EM-Debütant Nordmazedonien will nach oben
7. Juni 2021Fast drei Jahrzehnte war Flaute im mazedonischen Fußball - sowohl auf Vereins- als auch auf Nationalmannschaftsebene. Jetzt hat Nordmazedonien die große Bühne betreten. Erstmals ist man für ein großes Turnier qualifiziert - für die Euro 2020. Nach der Unabhängigkeit vom ehemaligen Jugoslawien im Jahr 1991 hatte die Zwei-Millionen-Nation auf dem Balkan nie auch nur annähernd dieses Ziel erreicht. Dann aber brachte ein 1:0-Sieg gegen Georgien im Playoff-Finale im November 2020 die Teilnahme.
Ein bemerkenswerter 2:1-Sieg über Deutschland Ende März in der WM-Qualifikation vergrößerte die Euphorie und steigerte die Erwartungen vor der Premiere auf der großen europäischen Bühne. "Die Mannschaft reist als Debütant an und die Fans hoffen vielleicht insgeheim, dass diese Rolle nach dem Beispiel der Handballmannschaft von Vardar, die zweimal die Champions League gewann, von Vorteil sein kann", sagt Sasko Dimovski, Sportjournalist bei Nova TV in Nordmazedonien.
Entscheidung in den Playoffs
Fast drei Jahrzehnte lang führte der Fußball in Nordmazedonien fast schon ein Schattendasein hinter dem Handball und sogar dem Handball, da sich die Nationalmannschaften regelmäßig für Großereignisse qualifizierten und Vardar Skopje mit dem Gewinn der Champions League 2017 und 2019 beispiellose Erfolge in europäischen Vereinswettbewerben feierte.
Auf dem Papier startet Nordmazedonien als großer Außenseiter in die Gruppe C. Dem Debüt in Bukarest gegen Österreich am 13. Juni folgen die Spiele gegen die Ukraine (17. Juni) und die Niederlande in Amsterdam vier Tage später. Laut William Hill haben die Mazedonier kaum eine Chance, bei der Europameisterschaft für Furore zu sorgen. Der Buchmacher bietet eine hohe Quote von 501 (500:1) an, aber das scheint die Macher im Hintergrund nicht zu beunruhigen.
Nachdem er sein Team vom letzten Platz der Qualifikationsgruppe für die Euro 2016 an die Spitze der viertklassigen Gruppe in der Nations League 2018/19 geführt hatte, sagt Nationaltrainer Igor Angelovski, dass die Qualifikation alleine nicht genug sei. "Unser Ziel ist es, uns aus der Gruppe für die nächste Runde zu qualifizieren", sagte Angelovski der DW am ersten Tag der Team-Vorbereitung. "Dann gibt es je nach unserem Abschneiden verschiedene mögliche Gegner. Aber wir rechnen nicht. Wir wollen einen Platz im Achtelfinale. Die Gegner sollen sich überlegen, wer gegen uns spielen wird."
"Wir wollen bis ins Finale!"
Angelovskis Optimismus wird von den Mitgliedern des Trainer- und Technikteams geteilt, wie die DW-Reporter bei einem exklusiven Einblick in die Vorbereitungen auf das Turnier feststellen konnten. Zeugwart Viktor Velevski sagt, dass er 250 Trikots für die Spieler vorbereitet, die "bis zum Finale" reichen sollten. "Wir werden die Gruppe sicher überstehen. Wir werden sehen, was danach passiert", sagt er.
Will die Mannschaft Angelovskis Traum vom Einzug ins Achtelfinale erfüllen, wird viel von der Form des routinierten Führungsspielers Goran Pandev abhängen, der 2001, also fast genau vor 20 Jahren, sein Länderspieldebüt gab. Der Stürmer aus Genua ist mit 37 Toren in 117 Spielen Torschützenkönig und Rekordspieler seines Landes. Mit inzwischen fast 38 Jahren wird er aber die Unterstützung seiner jüngeren Teamkollegen dringend brauchen.
Von Napolis Eljif Elmas ist auch einiges zu erwarten. Der 21-jährige Mittelfeldspieler hatte nicht die beste Saison für seinen Stammverein, zeigte aber bereits sein Potenzial, als er in Duisburg im Frühjahr den Siegtreffer gegen Deutschland erzielte. Außenverteidiger Ezgjan Alioski von Leeds United und Mittelfeldspieler Arijan Ademi von Dinamo Zagreb sind weitere wichtige Puzzleteile in Angelovskis 3-5-2-System, das der Mannschaft bisher Stabilität und Erfolg brachte.
Neue Trikots, alte Probleme
Abseits des Spielfeldes jedoch herrscht etwas Unruhe, die auch die gute Stimmung im Team stören könnte. Eine lange Liste von Skandalen rund um den mazedonischen Fußballverband (FFM) ist kürzlich in einem offenen Konflikt zwischen dem Präsidenten Muamed Sejdini auf der einen und Angelovski und Pandev auf der anderen Seite eskaliert.
Ein weiterer Rückschlag nur wenige Tage vor Turnierbeginn war die Diskussion um die neuen Nationaltrikots: Die Fans lehnten die bordeauxrote Farbe ab, weil sie angeblich nicht ihre geliebte rot-gelbe Nationalflagge repräsentierte. Am Ende hat der Verband die neuen Trikots zurückgegeben und die UEFA gebeten, das bisherige Trikot verwenden zu dürfen. Aber Journalist Dimovski ist sich sicher, dass diese Entwicklungen keinen Einfluss auf die Leistung des Teams haben werden. "Diese Mannschaft hat in der vergangenen Zeit viele Turbulenzen durchgemacht. Und sie wird sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen."
Adaption: Tobias Oelmaier