüllung von Verträgen durch die Firma AstraZeneca, antwortet die EU-Kommission. Um die Impfstoffe, die in der EU produziert werden, hier zu halten, wollen die Staats- und Regierungschefs ein strikteres Genehmigungsverfahren für Exporte beraten. So soll der Verkauf nach Großbritannien, größter Empfänger von Ausfuhren aus der EU, unterbunden werden. Einige Mitgliedsstaaten sehen das jedoch skeptisch. Deutsche Regierungsbeamte weisen darauf hin, dass Firmen wie BionTech/Pfizer, die ihre Lieferverträge erfüllen, durch Exportverbote nicht bestraft werden dürften. Auch Schweden und die Niederlande haben noch Einwände. Fragen wird es an Italiens Ministerpräsidenten Mario Draghi geben, denn in einem italienischen Werk von AstraZeneca wurden 29 Millionen Dosen Impfstoff am Mittwoch gefunden, die eventuell für den Export bestimmt waren.
Verteilungsstreit in der EU
Angesichts steigender Corona-Zahlen durch Varianten des ursprünglichen Virus setzen die EU-Staaten auf "Impfen, impfen, impfen", wie Bundeskanzlerin Merkel es formulierte. Die überraschende Absage des Oster-Lockdowns in Deutschland durch Merkel am Mittwoch hat bei einigen Kolleginnen und Kollegen sicher Fragen aufgeworfen. Belgien und Frankreich haben just neue Beschränkungen über Ostern beschlossen.
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz will unbedingt über die, wie er meint, ungleiche Verteilung von Impfstoffen unter den 27 Mitgliedsstaaten sprechen. Österreich und vier andere Staaten (Estland, Lettland, Kroatien, Bulgarien) kritisieren das System, durch das Dosen, die diese Staaten zunächst nicht geordert hatten, von anderen Mitgliedsstaaten aufgekauft und verimpft wurden. In der Tat ist die Verteilung ungleichmäßig. Malta hat bereits Impfstoff für 33 Prozent seiner Bevölkerung. Bulgarien nur für knapp sechs Prozent.
Von deutschen EU-Diplomaten war zu hören, man sei bereit, über andere Verteilungsverfahren zu sprechen, auch wenn es die Schuld der einzelnen Staaten sei, wenn sie bei angebotenen Impfstoffdosen nicht zugegriffen hätten. Auch diese Lücken sollen durch mangelhafte Belieferung durch AstraZeneca entstanden sein. Von 130 Millionen zugesagten Dosen im ersten Quartal hatte die britisch-schwedische Firma bislang nur einen Bruchteil an die EU-Mitglieder geliefert.
Türkei: positive Ansätze?
Neben Corona steht das Thema Türkei auf der Tagesordnung. Die EU will die Beziehungen zur Türkei verbessern, trotz der vielen Provokationen aus Ankara. Die Lage im östlichen Mittelmeer, wo die Türkei, Zypern und Griechenland um Gasvorkommen streiten, habe sich in letzter Zeit beruhigt, heißt es in einem Bericht der EU-Außenminister. Man wolle eine "positive" Agenda mit der Türkei festlegen. Allerdings gibt es eine ganze Reihe von Verstößen gegen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei, die eigentlich geahndet werden müssten.
Das sehen nicht nur Menschenrechtsorganisationen, sondern auch einige EU-Staaten so. Deutschland setzt sich dagegen für eine vorsichtige Annäherung an. Schließlich will man mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan eine Verlängerung des "Flüchtlings-Deals" von 2015 aushandeln. Die Türkei nimmt abgelehnte Asylbewerber aus Griechenland zurück und darf dafür syrische Flüchtlinge in die EU schicken. Doch dieser Deal ist im Moment ausgesetzt. Die EU könnte sich aber bereit erklären, Erdogan mit mehr Geld für die Flüchtlingsversorgung und Verhandlungen über einen Ausbau der Zollunion zu locken. Von den zugesagten sechs Milliarden Euro sind bislang vier ausgezahlt worden.
Die Beziehungen zu Russland, die sich nach Ansicht des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell "auf einem Tiefpunkt" befinden, werden nur kurz angeschnitten. Ein echter Plan für den Umgang mit Russland, das die EU inzwischen nicht mehr als Partner akzeptieren will, soll erst beim nächsten physischen Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs geschmiedet werden. Vielleicht Ende Juni, falls bis dahin die Impfungen die Kehrtwende in der Pandemie gebracht haben. Im Juni, so der Plan, soll dann auch US-Präsident Biden persönlich nach Brüssel kommen, um am NATO-Gipfel teilzunehmen.