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PolitikAsien

Das Scheitern des Westens

4. Juli 2021

Nicht nur in Afghanistan hat die westliche Interventionspolitik wenig erreicht. Auch im Irak und in Libyen muten ihre Erfolge eher bescheiden an.

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Afghanistan Auseinandersetzungen zwischen Taliban und Sicherheitskräften im Bezirk Khanabad
Verwüsteter Dorfladen nach Kämpfen zwischen Taliban und RegierungstruppenBild: Sherinagha Azizi

Der Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan ist in vollem Gange. Das Land, das sie verlassen, ist weit von stabilen demokratischen Verhältnissen entfernt, die Taliban kontrollieren große Landesteile. Einmal mehr mussten westliche Politiker und Strategen einsehen, dass sich die politische Kultur einer Region nicht wie auf einem Reißbrett ändern lässt. Was in der Theorie gut aussieht, - wie etwa die 2004 verabschiedete, fortschrittlich und liberal anmutende afghanische Verfassung - ist vor Ort kaum wirksam.

Große Erwartungen

Afghanistan ist nicht der einzige Ort, an dem westliche Interventionen die selbstgesteckten Ziele nicht erreichten. Auch der Irak ist ein Land der gescheiterten Hoffnungen - gemessen zumindest an den rund um die US-Invasion von 2003 verkündeten Erwartungen. "Die Errichtung eines freien Irak im Herzen des Nahen Ostens wird ein Wendepunkt in der globalen demokratischen Revolution sein", hatte der damalige US-Präsident George Bush im November 2003 erklärt. Heute ringt der Irak um seinen Eigenständigkeit gegenüber dem übermächtigen Nachbarn Iran.

Auch in Libyen erfüllten sich die Hoffnungen nach dem von der NATO unterstützten Sturz des damaligen Diktators Muammar al-Gaddafi nicht. Erst wenn dieser Sturz eingetreten sei, "kann wirklich ein echter Übergang von der Diktatur zu einem inklusiven Verfassungsprozess beginnen", schrieben die Präsidenten der USA und Frankreichs, Barack Obama und Nicolas Sarkozy, sowie der britische Premier David Cameron im April 2011 in einem gemeinsamen Positionspapier. Was auf Gaddafis Sturz folgte, waren zehn Jahre Krieg. Erst im laufenden Jahr konnten sich die nationalen Kriegsparteien auf eine Verfassung und Parlamentswahlen im Dezember 2021 einigen.

Libyen Bürgerkrieg Rebellen Panzer
Libysche Rebellen triumphieren im März 2011, auch dank amerikanischer und britischer Luftunterstützung Bild: AP

Westlicher Anspruch und afghanische Realitäten

Woran liegen diese Misserfolge oder zumindest die gemessen an den Erwartungen bescheidenen Erfolge? Ganz wesentlich an der Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Interventionsstaaten und der politischen Wirklichkeit vor Ort. Der deutsche Friedens- und Konfliktforscher Conrad Schetter hat in seiner "Geschichte Afghanistans" die grundlegenden Schwierigkeiten umrissen, denen sich die westlichen Staaten gegenüber sahen. Dazu gehören unter anderem "der abweisende Naturraum, der Konflikt zwischen Stadt und Land, der extreme Partikularismus, die kulturelle Heterogenität".

Hinzu kämen die unterschiedlichen gesellschaftlichen Vorstellungen der einzelnen Gesellschaftsschichten. "Die Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie sowie die Gleichstellung der Frauen können der urban geprägten Gesellschaft nicht schnell genug gehen, während weite Teile der ländlichen Bevölkerung diese Grundsätze für unislamisch halten", schreibt Schetter. Darum könnten die Taliban insbesondere in den ländlichen Gebieten Südafghanistans auf breite Unterstützung hoffen.

So sieht es auch der Islamwissenschaftler Stefan Weidner: "Jetzt mit den Taliban zu verhandeln, kommt einer Niederlage gleich, wenn man 20 Jahre lang den Afghaninnen im Schutz der Bundeswehr deutsche Frauenrechte und deutsche Rechtsstaatlichkeit beigebracht hat." Insgesamt, so Weidner, hätten sich die westliche Staaten zu hohe und zu utopische Ziele gesetzt, nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Libyen und im Irak.

Internationale Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg
Der afghanische Präsident Karsai und Kanzler Schröder auf einer Afghanistan-Konferenz 2002Bild: picture-alliance/dpa

Hohe Investitionen, überschaubarer Ertrag

Um ihre Ziele zu erreichen, haben die westlichen Staaten und internationalen Institutionen gewaltige Summen investiert, und tun dies auch weiterhin trotz des Truppenabzugs: Bei einer virtuellen Geberkonferenz für Afghanistan im November vergangenen Jahres kamen insgesamt etwa 10,1 Milliarden Euro zusammen. Die Gelder sollen in den kommenden vier Jahren fließen.

Die Kosten des Engagements in Kriegs- und Krisengebieten führten allerdings zu einer optischen Täuschung, sagt der Nahostexperte Daniel Gerlach, Mitherausgeber des Magazins "Zenith - Zeitschrift für den Orient". Von den verwendeten Geldern komme oft nur ein geringer Teil an Aufbauhilfe bei der Bevölkerung an, da Personal, Büros und Sicherheit dort sehr teuer seien, so Gerlach im DW-Gespräch. "Wenn sich westliche Mitarbeiter oder gar ein hochrangiger Diplomat auf den Weg zu einem Projekt begeben, um sich einen Eindruck von dessen Zustand zu machen, werden gepanzerte Konvois und bewaffnete Sicherheitsleute fällig." Eine solche Visite schlage dann mit mehreren tausend Euro pro Tag zu Buche.

Herren der Nacht

Diese oftmals notwendige Eigensicherung führe dazu, dass auch die Soldaten ihre Schutzfunktion in Krisengebieten wie Afghanistan nur bedingt wahrnehmen können, so Gerlach weiter. "Das gilt nicht nur, aber vor allem nachts: Dann waren die Soldaten in ihren Camps, und die Taliban in den Dörfern." In den Nachtstunden hätten die Taliban den Bewohnern erklärt, was sie von ihnen erwarteten. Erfüllten die Dorfbewohner diese Erwartungen nicht, seien die Taliban eben noch einmal gekommen, und zwar mit größeren Druckmitteln. "Die gleiche Situation gab es vor einigen Jahren im Irak. Dort herrschten tagsüber die Sicherheitskräfte und nachts der 'Islamische Staat' (IS) - mit vergleichbaren Konsequenzen."

Afghanistan Dorfbewohner auf einem Markt in Khogyani
In Erwartung einer unsicheren Zukunft: Dorfbewohner in der Provinz NangarharBild: DW/Mohsin Khan Mohmand

Implosion in Libyen

Doch selbst mit sehr hohem Finanzaufwand lassen sich grundlegende Probleme kaum steuern. In seinem Buch über den libyschen Bürgerkrieg beschreibt der Politologe Wolfram Lacher die Implosion des Staates und die daraus resultierende Schwierigkeit, Ansprechpartner zu finden. In fast allen Städten gebe es rivalisierende Gruppen, die sich zu immer neuen Allianzen formierten.

Zudem seien diese Gruppen nach außen oft kaum identifizierbar. "Statt ihr öffentliches Profil zu schärfen und eine klare Corporate Identity zu entwickeln, tarnen sich bewaffnete Gruppen häufig durch ständige Namensänderungen."

Mit anderen Worten: Die NATO beteiligte sich am Sturz eines Diktators, ohne allerdings irgendeine Vorstellung zu haben, wie sich Struktur und Aufbau dieses Staats ohne den Mann an seiner Spitze erhalten ließen.

Fehlentscheidungen im Irak

Auch im Irak begingen die Interventionsmächte grundlegende Fehler. Nachdem die "Koalition der Willigen" 2003 dort einmarschiert war, erließ der US-Zivilverwalter für den Irak, Paul Bremer, eine Reihe folgenreicher Entscheidungen. Er privatisierte die staatlichen Betriebe, löste die von dem gestürzten Diktator Saddam Hussein dominierte Baath-Partei sowie die irakische Armee auf. Die Folge: Tausende sahen sich um ihr wirtschaftliches Fundament gebracht. Ein Teil derer, die es nicht bei Frust und Abneigung gegen die Interventionsmächte beließen, wandte sich dschihadistischen Gruppen zu, allen voran Al-Kaida und dem Islamischen Staat, die das Land mit einer beispiellosen Welle der Gewalt überzogen.

Irak Protesten nach dem Tod von Ihab al-Wazni
Proteste im Irak nach dem Mord an einem prominenten Kritiker der Regierung im Mai 2021Bild: Mohammed Sawaf/AFP

"Das irakische Abenteuer wäre glimpflicher ausgegangen, wenn es von verantwortungsvollen, weniger ideologischen, weniger auf die eigenen Pfründe bedachten Akteuren ausgeführt worden wäre", so Islamwissenschaftler Weidner. Es wäre weniger katastrophal verlaufen, wenn man die Nachbarstaaten eingebunden hätte statt sie mit der Rede von der 'Achse des Bösen' zu bedrohen. "Es wäre auf weniger Widerstand gestoßen, wenn man einen Teil der Iraker - gemeint sind alle, die irgendwie mit Saddam zusammengearbeitet hatten oder zusammenarbeiten mussten - nicht zu Gegnern und Parias erklärt hätte."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika