Die Ukraine im Reformstau
4. Februar 2015"Es ist nicht leicht", sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko Anfang dieser Woche zu Beginn einer Rede, "nachdem ich den Großteil eines Tages damit verbracht habe, auf die militärische Karte zu blicken und die Lage an der Front zu studieren, sofort umzuschalten und mich mit dem Thema Friedensförderung zu befassen." Vor ihm sitzt der von ihm selbst gegründete "Nationalrat für Reformen" und Poroschenko sagt: "Wir müssen das jetzt aber tun."
Das beschreibt ziemlich genau das Dilemma dieser ukrainischen Führung: Es ist Krieg in der Ukraine. Ein Krieg, der die Eliten des Landes davon abhält das zu tun, wofür sie gewählt wurden: die Ukraine zu reformieren hin zu einem demokratischen, offenen, liberalen, europäischen Gemeinwesen. Dieser Krieg im Osten des Landes frisst aber offenbar alle Kraft, die eine demokratische Entwicklung ermöglichen könnte.
Debalzewo: Ort der Entscheidung
Alles dreht sich in Kiew derzeit um eine Kleinstadt im Osten des Landes: Debalzewo hatte vor dem jetzigen Krieg gerade einmal 23.000 Einwohner. Trotzdem kennen es viele - Russen wie Ukrainer. Denn wer von Rostov am Don in Russland nach Charkiw mit dem Zug fuhr oder von Charkiw in die ostukrainischen Städte Luhansk und Donezk, der musste durch Debalzewo. In diesen Tagen entscheidet sich dort womöglich, wie es mit der Ukraine in den kommenden Monaten weitergeht.
In Debalzewo stehen 5000 Soldaten der ukrainischen Armee - umringt von offenbar durch Russland hochgerüstete Rebellen. Mit einem Sieg in Debalzewo hätten die prorussischen Rebellen in der Ostukraine ein Problem gelöst: Der Nachschub könnte künftig über die Schiene fließen aus Russland, wo er ohnehin die ganze Zeit schon herkommt - denn die Straßen in den Rebellengebieten sind von den vielen Panzerkolonnen so zerfurcht, dass jede Fahrt eine Qual ist. Mit Debalzewo aber ist der Weg frei: nach Mariupol - vor allem aber gen Westen. Dnipropetrowsk, selbst Saporoschje, sagt ein Oberst der ukrainischen Armee steht dann zur Disposition. Dort steht das größte Atomkraftwerk Europas.
Rechtsstaatliche Polizeiarbeit?
Es ist nicht einfach, im Moment in Kiew in aller Kriegspropaganda Wahrheit zu finden. Ein hochrangiger Mitarbeiter der Präsidialverwaltung lässt sich im Gespräch zu den Worten hinreißen: Berichtet doch endlich darüber, dass sich die Ukraine im Kampf mit Russland befindet, nicht mit irgendwelchen Rebellen. Das soll helfen, bevor am Donnerstag US-Außenminister John Kerry in der Stadt ist und sich gleichzeitig in München zur jährlichen Sicherheitskonferenz die Entscheider treffen. Es klingt hilflos.
Konkreter ist dagegen der Ministerpräsident des Landes, Arsenij Jazenjuk. Er fordert die privaten Sicherheitsunternehmen des Landes dazu auf, im Krisenfall als stille Reserve für die Polizei zu dienen. Das erinnert nicht unbedingt an europäische Standards rechtsstaatlicher Polizeiarbeit, sondern eher an den Beginn des Bosnien-Krieges in Sarajewo als auch Kriminelle die Landesverteidigung übernahmen. Der Kulturminister der Ukraine redet davon, dass Kultur in Zeiten des Krieges sich dem Primat der Exekutive - sprich: dem Kriegszustand - zu unterwerfen hat.
Timothy Garton Ash, angesehener Osteuropa-Analyst, fordert Waffen für die Ukraine, um dem russischen Waffengang das Europäische Ideal entgegen zu setzen. Das Problem ist nur: Ohne demokratische Reformen in der Ukraine ist auch dieses Unterfangen wenig mehr als Krieg. Wie sagte der Präsident dieses Landes Anfang der Woche? Es ist schwer nun umzuschalten auf Reformen - wo ich doch den ganzen Tag über Kriegs-Karten saß.