EU gegen China: Eine Sanktion kommt selten allein
22. März 2021Das Treffen der EU-Außenminister in Brüssel markiert eine Kehrtwende. Mussten sie sich bisher Unentschlossenheit und Uneinigkeit vorwerfen lassen, haben sie jetzt ihr Rückgrat entdeckt und die ersten Sanktionen seit drei Jahrzehnten wegen Menschenrechtsverletzungen in China verhängt.
Der Gegenschlag aus China folgte auf dem Fuß. Man verbitte sich "Einmischungen in innere Angelegenheiten" und "Belehrungen über Menschenrechte", erklärte die chinesische Regierung. In Peking wurde EU-Botschafter Nicolas Chapuis ins Außenministerium einbestellt. Die Sanktionen widersprächen der Realität und Vernunft, sagte Vizeaußenminister Qin Gang. Die EU müsse das Ausmaß ihres Fehlers erkennen und ihn korrigieren, um weiteren Schaden für die Beziehungen zu China abzuwenden. Als Reaktion auf die chinesischen Gegensanktionen bestellten wiederum eine Reihe europäischer Länder, darunter Deutschland, Frankreich, Belgien und Dänemark die chinesischen Diplomaten zu Gesprächen ein.
Kehrtwende in Brüssel
Nach Monaten der erfolglosen Aufforderungen, die Menschenrechte der Uiguren in der autonomen Region Xinjiang zu achten, verhängt die EU jetzt Sanktionen gegen die chinesische Regierung. Sie treffen vier hohe Parteivertreter in der Region, denen die systematische Verfolgung der muslimischen Minderheit angelastet wird.
Dazu gehört unter anderem der Chef des örtlichen Sicherheitsbüros, der für "schwere Menschenrechtsverletzungen" verantwortlich gemacht wird. Nach westlichen Berichten werden in Xinjiang hunderttausende Uiguren unter unmenschlichen Bedingungen in Straflagern festgehalten.
Trotz sich stetig verschlechternder Beziehungen zu China hatte die EU es lange vermieden, die direkte Konfrontation zu suchen. Der Beschluss vom Montag aber bedeutet eine Wende. Europa hatte seit 1989 und dem Waffenembargo nach dem Massaker auf dem Tian'anmen-Platz keine weiteren Sanktionen gegen China verhängt.
Die Maßnahmen gegen die vier hohen Parteikader bedeuten zwar eine härtere Gangart, sind aber mehr symbolischer Natur: Sie dürfen nicht mehr in die EU reisen, nicht über mögliche Auslandskonten verfügen und keine Gelder aus Europa empfangen.
Peking schlägt zurück
Peking allerdings zeigte sich hoch empfindlich und schlug mit Strafmaßnahmen gegen gleich zehn Europäer und vier Einrichtungen in der EU zurück. Dazu gehören unter anderem der deutsche Grünen-Abgeordnete Reinhard Bütikofer, der die China-Delegation des Europaparlaments leitet. Er erklärte zu der Maßnahme gegen sich und weitere MEPs, "Chinas eskalierende Reaktion (...) ist gleichzeitig frech und lächerlich".
Auf der Liste der Chinesen findet sich auch der christdemokratische Abgeordnete Michael Gahler sowie der niederländische Liberale Sjoerd Sjoerdsma. Die Regierung in den Haag berief deswegen den chinesischen Botschafter in den Niederlanden ein.
"So lange wie China Völkermord an den Uiguren begeht, werde ich nicht schweigen", schrieb Sjoerdsma auf Twitter. Die Parlamente in den Niederlanden sowie in Kanada nennen die schweren Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Uiguren "Völkermord".
Sanktionen verhängt China auch gegen das Mercator-Institut für Chinastudien in Berlin und das Politische und Sicherheitspolitische Komitee des Europäischen Rates. Allen Genannten wirft Peking vor, "Chinas Souveränität und Interessen ernsthaft zu schaden und bösartige Lügen und Falschinformationen" zu verbreiten.
EU-Chefdiplomat Josep Borrell nannte die Gegenmaßnahmen Chinas "bedauerlich und inakzeptabel". Die Sanktionen seien eine Antwort auf ernsthaften Missbrauch und Verletzungen der Menschenrechte. Mit diesem Austausch ist ein neuer scharfer Ton in die europäisch-chinesischen Beziehungen eingezogen. Die EU hatte lange versucht, den Handel mit Peking als vorrangig zu bewerten. Jetzt wird nach dem Vorbild der USA wohl auch in Brüssel härteren Bandagen gespielt.
"Nicht zufriedenstellend"
Der Vorsitzende des Europäischen Rates Charles Michel erklärte nach einem Telefonat mit Russlands Präsident Putin, die Beziehungen zwischen beiden Seiten seien "auf einem Tiefpunkt". Es gebe gegenwärtig "Meinungsverschiedenheiten in vielen Bereichen". Sie bezögen sich auf die Lage in der Ukraine, Menschenrechte, Cyber-Angriffe gegen EU-Staaten und die Vergiftung und Inhaftierung von Kreml-Kritiker Alexej Nawalny.
Wladimir Putin wiederum nannte die Haltung der EU "konfrontativ". In einer Stellungnahme des Kreml wurde der Stand der beiderseitigen Beziehungen als "wegen der unkonstruktiven Politik der Partner nicht zufriedenstellend" bezeichnet.
Die EU-Außenminister verlängerten am Montag erneut ihre Sanktionsliste gegenüber russischen Offiziellen. Zwei ranghohe Politiker in Tschetschenien, darunter der Befehlshaber der Einheit der Spezialeinsatzkräfte (SOBR) und Leibwächter von Republikchef Ramsan Kadyrow werden wegen der Verfolgung von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen (LGBTI) mit Strafmaßnahmen belegt. Kadyrow, ein enger Verbündeter von Präsident Putin, wurde wegen Menschenrechtsverletzungen bereits von den USA mit Sanktionen belegt.
Erste Sanktionen gegen Myanmar
Der deutsche Außenminister Heiko Maas hatte zu Beginn der Beratungen erklärt, "die Morde in Myanmar haben ein unerträgliches Ausmaß angenommen". Es sollten nicht die Menschen im Land bestraft werden, sondern diejenigen, die für die schweren Menschenrechtsverletzungen dort verantwortlich seien. EU-Chefdiplomat Borrell sprach von über 250 Toten durch den Einsatz von schweren Waffen der Armee gegenüber Demonstranten.
Als erste Maßnahme werden elf ranghohe Militärs mit Reiseverboten und der Stilllegung von Konten sanktioniert. Darüber hinaus plant die EU weitere Maßnahmen gegen Unternehmen, um das Regime in Myanmar auch wirtschaftlich zu treffen.
Zwiespältige Signale der Türkei
Eine längere Diskussion gab es über das weiterhin schwierige Verhältnis mit der Türkei. Josep Borrell sprach von positiven Entwicklungen im östlichen Mittelmeerraum, wo Ankara die Bohrungen nach Erdgas und provokante maritime Manöver gegenüber Griechenland zurückgefahren habe. Beide Seiten verhandeln seit einiger Zeit über einen Interessenausgleich in der Region. Dabei gebe es "positive Signale".
Auf der anderen Seite aber sei die Lage im Land weiter besorgniserregend, insbesondere die Maßnahmen gegen die größte Oppositionspartei HDP. Borrell beklagte auch den Rückzug der Türkei aus der Istanbul-Konvention gegen häusliche Gewalt gegenüber Frauen.
"Alle Optionen sind auf dem Tisch", sagte der EU-Chefdiplomat, wobei auch berücksichtigt werden müsse, dass die Türkei fast vier Millionen syrische Flüchtlinge beherbergt.
Die Mitgliedsländer der EU sind weiter gespalten über den Kurs gegenüber Ankara. Die schwedische Außenministerin Ann Linde etwa kritisierte die unrechtmäßige Verhaftung von HDP-Politikern. Und Jean Asselborn aus Luxemburg sprach wegen des Rückzugs aus der Istanbul-Konvention von einem "Weg zurück ins Mittelalter". Auch Österreich und andere Länder gehören zu den Türkei-Kritikern.
Demgegenüber steht der Wunsch der Bundesregierung nach einem vorsichtigen Kurs, vor allem wegen der Flüchtlingsfrage. Und Länder wie Kroatien oder Bulgarien betonen den Wunsch nach einer "positiven Agenda" mit der Türkei. Am Donnerstag und Freitag dieser Woche diskutieren die EU-Regierungen bei ihrem Gipfeltreffen über das Verhältnis zur Türkei. Ankara hofft auf eine Reform des Zollabkommens und Visa-Erleichterungen.