1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Angriff auf die LGBTQ-Community in der Slowakei

25. Oktober 2022

Der Mord an zwei schwulen Männern in der slowakischen Hauptstadt hat das Land erschüttert und eine Welle der Solidarität ausgelöst. Ein Ende der weitverbreiteten Homophobie ist dennoch nicht zu erwarten.

https://p.dw.com/p/4Iez8
Slowakei Kriminalität l nach queerfeindlichem Attentat in Bratislava l Trauer
Trauerbekundungen und Kerzen nach dem Mord an zwei jungen Schwulen in BratislavaBild: Vladimir Simicek/AFP

Es war ein milder Mittwochabend im Oktober. Juraj Vankulic (26) saß mit seinem Freund Matus Horvath (22) auf einer Bank vor dem Café Teplaren. Sie tranken Limonade. Das Café Teplaren im Zentrum von Bratislava ist ein bekannter und beliebter Treffpunkt für die homosexuelle Szene in der slowakischen Hauptstadt. Matus arbeitete dort als Barkeeper, Juraj war Kostümbildner.

Plötzlich verwandelte sich die harmlose Szene in eine Horrorshow: Der 19-jährige Gymnasiast Juraj K. kam auf die beiden zu und eröffnete das Feuer. Juraj und Matus waren beide sofort tot, eine junge Frau, die im Café saß, wurde schwer verletzt und musste in ein Krankenhaus gebracht werden.

Karte Slowakei mit Nachbarländer DE

"Ich bereue nichts, ist das nicht komisch?" schrieb Juraj K. nur wenige Minuten nach der Mordtat auf Twitter - und erklärte, dass er seinen Amoklauf nun fortsetzen wolle. Die Polizei löste sofort eine Großfahndung aus. Die Leiche des Mörders wurde am Morgen nach der Tat in einer Straße in Bratislava gefunden. Nach Angaben der Behörden hatte er sich in den frühen Morgenstunden erschossen.

Solidarität nach dem Mord

Der kaltblütige Mord an zwei jungen Männern aus der LGBTQ-Community erschütterte die Slowakei. In den ersten Tagen nach der Schießerei verurteilten Politiker das Hassverbrechen einhellig und brachten ihre Unterstützung für die queere Gemeinschaft zum Ausdruck. Die liberale Staatspräsidentin Zuzana Caputova besuchte das Café Teplaren einen Tag nach dem Anschlag und sprach dem Besitzer Roman Samotny ihr Beileid aus. Premierminister Eduard Heger verurteilte die Gewalttat in einer Rede. Und einen Moment lang sah es so aus, als könnte sich die Situation für LGBTQ-Menschen in der Slowakei verbessern.

Nach dem queerfeindlichen Attentat treffen sich Trauernde in der Innenstadt von Bratislava zu einer Kundgebung
Trauerkundgebung in Bratislava am 14.10.2022, zwei Tage nach dem DoppelmordBild: Vladimir Simicek/AFP

Plötzlich schien es, als sei sich die slowakische Gesellschaft in einer Frage einig, die lange Zeit die beiden politischen Lager gespalten hatte: die der gleichgeschlechtlichen Ehe. Der Gesetzesvorschlag der Oppositionspartei Sloboda a solidarita (Freiheit und Solidarität) über die Einführung einer Lebenspartnerschaft für schwule und lesbische Paare fand breite Unterstützung von Parlamentsabgeordneten aus dem gesamten politischen Spektrum. Doch die Schlussabstimmung am vergangenen Mittwoch (19.10.2022) zeigte dann ein anderes Bild: Nur 50 der 133 anwesenden Parlamentsmitglieder stimmten für den Vorschlag.

Keine Rechte für queere Menschen

Die Frage der LGBTQ-Rechte ist überall in Mittelosteuropa ein heikles Thema. In der Slowakei sind, ebenso wie in Polen oder Ungarn, weder die Homo-Ehe noch irgendeine andere Form der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft erlaubt. Im Jahr 2015 initiierte eine Gruppe namens "Allianz für die Familie" ein "Referendum für die Familie". Es sollte sicherstellen, dass die slowakische Verfassung niemals Homo-Ehen oder zivile Partnerschaften zulassen würde. Wegen zu geringer Beteiligung war es allerdings ungültig.

Die Situation für LGBTQ-Menschen hat sich in der Slowakei seit 2015 nicht wesentlich geändert. Es wurden keine Gesetze angepasst, um die Sicherheit oder die Gleichberechtigung der Mitglieder dieser Gemeinschaft zu gewährleisten, und die slowakischen Politiker bleiben in dieser Frage unschlüssig.

Slowakei Kriminalität l nach queerfeindlichem Attentat in Bratislava l Präsidentin Caputova
Staatspräsidentin Zusana Caputova legt Blumen am Ort des Attentats abBild: Radovan Stoklasa/REUTERS

Präsidentin Caputova hielt zwar nur wenige Tage nach dem Mord an Juraj Vankulic und Matus Horvath im Europaparlament eine bewegende Rede über die Rechte von Homosexuellen. Viele andere Politiker des Landes sind jedoch für homophobe Äußerungen bekannt. Finanzminister Igor Matovic von der Partei OLANO (Gewöhnliche Menschen und unabhängige Persönlichkeiten) bekannte sich öffentlich und stolz zu seiner Heterosexualität: "ICH BIN HETERO, ich bin ein Mann, und ich fühle mich wie ein Mann", schrieb er auf Facebook. Damit reagierte Matovic auf die zahlreichen Statusmeldungen prominenter Persönlichkeiten in der Slowakei, die sich als Mitglieder der LGBTQ-Community geoutet hatten.

Homophobie und Rechtsextremismus

Der vom slowakischen Human Rights Institute (HRI) ausgeschriebene Anti-Preis "Homophober des Jahres" wurde in der Vergangenheit bereits an mehrere prominente slowakische Politiker verliehen. Preisträger 2022, Finanzminister Igor Matovic, folgte auf  Verteidigungsminister Jaroslav Nad, der ebenfalls OLANO-Mitglied ist. Im Jahr 2020 sagte er: "Ich bin für standesamtliche Partnerschaften, aber nicht für Homosexuelle."

Slowakei Kriminalität l nach queerfeindlichem Attentat in Bratislava l Polizei am Tatort
Der Tatort in der Innenstadt von Bratislava wird von der Polizei abgesperrtBild: Vladimir Simicek/AFP

Ein Hassverbrechen vom Ausmaß und der Bedeutung des Doppelmordes in Bratislava ist in der Slowakei allerdings nichts Alltägliches. Aber viele LGBTQ-Personen sowie Politiker befürchten, dass die Tat weitere nach sich ziehen könnte. Obwohl der mutmaßliche Mörder, Juraj K., die Tat online auf Twitter und im Dark-Web-Forum "4chan" gestanden hat, meint dessen Vater Juraj K. Senior, der selbst Aktivist für die kleine neo-faschistische Partei Vlast ist, immer noch, dass sein Sohn unschuldig sei.

"Ich glaube einfach nicht, dass er es getan hat", sagte er eine Woche nach dem Tod seines Sohnes in einem Interview in der auf Youtube ausgestrahlten Talk-Show von Marian Kotleba. Der Talkshow-Host ist Vorsitzender der rechtsextremen Partei LSNS (Volkspartei Unsere Slowakei). Kotleba und die Mitglieder seiner Partei sind für ihre Äußerungen gegen Minderheiten berüchtigt. Der Parteichef wurde wegen Extremismus rechtskräftig verurteilt und verlor deshalb im vergangenen Jahr sein Parlamentsmandat.

Das Café Teplaren bleibt geschlossen

Der gewaltsame Tod von Juraj und Matus im Café Teplaren fand auch Widerhall im Europäischen Parlament. In einer Entschließung forderten die Abgeordneten die Slowakei auf, sofort Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit von queeren Menschen zu gewährleisten. Doch das könnte dauern, denn viele konservative Politiker im Land lehnen die Gleichstellung von LGBTQ-Menschen ab - und viele Slowaken sehen das ähnlich. Laut Eurobarometer-Statistik sind nur 31 Prozent einverstanden, dass Angehörige von LGBTQ heiraten oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen können.

Slowakei Kriminalität l nach queerfeindlichem Attentat in Bratislava l Präsidentin Caputova
Staatspräsidentin Caputova in Begleitung ihres Partners Juraj Rizman (r.) mit dem Besitzer des Café Teplaren, Roman SamotnyBild: Radovan Stoklasa/REUTERS

Das Café Teplaren, einst ein sicherer Hafen für Menschen aus der LGBTQ-Community, hat sich nun in einen Tatort verwandelt. Besitzer Roman Samotny weiß nicht, wann oder ob es wieder geöffnet werden kann. "Viele von euch haben mir geschrieben, dass ich wieder aufmachen soll. Aber der Schmerz ist einfach zu groß für mich. Ich kann das Teplaren schließen, aber ihr alle könnt das neue Teplaren werden. Ihr könnt zu Symbolen werden, die die Slowakei verändern. Gemeinsam können wir den Hass stoppen und dank euch kann die Liebe siegen." Mit diesen Worten beendete er nur einen Tag nach dem Mord an Juraj und Matus eine bewegende Rede vor slowakischen Medien. Er hatte Tränen in den Augen.

Eine rothaarige Frau (Sona Otajovicova) steht neben einem großen Strauch und lächelt in die Kamera
Sona Otajovicova Slowakei-Korrespondentin der DW in Bratislava