Das Comeback der umstrittenen Operndiva
30. August 2022Menschen in Abendgarderobe versammeln sich am späten Montagnachmittag vor der Kölner Philharmonie. "Ich mag die Stimme von Anna Netrebko sehr. Ich habe sie öfter schon mal im Fernsehen und auf CDs gehört und wollte sie gerne auch einmal live und in Farbe erleben. Ich finde, sie ist eine großartige und auch sehr sympathische Künstlerin", sagt ein aus Solingen angereister Besucher. Auch die Düsseldorferin Regina Wirtz ist zum ersten Mal bei einem Konzert der Starsopranistin: "Selbstverständlich haben wir die Debatte um Frau Netrebko verfolgt. Wir wissen um die ganzen Umstände. Aber ich bin hier, weil ich diese Musik liebe, und ich kann Politik und Kunst trennen", sagt sie.
Eine Dame mit gelbem Kleid und blauer Tasche nimmt drinnen ihren Platz ein: "Ich habe das gezielt gemacht, weil ich selbstverständlich die Ukraine unterstütze und auch hoffe, dass dieser Krieg bald beendet wird. Und dass Frau Netrebko schon sieht, dass hier auch Leute sitzen, die für die Ukraine sind", erklärt Jutta, die nur mit ihrem Vornamen genannt sein möchte. Sie ist mit ihrem opernbegeisterten Vater gekommen. "Aber ich finde, man sollte auch in diesen schweren Zeiten die Kultur unterstützen. Wir haben sie schon mehrfach vorher gehört, sie ist eine exzellente Sängerin. Und deswegen sahen wir jetzt heute keinen Grund, warum wir die Karten nicht nutzen sollten." Die beiden hatten ihre Tickets bereits vor dem 24. Februar 2022 gekauft.
Protestaktion vor der Kölner Philharmonie
Draußen stehen seit zwei Stunden Menschen aus der Ukraine, Deutschland und Russland und demonstrieren gegen den Auftritt der Opernsängerin. Ludmila aus Oblast Donezk - sie möchte ebenfalls ihren Nachnamen nicht erwähnt wissen - hält zwei Plakate in der Hand. 2014 musste sie aus dem Donbass in einen anderen Teil der Ukraine fliehen. Heute lebt sie in Köln. "Die Menschen hier in Deutschland machen so viel gegen den Krieg, sie geben sich so viel Mühe. Ich verstehe nicht, wieso Köln diese Frau eingeladen hat", sagt Ludmila und zeigt auf ihr Plakat, darauf ist ein Foto eines zerstörten Gebäudes zu sehen. "Das ist übrigens meine Stadt - und was von ihr geblieben ist."
Elina Knopp, Kunsthistorikerin aus der Ukraine, ist eine der Organisatorinnen der Protestaktion: "Ich kann die Menschen, die heute zum Konzert gehen, überhaupt nicht verstehen. Ich hoffe nur, dass sie unsere Aktion zum Nachdenken bringt. Wir haben hier ein paar hundert Meter weiter auf der anderen Seite des Gebäudes ein Aufnahmelager, wo ukrainische Flüchtlinge aufgenommen werden, die teilweise auch aus der Donezk-Region kommen. Heute sind Menschen zu unserer Aktion gekommen, die schon zweimal fliehen mussten, einmal 2014/15 und jetzt ein zweites Mal. Sie haben kein Verständnis dafür, dass diese Person, die wirklich das Gesicht für Putins Regime ist, hier auftreten darf."
Flagge zeigen unerwünscht
Die Atmosphäre an diesem Abend ist angespannt. Zu Beginn des Konzerts hält ein Musiker aus dem Orchester der Nordwestdeutschen Philharmonie eine ukrainische Flagge in die Höhe, diese wird in der Pause vom Intendanten des Orchesters eingesammelt. Diese Aktion sei nicht mit ihm abgesprochen gewesen, so Andreas Kuntze. Auch ein Interview, in das der Musiker zuvor eingewilligt hatte, untersagte Kuntze.
Kontroverse um Anna Netrebko
Der Opernstar Anna Netrebko ist zurück - doch es ist nicht alles beim Alten. Das merkt an diesem Abend jeder Besucher. Dabei war Netrebko jahrelang der umjubelte Liebling der großen Opernhäuser. Ob in Verona, Wien oder New York - das Publikum lag ihr zu Füßen. Mit ihrer Stimme und ihrem Charme verzauberte sie die Anwesenden in den Konzertsälen der Welt. Es gab keinen großen Aufschrei, als sie ihren 50. Geburtstag im Kreml feierte, im Herbst 2021 war das noch akzeptabel. Als sie 2012 Putin in seinem Präsidentschaftswahlkampf unterstützte, kam es vereinzelt zu Reaktionen. Wenig Beachtung fand auch die Aktion, als sie sich mit dem als pro-russisch geltenden Separatistenführer Oleh Zarjow mit der "Neurussland"-Flagge fotografieren ließ. In Russland wurde sie zur "Volkskünstlerin der Russischen Föderation" gekürt, ein Ehrentitel des russischen Staates.
Doch die Wahrnehmung Netrebkos änderte sich mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der im Februar dieses Jahres begonnen wurde. Ihre Nähe zum Kreml und ihre unkritische Meinung zu Putin wurden Netrebko zum Verhängnis: "Ich möchte, dass der Krieg aufhört", schrieb sie in einem Statement. Sie sei eine Russin und liebe ihr Land, habe aber auch viele Freunde in der Ukraine: "Der Schmerz und das Leid brechen mir das Herz," schrieb sie und hüllte sich dann wochenlang in Schweigen.
Für den Westen hat sie sich nicht kritisch genug positioniert, für Russland zu kritisch. Netrebko wurde sowohl in Europa als auch in ihrem Heimatland zur persona non grata. Sie war zunächst nicht mehr willkommen.
Sommer 2022: Rückkehr auf die Bühne
Seit diesem Sommer ist sie wieder zurück auf den großen Bühnen - in Verona, in Paris und jetzt in Köln. Mit Standing Ovations und Protesten vor den Spielstätten. Doch sie ist noch nicht überall wieder willkommen: Das Land Baden-Württemberg hat sich entschieden, die Sängerin auszuladen - das Konzert in Stuttgart wurde abgesagt. Auch die Türen der New Yorker Metropolitan Opera sind bis zum jetzigen Zeitpunkt für die große Sopranistin verschlossen.
Die Stadt Köln und die Philharmonie gehen andere Wege: "Wir haben in Köln keinen Grund zu sagen, Frau Netrebko darf nicht hier in der Stadt sein. Sie ist keine Staatsfeindin. Sie ist eine freie Bürgerin, die hier durchs Land gehen darf", sagt Louwrens Langevoort, Intendant der Kölner Philharmonie. Vor zwei Jahren sei der Mietvertrag mit dem Veranstalter des Konzerts, der "handwerker promotion e. gmbh" abgeschlossen worden und die Philharmonie komme hier lediglich den Verträgen nach, so Langevoort. "Frau Netrebko ist eine ganz tolle Sängerin. Sie hat eine bestimmte politische Haltung, die ich absolut nicht teile. Aber ich kann ihr nichts vorwerfen", so der Intendant.
Ein ähnliches Statement kommt auch von der Stadt Köln: "Die Äußerungen von Anna Netrebko im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind mittlerweile eindeutig in der Distanzierung vom Krieg. Dennoch kann ich nachvollziehen, dass die jahrelange völlig unkritische Nähe Netrebkos zum Kreml bei vielen Kölnerinnen und Kölnern Zweifel an der veröffentlichten Haltung Anna Netrebkos zum Krieg und zu Putin aufkommen lassen", so Stefan Charles, Beigeordneter für Kunst und Kultur der Stadt Köln.
Sowohl der Intendant der Kölner Philharmonie als auch die Stadt Köln betonen, nicht die Veranstalter des Konzerts zu sein. Der Musiker Misha Nodelman aus Sankt Petersburg hält das für eine Ausrede. Er hat seine Geige mitgebracht und spielt vor der Philharmonie ukrainische Lieder. Zuhause in seiner Heimat werde er als Verräter Russlands gesehen, sagt er.
Während sich die Demonstranten vor dem Gebäude längst auf den Heimweg gemacht haben, ertönen drinnen laute Bravo-Rufe. Anna Netrebko, ihr Mann der Tenor Yusif Eyvazov, die Mezzosopranistin Elena Zhidkova und der Dirigent Michelangelo Mazza werden mit Blumenstrauß und tosendem Applaus verabschiedet.
Die Stadt Köln und die Philharmonie haben angekündigt, die Erträge aus dem Konzert für Wiederaufbauprojekte in der Projektpartnerstadt Dnipro zu spenden.