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Anna Netrebko: Russische Reaktion folgt prompt

31. März 2022

In einem Statement hat die Opernsängerin Anna Netrebko den Ukraine-Krieg verurteilt - eine halbherzige Distanzierung. Nun wird sie auch in Russland boykottiert.

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 Anna Netrebko
Unpolitisch oder nicht? Die russische Opensängerin Anna Netrebko polarisiertBild: Luca Bruno/AP/picture alliance

"Ich verurteile den Krieg gegen die Ukraine ausdrücklich und meine Gedanken sind bei den Opfern dieses Krieges und ihren Familien", ließ die russische Opernsängerin Anna Netrebko am Mittwoch über ihren Anwalt mitteilen. "Meine Position ist klar. Ich bin weder Mitglied einer politischen Partei noch bin ich mit irgendeinem Führer Russlands verbunden." 

Mehrfach ausgeladen

Nun folgte die Reaktion ihres Heimatlandes: Ihr für 2. Juni geplantes Konzert im sibirischen Nowosibirsk wurde abgesagt. In der Mitteilung der Oper wurde der in Österreich lebenden Sopranistin Verrat vorgeworfen:  "In Europa zu leben und die Gelegenheit zu haben, in europäischen Konzertsälen aufzutreten, hat sich als wichtiger erwiesen als das Schicksal des Vaterlandes." Das Opernhaus zeigt sich ganz auf Linie von Präsident Putin: "Unser Land ist reich an Talenten und die Idole von gestern werden durch andere ersetzt, die eine klare staatsbürgerliche Haltung haben", heißt es in dem Statement.

Anfang März hatte die Sängerin eine Auftrittspause angekündigt. Unter anderem die Bayerische Staatsoper hatte zuvor die Zusammenarbeit mit ihr beendet und dies auch mit einer fehlenden ausreichenden Distanzierung von Russlands Krieg gegen die Ukraine begründet. Auch die New Yorker Metropolitan Opera (Met) hatte Netrebko ausgeladen. Zuletzt trennte sich Netrebkos Agentur in Deutschland von ihr.

Distanzierung ohne Distanz

Netrebkos Problem bleibt, dass ihre Distanzierung durch jahrelange Nähe zu Russlands Präsident Putin unglaubwürdig wirkt. In ihrer Erklärung heißt es: "Tatsächlich habe ich Präsident Putin in meinem ganzen Leben nur eine Handvoll Mal getroffen, vor allem im Rahmen von Verleihungen von Auszeichnungen für meine Kunst oder bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele."

Sie verschweigt aber, dass sie ihren 50. Geburtstag im vergangenen Jahr mit einer vierstündigen Gala im Kreml gefeiert hat. Wladimir Putin selbst war zwar nicht anwesend, aber er huldigte ihr über einen Sprecher: Sie sei ein "offener, bezaubernder und gutherziger Mensch mit einem lebensbejahenden Charakter und einer klaren Position als Bürgerin". Ein großes Lob.

Anna Netrebkos Nähe zu Wladimir Putin

Wer sich näher mit der weltberühmten Sopranistin beschäftigt, die in diesen Tagen in den sozialen Medien Urlaubsfotos aus der Wüste postet, bekommt Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen. Denn eine gewisse Nähe zur russischen Großmachtpolitik und zur politischen Führung des Staates kann sie nicht abstreiten, weil diese dokumentiert ist.

Präsident Putin trifft Anna Netrebko im Marinsky-Theater
Anna Netrebko neben Präsident Putin bei der Verleihung des Ehrentitels "Volkskünstlerin der Russischen Föderation"Bild: Vladimir Rodionov/epa/picture-alliance

Russlands Staatschef Putin und die erfolgreiche Opernsängerin Netrebko kennen sich schon lange. Im Jahr 2008 wurde sie zur "Volkskünstlerin der Russischen Föderation" gekürt, ein Ehrentitel des russischen Staats. Als sie die Plakette erhielt, stand Putin anerkennend und klatschend neben ihr. 2012 unterstützte sie Putin in seinem Präsidentschaftswahlkampf. Als russische Soldaten 2014 die Krim besetzten - was der Westen zur Kenntnis, aber nicht weiter ernst nahm - reiste sie ins Separatistengebiet in der Ostukraine und ließ sich gemeinsam mit dem pro-russischen Separatistenführer Oleh Zarjow mit der "Neurussland"-Flagge fotografieren. Davon distanzierte sich Netrebko bis heute nicht.

Was bedeutet das Georgsbändchen?

Und auch von Accessoires können Botschaften ausgehen. Im Mai 2010 schmückte sich Anna Netrebko nach einem Auftritt an der Wiener Staatsoper mit dem so genannten Sankt-Georgs-Band, einem orange-schwarzen Bändchen, das im Zarenreich für militärische Tapferkeit verliehen wurde und nach dem Zweiten Weltkrieg als Zeichen für den Sieg über Nazi-Deutschland und den Faschismus umgedeutet wurde.

Abzeichen am schwarz-orangenen Band des Heiligen Georg
Russische Propaganda-Abzeichen: Sankt-Georgs-Band und Z-SymbolBild: Sergei Savostyanov/dpa/TASS/picture alliance

Das Band steht für pro-russische militärische Erfolge, ihre Träger drücken damit ihre Loyalität zur russischen Armee aus. Heute ist es sehr populär in Russland und ein Symbol stolzer russischer Patrioten. Seit 2015 ist es in der Ukraine verboten. Wie das inzwischen in vielen Ländern verbotene Z-Symbol ist auch das Georgsbändchen seit Putins Amtsantritt Teil der pro-russischen Propaganda, die Russland als Befreier inszeniert. Dieses Narrativ wird auch im Ukraine-Krieg angewendet - offiziell will Russland die Ukraine vom Faschismus befreien. 

Kunst- und Meinungsfreiheit in Russland

Doch wie frei sind russische Künstlerinnen und Künstler überhaupt? Anders als in den westlichen Ländern lassen sich Kultur und Politik in Russland nicht voneinander trennen. Das liegt an der kommunistischen Vergangenheit. In der Sowjetunion durften nur regimetreue Künstlerinnen und Künstler auf die Bühne - das hat sich im Prinzip bis heute nicht geändert. Wer sich kritisch äußert, wer provoziert, wer Grenzen auslotet, hat es unter Putins Herrschaft schwer. Die feministische Punkband "Pussy Riot" etwa, die sich mit provokanten Auftritten für Menschen- und Bürgerrechte engagierte, bekam die Repressalien am eigenen Leib zu spüren: Ihre Mitglieder wurden 2012 verhaftet.

Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow, der offen über Missstände in Russland gesprochen, sich mit der Kirche angelegt und in seinen Inszenierungen einen aufgeklärten Umgang mit Homosexualität einfordert hatte, stand seit 2017 in Russland unter Hausarrest, bis er schließlich Anfang 2022 überraschend ausreisen durfte. Ihm wurde vorgeworfen, staatliche Fördergelder veruntreut zu haben, was er stets bestritten hatte.

Nachdem sich der Intendant des Moskauer Bolschoi-Theaters, Wladimir Urin, gegen den Ukraine-Krieg ausgesprochen hatte, wird auch er wohl bald seinen Platz räumen müssen. Putin hat dem Dirigenten Valery Gergiev, der bei den Münchner Philharmonikern wegen mangelnder Distanzierung von der russischen Politik rausgeworfen wurde, jüngst Urins Posten am Bolschoi-Theater angeboten.

Anna Netrebko will Bühnenauszeit beenden

Die Beispiele zeigen, dass Regimekritik in Russland durchaus Auswirkungen auf das Leben und die Karriere haben kann. So verwundert es nicht, dass Anna Netrebko sich in ihrem ersten Statement zum Ukraine-Krieg als "unpolitische Person" bezeichnet hatte. Doch so ganz will das nicht zu ihrem Handeln passen. Was jedoch deutlich wird, ist: Anna Netrebko will wieder auf die Bühne. Auf ihrer Website hat sie ab Ende Mai wieder Konzerte angekündigt - unter anderem in Paris, Mailand, Wien, Madrid, Köln, Frankfurt und Hamburg. 

Opernsängerin Anna Netrebko
Geburtstagskonzert im Kreml: ​​​​Anna Netrebko im September 2021Bild: Vladimir Gerdo/TASS/picture alliance

Die deutschen Opernhäuser reagieren bislang unterschiedlich. Während die Hamburger Elbphilharmonie ihre Tore für Anna Netrebko öffnen will, sucht die Berliner Staatsoper das Gespräch mit der Künstlerin. "Grundsätzlich haben wir gesagt, dass russische Künstler natürlich weiter bei uns auftreten", sagte Intendant Matthias Schulz der deutschen Presse-Agentur dpa. "Mir wäre es wichtig, mit Anna Netrebko erst einmal direkt zu sprechen, das möchte ich gern abwarten", so Schulz.

Die Tür der New Yorker Metropolitan Opera (Met) soll für Netrebko vorerst weiterhin geschlossen bleiben.  Met-Generalintendant Peter Gelb hat die halbherzige Distanzierung nicht überzeugt. In einem Interview mit der "New York Times" sagte er: "Wir sind nicht bereit, unsere Position zu ändern."