EU fordert Ende der Gewalt im Kosovo
12. Dezember 2022Josep Borrell ist ein äußerlich ruhig wirkender und gelassener spanischer Politiker, der sich mit allen möglichen Konflikten in Europa und der Welt herumschlägt. Einige kann der Außenbeauftragte der Europäischen Union beeinflussen, andere nur sehr schwer, wie etwa den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Umso wichtiger ist für Borrell wenigstens das eigene Haus Europa in Ordnung zu halten.
Am Abend nach einem langen Sitzungstag im Ratsgebäude in Brüssel mit den Außenministern und Außenministerinnen der EU war dem Spitzendiplomaten die Frustration förmlich anzusehen und anzuhören, als er auf die beiden EU-Beitrittsaspiranten Serbien und Kosovo auf dem westlichen Balkan zu sprechen kam. "Wir sind nicht länger bereit, das hinzunehmen. Diese Situation muss beendet werden", zischelte Borrell mit gepresster Stimme und unterdrückter Wut in die Mikrofone im Pressesaal. Mutmaßlich serbische Separatisten hatten im Norden des Kosovo ein Fahrzeug der EU-Mission "EU-Lex" angegriffen, die seit 14 Jahren, seit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovos, mit hunderten Juristen, Richtern und Polizisten versucht, einen Rechtsstaat auf dem Gebiet aufzubauen. Außerdem sind bewaffnete Milizen auf den Straßen gesehen worden.
EU könnte mehr Personal schicken
Die Serben protestierten am Wochenende - wohl, weil zuvor ein ehemaliger serbischer Polizist von kosovarischen Beamten festgenommen worden war. "Der Rat der Außenminister fordert beide Seiten auf, ihre Provokationen einzustellen und Gewalt zu beenden", sagte Josep Borrell. Die EU werde noch mehr Personal in das Kosovo schicken, falls nötig.
Kosovo wird von Serbien als abtrünnige Provinz betrachtet. In dem kleinen, wirtschaftlich schwachen Staat leben 1,8 Millionen Menschen, davon 130.000 ethnische Serben hauptsächlich im Norden in der Grenzregion zu Serbien. EU-Diplomaten haben Verständnis für Borrells Frustration, denn erst vor einer Woche beim im albanischen Tirana gefeierten Gipfeltreffen der EU mit den Balkan-Staaten war der jüngste Zwist zwischen Serbien und Kosovo eigentlich beigelegt worden. Dabei ging es um einen für Außenstehende schwer zu verstehenden nationalistischen Streit um Autokennzeichen.
Doch der von Josep Borrell vermittelte Frieden hielt nicht lange. Am Montag forderte der Außenbeauftragte unmissverständlich dazu auf, wieder an den Verhandlungstisch zu kommen und die EU als Vermittlerin einzuschalten. Die 27 EU-Außenminister billigten einen im Detail noch geheimen Vermittlungsvorschlag, um die Kosovo-Fragen endgültig zu klären. Über diesen Vorschlag soll der Sonderbeauftragte der EU für Kosovo am Mittwoch in Belgrad und Pristina verhandeln. Josep Borrell forderte von beiden Streithähnen noch vor Ende des EU-Gipfels am Donnerstag Antworten.
Die brachten sich erst einmal in Konfrontationsstellung: Serbien verlangte die Stationierung von serbischen Polizisten durch die NATO-Schutztruppe KFOR im Norden des Kosovo. Die NATO ist im Auftrag der UNO auch 24 Jahre nach Ende des Kosovo-Krieges mit 3500 Soldatinnen und Soldaten vor Ort.
Die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani sagte die geplanten Kommunalwahlen im Norden des Kosovo ab, die die Serben boykottieren wollten. Sie hatte letzte Woche in Tirana beim Gipfeltreffen angekündigt, bis zum Ende des Jahres einen Antrag auf Beitritt zur EU stellen zu wollen. Fraglich, ob der bei Josep Borrell im Moment auf viel Gegenliebe stößt. Serbien verhandelt bereits seit acht Jahren über einen Beitritt.
Russland mischt sich ein
Zu allem Überfluss meldete sich auch noch Russland zum Streit im Kosovo zu Wort. Der Kreml verlangte, die Interessen der verbündeten Serben im Kosovo zu achten. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa warf der EU und den USA vor, für die verschlechterte Sicherheitslage verantwortlich zu sein. Das erinnerte die EU-Außenminister daran, dass viele Beobachter Serbien als eine Art russisches U-Boot im EU-Geleitzug sehen. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic weigert sich, EU-Sanktionen gegen Russland zu übernehmen, obwohl Beitrittskandidat Serbien seine Außenpolitik der EU angleichen müsste.
Neue Sanktionen auf dem Weg
Die Außenpolitik der EU wurde heute noch einmal verschärft. Die EU-Außenminister haben sich auf die Grundzüge des neunten Sanktionspaketes gegen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine geeinigt. Die förmliche Zustimmung soll noch in dieser Woche erfolgen, kündigte der EU-Außenbeauftragte Borrell an. Mit dem Paket sollen die russischen Streitkräfte und die russische Führung getroffen werden, die für die andauernden Angriffe auf zivile Infrastruktur in der Ukraine verantwortlich gemacht werden kann. "Putin will die Menschen frieren lassen", sagte Josep Borrell. "Das ist ein Kriegsverbrechen."
Die Ukraine müsse durchhalten und obsiegen, erklärten die Außenminister nach ihrer Sitzung in Brüssel. Deshalb werden weitere 5,5 Milliarden Euro in zwei Schritten für Waffenkäufe für die Ukraine freigegeben. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba gab eine Liste mit Unterstützungswünschen in Brüssel, ab die jetzt so weit wie möglich erfüllt werden solle, sagte der Außenbeauftragte Borrell. Die Freigabe von 18 Milliarden Euro an direkten Beihilfen für den Staatshaushalt scheitert nun nicht mehr an Ungarn. Das Land gab seine Blockade auf, nachdem die EU-Botschafter einen Kompromiss gefunden hatten, was das Einfrieren von für Budapest vorgesehenen EU-Geldern angeht. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij forderte in einer Rede vor der Gruppe der sieben wichtigsten Industrienationen des Westens, mehr schwere Waffen, Panzer und weit reichende Artillerie sowie zusätzliche Erdgaslieferungen für sein Land.
Todesstrafen im Iran verurteilt
Auch den Iran belegt die Europäische Union erneut mit Sanktionen. Wegen der Vollstreckung von ungerechtfertigten Todesurteilen gegen Demonstranten im Iran werden 21 Menschen aus dem Iran in die Sanktionsliste übernommen. Das heißt, ihr Vermögen wird eingezogen und ihre Einreise in die EU untersagt. Acht weitere Personen werden wegen der Lieferung von Kampfdrohnen an Russland sanktioniert. Für die Lieferung von Raketen aus dem Iran an das kriegerische Russland gebe es keine hinreichenden Belege, so die EU. Die Verhandlungen zum atomaren Programm des Irans sollten von der EU nicht abgebrochen werden, sondern getrennt von den Menschenrechtsverletzungen betrachtet werden, sagte der EU-Außenbeauftragte.